Das Podcast-Echo von #MeToo

Die Podcasts «The Mysterious Mr. Epstein» und «Chasing Cosby» erzählen, wie zwei skrupel­lose Männer Macht und Ansehen benutzen, um Dutzende Frauen zu miss­brau­chen. Der Unter­schied: Der erste Pod­cast stellt den Täter ins Zentrum, der zweite die Opfer.

Dieser Tage könnte man den Eindruck bekommen, dass die Menschheit an Ort und Stelle tritt oder sogar einen Rückwärtssalto in die Voraufklärung macht. Aber manche Dinge werden auch besser – und da zähle ich die #MeToo-Bewegung dazu. Und den Umstand, dass mächtige Männer, die während Jahren und Jahrzehnten Frauen für ihre eigenen Zwecke missbrauchten, zu Objekten degradierten und vergewaltigten, nicht mehr davonkommen.

Zwei Fälle – und zwei Podcasts, die sie aufrollen.

Er hielt sich für unantastbar.

Erstens The Mysterious Mr. Epstein (RSS, iTunes, Spotify): In sechs Folgen rollt Journalist Lindsay Graham die unfassbare Lebensgeschichte von Jeffrey Epstein auf.

Der Podcast erzählt den sagenhaften Aufstieg zum Finanzmogul und Milliardär: Wie Epstein zu einem Mann wird, der mit den Mächtigen per Du ist und nicht nur Präsident Clinton, sondern auch Donald Trump, Prinz Andrew oder Bill Gates kennt, trifft und umgarnt.  Und der sich junge Frauen und minderjährige Mädchen routinemässig zuführen lässt, um sie sexuell zu missbrauchen.

Die Stärke dieses Podcasts ist, dass er die Ungeheuerlichkeiten nüchtern, aber nicht ohne Empathie erzählt – und sich mit moralischer Entrüstung zurückhält. Die ist nämlich schlicht nicht nötig, weil die Fakten alleine empörend genug sind.

Es ist bizarr zu hören, wie der Staatsanwalt Alexander Acosta (der spätere Arbeitsminister in Trumps Kabinett) sich für einen Deal hergibt, der Epstein nicht lebenslang hinter Gitter bringt, sondern ihn  18 Monate absitzen lässt, während denen er ein fast normales Leben führt. Auch weitere Ermittlungen werden verhindert, sodass es nicht wundern darf, dass bei vielen der Eindruck entsteht, dass reiche Männer selbst mit ungeheuerlichen Taten fast ungestraft davonkommen.

Da wundert es auch nicht, dass Epstein offenbar den Eindruck bekommt, unantastbar zu sein und sich mit seinem Geld und seinen Beziehungen aus jeglichen Verstrickungen befreien zu können.

Doch nicht zuletzt dank der Ermittlungen der Presse holen ihn seine Taten doch noch ein. 2019 wird er verhaftet und angeklagt. Im August 2019 stirbt Epstein in seiner Zelle während der Untersuchungshaft. Der Podcast erzählt auch das und geht auf die ungeklärten Umstände und die Verschwörungstheorien ein, ohne sich jedoch auf Spekulationen einzulassen, was nun wirklich passiert ist – auch das eine Stärke dieser Produktion.

Amercia’s Dad ist ein Drecksack.

Zweitens Chasing Cosby (RSS, Spotify, iTunes) der Reporterin Nicki Weisensee Egan von der «Los Angeles Times». Hier geht es um den Mann, der während Jahrzehnten als «America’s Dad» galt. Es ist Bill Cosby, der bizarrerweise 1991 in der Fernsehsendung «Larry King Live» Witze darüber machte, sich Frauen mittels spanischer Fliege gefügig zu machen:

The old story was, if you took a little drop. It was on the head of a pin. And put it in a drink and the girl would drink it and: Hello America!

Das war aber kein Witz – sondern exakt genau seine Methode, mit der er jahrzehntelang Dutzende Frauen unter Betäubungsmittel setzt und sexuell missbraucht. Wie Epstein hält er sich für unantastbar – wegen seines Reichtums, aber auch wegen seines Status als Fernsehstar und der Verehrung, die ihm in den USA deswegen entgegengeschlägt.

Es gibt schon im Jahr 2000 Anzeigen und 2005 ein Strafverfahren, das jedoch nicht zur Anklage kommt. Cosby kann sich hervorragende Anwälte leisten. Und er kauft auch das Schweigen von Frauen, indem er ihre Ausbildung finanziert. Eine Aufnahme eines Telefongesprächs, in dem er das der Mutter eines Opfers vorschlägt, ist im Podcast zu hören.

Die Stärke dieses Podcasts ist, dass es den Täter zu einer Nebenfigur degradiert. Im Zentrum stehen seine Opfer, ihre Geschichten und ihr Kampf bei der Bewältigung des Missbrauchs, aber auch mit der Justiz und den Medien. Der «Deutschlandfunk» formuliert das so:

Denn darin unterscheidet sich «Chasing Cosby» von den vielen der unzähligen True-Crime-Podcasts: kein Rumpsychologisieren über Cosbys Motive, kein Umfeld, das seine Handlungen verteidigt, kein Hype rund um den Täter.

Natürlich versteht jeder Medienmacher die Fixierung auf den Täter: Sie ist spektakulärer und gibt eine viel dramatischere Erzählung her: Die Doppelrolle von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, die Ausflüchte, die Verfolgung, der Fall und am Ende die Bestrafung: Das kitzelt unsere Nerven und es befriedigt unseren Hunger nach Happy Ends. Wenn die Opfer im Zentrum stehen, dann gibt es keine solche Dramaturgie – und auch dieser Podcast macht völlig klar, dass auch die Verurteilung die Wunden nicht schliesst. Sie beschleunigt vielleicht die Heilung – vielleicht aber auch nicht.

Ich will nicht die eine Erzählweise gegen die andere ausspielen. Auch die Beschäftigung mit dem Täter hat ihre Berechtigung. Wir Menschen brauchen sie, um sich mit unseren eigenen Abgründen auseinanderzusetzen. Und es gibt auch Beispiele, in denen Täter und Opfer gerecht repräsentiert sind, zum Beispiel in «Cold» (War ers oder war ers nicht?).

Trotzdem ist es in der Tat so, dass die Opfer häufig eine zu leise oder gar keine Stimme haben. Dieser Podcast macht das nicht wett. Aber er führt vor Augen, dass es anders geht und dass es unendlich wichtig ist, dass die Frauen einen sicheren Raum erhalten, um ihre Erlebnisse zu erzählen. Einen solchen Raum kann ein Podcast (anders als eine Fernseh-Dokumentation) bieten – und es ist ein Verdienst der #MeToo-Bewegung, dass das heute auch passiert.

Beitragsbild: Mihai Surdu, Unsplash-Lizenz

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