So langsam freunde ich mich mit Systemkameras an

Ich habe die Nikon Z6 getestet. Zum ersten Mal hatte ich so richtig Spass mit einem spiegellosen Modell. Gleichzeitig musste ich mich sehr über die Snap Bridge-App aufregen.

Manchmal tun Blogger und Journalisten den Leuten Unrecht. Heute wäre das um ein Haar passiert. Ich wollte nämlich über die App Wireless Mobile Utility von Nikon (gratis fürs iPhone und Android, aber bitte nicht herunterladen!) herziehen. Die ist dazu da, um Bilder von einer Nikon-Kamera mit WLAN herunterzuladen. Ich habe nämlich im Moment die Nikon Z6 zu Hause, über die an dieser Stelle auch noch ein paar Worte zu verlieren wären. Aber zuerst muss ich die schöne Anekdote fertig machen, die ich hier angefangen habe und die den hehren Zweck verfolgt, auf den Unzulänglichkeiten des Apple App Store herumzureiten.

Also diese App von Nikon, die kurz auch WMU genannt wird: Sie sieht so aus, als ob sie im letzten Jahrtausend entwickelt worden wäre. Und sie macht Unfug: Da hat man eine Kamera, die Bilder mit beeindruckenden 24,5 Megapixeln macht. Und was tut diese App? Sie weiss nichts Besseres, als Fotos auf 300 bis 500 KB herunterzurechnen. Sie überträgt auch keine RAW-Dateien und keine Videos. Da platzt nicht nur mir die Hutschnur, sondern auch vielen anderen Anwendern, wie man in den Kommentaren sieht.

Das Problem liegt allerdings daran, dass ich die falsche App genommen habe.

Das ist die App, mit der man seine Bilder herunterladen will.

Um Bilder von einer neuen Nikon-Kamera zu übertragen, benötigt man die App Snap Bridge (für Android und fürs iPhone). WMU scheint der inzwischen obsolete Vorgänger zu sein. Natürlich, ich wäre sicher auf die richtige App hingewiesen worden, wenn ich ge-RTM-hätte. Aber das tue ich bei Testgeräten mit Absicht nicht. Es hilft mir nämlich zu verstehen, ob ein Gerät selbsterklärend ist oder nicht.

Also, ein bisschen Kritik hat Nikon an dieser Stelle schon verdient: Wieso nehmen die nicht die alte App aus dem Store? Man könnte sich die Mühe machen, die neue App Snap Bridge so anzupassen, dass sie auch für alte Kameras funktioniert und WMU ersetzt. Und sonst müsste man die alte App wenigstens so anschreiben, dass sofort klar wird, dass sie nur aus historischen Gründen noch vorhanden ist.

Warum zeigt Apple im Store die Uralt-App noch vor der aktuellen Variante?

Viel Kritik muss hingegen Apple einstecken. Der App Store wurde schon des Öfteren kritisiert (hier oder hier), aber es ist doch wirklich blanker Unsinn, wenn eine nahezu veraltete App in der Suche noch vor der neuen, hübschen und absolut funktionellen App einsortiert wird. Es müsste sich doch allein aus den Nutzerzahlen ableiten lassen, welche App zu bevorzugen ist – es sei denn, es geht den meisten Leuten wie mir, dass sie erst die alte App herunterladen, erst später per Zufall merken, dass die Bilder nicht in der Originalgrösse vorhanden sind, sich fürchterlich aufregen und dann im Web recherchieren, wie sie dieses Problem wohl lösen könnten.

Die Kamera lässt sich auch via App auslösen.

Also, Snap Bridge erledigt die Aufgabe nicht brillant, aber zweckmässig. Gut gefällt mir, dass man auch am iPhone nicht mit den WLAN-Einstellungen hantieren muss, wie das normalerweise der Fall ist – und wie man an dieser Stelle ebenfalls kritisieren muss. Bekanntlich können Android-Smartphones mittels NFC einfach mit Geräten wie Kameras verbunden werden.

Die Geräte erkennen sich dank dieser Funktechnik, die auf kurze Distanz funktioniert, wenn sie nebeneinander gehalten werden. Da Apple NFC (fast) exklusiv für Apple Pay nutzt, ist diese elegante Art der Koppelung beim iPhone nicht möglich, respektive den Airpods vorbehalten – noch so ein Skandal, den man nicht genügend anprangern kann. Wieso wird Apple deswegen eigentlich nicht verklagt?

Jedenfalls hat Nikon das so gelöst, dass man die Kamera mit Bluetooth verbindet. Ist das einmal eingerichtet, funktioniert es automatisch. Die App kann die WLAN-Einstellungen ändern und sich mit der Kamera verbinden, sodass man das nicht bei jedem Übertragungsvorgang selbst tun muss – was wirklich umständlich ist und die drahtlose Bildübertragung unnötig verkompliziert.

Das Übertragen könnte flotter sein

Es dauert für meinen Geschmack etwas lang, bis die Übertragung losgeht – und auch das Starten der Fernauslösung auf der Kamera benötigt für einen ungeduldigen Menschen wie mich zu viel Zeit. Aber es klappt und man muss nicht mehr tun, als die App zu starten, die Kamera einzuschalten und die automatische Verknüpfung einzuschalten (vielleicht kann man die sogar eingeschaltet lassen).

Allerdings: Wenn man nicht aufpasst, werden die Bilder auch mit SnapBridge in niedriger Auflösung aufs Smartphone übertragen. Das ist mir mit meinen Testbildern vom Chlauseinzug in Winterthur passiert, und ich habe es erst nach dem Löschen der Testbilder auf der Speicherkarte bemerkt. Das ist grober Unfug und deshalb muss ich leider auch SnapBridge eine schlechte Note ausstellen.

Also, noch kurz zur Nikon Z6, die an anderer Stelle ausführlicher zu besprechen sein wird. Hier möchte ich erklären, weswegen sie mich vielleicht doch noch auf den Geschmack der Systemkameras bringt – also der DSLM (Digital Single Lens Mirrorless) in Abgrenzung zu den DSLR (digital single lens reflex oder digitale Spiegelreflexkamera).

Ich war bis anhin kein Freund der Systemkameras – oder umgekehrt gesagt: Ich hänge noch immer sehr am optischen Sucher. Es ist eben etwas anderes, direkt auf die Welt zu blicken, als ein Display dazwischen zu haben. Meine Nikon D7000 hat eine Live-View-Funktion, aber die habe ich nur selten verwendet.

Die Debatte des richtigen Suchers wird seit Jahren geführt, sodass die Argumente hinlänglich bekannt sind: Der Sucher funktioniert auch bei hellstem Sonnenlicht. Er braucht keine Batterie – ganz im Gegensatz zum Sonnenlicht. Da man die Welt direkt sieht, hat man keine Verzögerung, wie beim Bild auf dem Display.

Umgekehrt hat auch das Display seine Vorteile: Man kann am ausgestreckten Arm fotografieren. Das ermöglicht Kameraperspektiven, die mit dem Sucher nicht möglich sind oder erfordern, dass man irgendwo raufklettert oder sich in den Dreck legt. (Das Display der Z6 ist ausklappbar, allerdings nur nach oben und unten und nicht seitlich, weswegen sie für Selfie-Videos leider nicht geeignet ist.)

Hilfsmittel fürs Fotografieren

Man kann sich am Display Hilfsinstrumente wie den künstlichen Horizont oder das Focus peaking einblenden (die Verschlusszeit und Blende ist bei modernen Spiegelreflexkameras in einem kleinen Display ersichtlich). Und man sieht auf dem Display sofort, wenn man den falschen Weissabgleich eingestellt hat.

Der wichtigste Vorteil ist allerdings der, dass man auf dem Display bereits ein «verflachtes» Bild sieht, das dem endgültigen Foto näher kommt als die Ansicht durch den Sucher. Beim Sucher ist man geneigt, sich nur aufs Sujet zu konzentrieren und den Hintergrund zu ignorieren. So entstehen dann die berüchtigten Fotobomben. Ich würde vermuten, dass die bei Verwendung des Displays weniger auftreten – habe aber keine verlässlichen Informationen zu dieser Frage gefunden.

Was das Display übrigens aber nicht tut: Es zeigt nicht die endgültige Schärfentiefe an: Die Blende ist normalerweise ganz offen, damit möglichst viel Licht auf den Sensor fällt. Erst beim Auslösen wird abgeblendet.

Auch dem Spiegelreflex-Fan macht die Z6 Spass

Bei der Nikon Z6 ist die Technik aber ausgereift genug, dass man selbst als DSLR-Fan Spass am Fotografieren hat: Das Display im Sucher ist schnell und hell. Man merkt (zum Beispiel bei Schwenks) zwar eine Verzögerung, aber die ist unter der Schwelle, bei der man ich sie als störend empfinden würde. Bei vielen Systemkameras hatte ich das Gefühl, ich hätte wegen des Displays eine aufgemotzte Kompaktknipse in der Hand. Doch bei diesem Modell hier sagt mir mein Gefühl, dass ich mit einer richtigen Kamera arbeite.

Eine beträchtliche Anziehungskraft

Fazit: Ich bin ganz froh, dass ich im Moment mit der erwähnten D7000 noch hervorragend bedient bin. Auch der Vollformatsensor der Z6 übt eine beträchtliche Anziehungskraft auf mich aus. Aber es rechtfertigt sich nicht, eine noch ausgezeichnete Kamera zu ersetzen, zumal die Z6 mit über 3000 Franken/Euro zu Buche schlägt (z.B. bei Amazon) und man wegen des grösseren Bajonetts auch seine Objektivsammlung austauschen muss. Mit der Kamera kommt zwar ein Adapter für die alten Objektive, aber der schwere Objektive noch schwerer und länger und verbessert die Bildqualität auch nicht gerade.

Der Vorteil mancher Systemkameras, etwas kleiner als eine Spiegelreflex zu sein, kommt bei der Z6 übrigens kaum zu tragen. Die ist zwar nicht so voluminös wie eine D1, aber handlich ist auch nicht gerade das Wort, was mir zu ihr einfallen würde.

Beitragsbild: Dieses Bild wurde mit der Z6 aufgenommen. Da das an einem sehr grauen Herbsttag passiert ist, habe ich die Farben in Lightroom noch gewaltig aufgedreht.

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