Das Leben (und Apple-Watch-Wettbewerbe) sind nicht fair

Über Sinn und Unsinn (und Un­ge­rech­tig­kei­ten) bei Wett­be­wer­ben mit der Apple Watch.

Die Apple Watch sei «the most personal device we’ve ever created», das persönlichste Gerät, das es von Apple gibt, hat Tim Cook bei der Vorstellung 2014 gesagt.

Das ist eine Behauptung, die zumindest ein bisschen kontrovers ist. Es gibt die Leute, die Technik auf Distanz halten und sie strikt auf ihre Rolle als unpersönliches Hilfsmittel reduziert wissen wollen. Und dann gibt es die Leute, die zumindest akzeptieren, dass man diese Uhr so nah an seinen Körper heranlässt, wie sonst kein anderes Apple-Produkt.

… an dieser Stelle kann man einwerfen, dass es Leute gibt, die sich ihr Smartphone an einem Täschchen um den Hals und damit an den Busen bzw. vor das Herzen hängen. Oder meinetwegen über den Bauch. Das finde ich mehr als seltsam. Aber es ist womöglich kein Ausdruck einer sonderlich innigen Bindung zum Gerät, sondern eine pragmatische Angelegenheit. Nicht alle Leute haben Hosen mit ausreichend grossen Taschen.

Die Apple Watch ist Coach, nicht Assistent

Jedenfalls ist mir aufgefallen, dass die Apple Watch Dinge tut, die sich das iPhone nicht erlauben würde. Sie schaut auf meine körperlichen Aktivitäten (siehe dazu auch Trackt die Smartwatch eigentlich auch den Sex?) und erlaubt sich sogar, mir Anweisungen zu geben: Matthias, achte auf deine Ringe, sagt sie mir, wenn ich bloss faul auf meinem Hintern sitze. Damit sind nicht die Speckringe gemeint, die über den Hosenbund hängen. Sondern die Aktivitätsringe Bewegen, Trainieren und Stehen, die man als braver Nutzer möglichst täglich vollbekommen sollte.

Das ist ein bemerkenswerter Unterschied. In menschliche Rollen übersetzt, ist das Smartphone ein persönlicher Assistent, die Uhr aber ein Coach oder Berater. Und ja, er ist zu einem gewissen Grad nachvollziehbar.

Homeoffice: Kännsch Apple?

Andererseits nehme ich es der Uhr persönlich, wenn sie mir Anweisungen erteilt und in einem passiv-aggressiven Ton darauf hinweist, dass ich «normalerweise um zehn Uhr morgens schon viel mehr von meinem Trainingsziel erfüllt habe». Da hat die Uhr mal wieder nicht geschnallt, dass ich Homeoffice mache und meine Pendelstrecke wegfällt. Da ich ein gehorsamer Nutzer bin, versuche ich das jeweils mit einem Spaziergang oder einer Joggingrunde wettzumachen. Aber das dann halt erst nach Feierabend. Da sieht man dann, wie schmal der Grat zwischen Anfeuerung und Auf-die-Nerven-Gehen ist.

Wie sehr will man sich herumkommandieren lassen?

Wie sehr sich manche von ihrer Uhr herumkommandieren lassen, habe ich neulich herausgefunden, als ich mich über die Wettbewerbe informiert habe. Man kann via Apple Watch auch mit Freunden messen. Dann muss man während einer Woche möglichst alle Ringe schliessen.

Es gibt Punkte für jeden geschlossenen Ring und insgesamt 600 Punkte an einem Tag. Falls ich die Sache richtig verstanden habe, gibt es hundert Punkte für hundert Prozent pro Ring. Und noch einmal hundert Punkte, wenn man sein Ziel maximal übertrifft. Das macht für die ganze Woche 4200 Punkte als Maximum. Gewinnt man, bekommt man eine Auszeichnung.

Dass man seine Ziele übertreffen muss, wenn man gewinnen will, ist einleuchtend. Denn die meisten Leute werden die Ziele so setzen, dass sie sie meistens erreichen. Ich tue das – denn die Aktivitäten müssen schliesslich mit dem normalen Leben vereinbar sein. Könnte ich mich um nichts anderes kümmern als um die Ringe, würde ich das Ziel sehr hoch ansetzen. Aber da ich das nicht tue, habe ich sie so gesetzt, dass mir die drei Ziele nicht in den Schoss fallen, aber während normalen Tagen erreichbar sind.

Zu oft unentschieden ist doof

Leicht erreichbare Ziele hätten aber zur Folge, dass die Wettbewerbe meistens unentschieden ausgehen würden. Darum muss gibt es die Extrapunkte, die nicht einfach erreichbar sind. Und die bei manchen einen ziemlich ungesunden Ehrgeiz entfachen.

Wie weit dieser Ehrgeiz gehen kann, hat mir Ian Blackburn vor Augen geführt. Er ist der Autor des Blogs «The Apple Watch Triathlete» und erklärt im Beitrag How to win at Apple Watch 7 day Activity Competitions, wie man einen solchen Wettbewerb gewinnt. Er weist als Erstes auf eine Besonderheit des Stehen-Ziels hin. Damit man den Kreis voll bekommt, muss sich während zwölf von 24 Stunden ausreichend bewegen. Damit eine Stunde zählt, muss man mindestens eine Minute lang gehen oder sonst eine Aktivität zeigen.

Der Trick für ein bisschen Schlaf

Nun ist es aber so, dass es die volle Punktzahl nicht dafür gibt, dass man den Kreis ganz füllt. Nein, man muss offenbar jede Stunde des ganzen Tages aktiv sein. Und das ist machbar, weil man in einem Rutsch gleich zwei Stunden erledigen kann. Dazu bewegt man sich zwei Minuten lang von Anfang :59 bis Ende :01.

Das sei auch in der Nacht machbar. Nämlich mit einem Baby, das präzise alle zwei Stunden gefüttert werden will und so ins Bett gebracht wird, dass es just zur vollen Stunde so weit ist – nein, diese Variante habe ich erfunden. Er verwendet dazu natürlich einen Wecker, den er um 00:58, 02:58, 04:58 und 06:58 stellt – und um 08:58, weil er offenbar am Wochenende zum Ausschlafen neigt. (Mit jeweils einer Minute Reserve, damit man auch Zeit hat, aufzustehen und anzufangen. Oder damit zu beginnen, die Arme liegend im Bett wie wild zu schütteln.)

Für mich wären die Weckzeiten etwas anders. Es ist nämlich schon sehr lange her, dass ich routinemässig erst nach Mitternacht ins Bett ging. Dafür komme ich nie dazu, bis 7 Uhr schlafen zu können. Die Verteilung wäre bei mir 23:58, 01:58, 03:58 und 05:58 – wenn ich mich denn auf so einen Quatsch einlasen würde.

Das geht zu weit!

Denn ich mache ja viele Dinge mit, aber das geht mir zu weit. Das macht keinen Spass und bringt auch keinen echten Fitnessgewinn. Und man muss auch für 200 Punkte bei der täglichen Aktivitätsdauer ziemlich viel investieren. Drei Stunden, schreibt Blackburn.

Schliesslich gibt es auch das Kalorien-Ziel. Das setzt die Apple Watch anfänglich von selbst, aber es ist das einzige der drei Ziele, das man selbst anpassen darf. Man kann es willkürlich und auch sehr tief ansetzen und während eines Wettbewerbs offenbar sogar verändern. Das ist einerseits fair, weil kleine, schlanke Leute weniger Kalorien verbrauchen als grosse und schwere. Aber es ist auch unfair, wenn jemand es sich selbst sehr leicht macht.

Kann so ein Wettbewerb überhaupt fair sein? Ich glaube nicht – allein deswegen, weil nicht alle Kontrahenten gleich viel Zeit und Energie in einen Wettbewerb stecken können. Da wäre der alte «Mitmachen ist wichtiger als Gewinnen»-Ansatz wahrscheinlich befriedigender als dieser (etwas gar amerikanische) Kompetitiv-Gedanke…

Beitragsbild: Wer den goldenen Topf gewinnen will, muss sich ordentlich quälen (Giorgio Trovato, Unsplash-Lizenz).

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