Hey, du bist nicht der einzige Wutbürger auf Twitter

Wenn­schon, denn­schon: Ich betreibe Medien­kri­tik an einem Twitter-Account, bei dem meine Kol­legen und ich seit Jah­ren den Kopf ge­wa­schen bekom­men.

Die heutige Folge in meiner schönen, neuen Rubrik Der Online-Shit der Woche widme ich dem Betreiber des Twitter-Accounts @ElStumpel. Und zwar für die unermüdliche Medienkritik, die er meinem Arbeitgeber, meinen Kollegen und zwischendurch auch mir zukommen lässt.

Zum Verständnis dieses Blogposts ist es wichtig zu erwähnen, dass ich «El_Stümpel» blockiert habe. Ich bin ein paarmal mit diesem Twitterer aneinandergeraten. Bei diesen Gelegenheiten habe ich festgestellt, dass «El_Stümpel» gern ad hominem austeilt und dazu neigt, alle für alles verantwortlich zu machen. Ich erlaube mir, mich solchen direkten Interaktionen zu entziehen, nachdem ich sie als komplett fruchtlos erlebt habe.

Aber vielleicht klappt die Verständigung auf einem anderen Kanal? Denn für die Ausdauer, die er in seinem medienkritischen Furor beweist, gebührt ihm ein gewisser Respekt. Ebenso für sein Profilbild, das Viktor Orbán mit rot geschminkten Lippen vor einer Pride-Flagge zeigt.

«Belehrungen über Peniswitze»

Also, lieber «El_Stümpel», ich höre dich:

Ich weiss, dass du überzeugt bist, dass mein Lifestyle-People-News-Quatsch nichts mit Kulturberichterstattung zu tun hat, du mein Gelaber über Chatbots dümmlich findest und du nicht über Peniswitze belehrt werden möchtest.

Was habe ich getan?

Es ist bei mir angekommen, dass du mit der Kulturberichterstattung meines Arbeitgebers nicht einverstanden bist. Ich glaube aus deiner Kritik herauszuhören, dass du die Inhalte und formale Präsentation eines klassischen Feuilletons bevorzugen würdest. Das «Leben»-Ressort, zu dem ich gehöre, hat ein weiter gefasstes Themenspektrum, in dem viele Dinge stattfinden, die nicht zur Hochkultur zählen: Kulinarik, Reisen, Promis, Streaming und eben auch so banales Zeug wie Gadgets, Software oder die Kapriolen, die ein Elon Musk bei Twitter schlägt.

Es mag dich überraschen, dass ich deinen Standpunkt gut verstehe. Ich finde auch nicht alles relevant oder interessant, was ich bei uns oder anderswo in der Zeitung lese. Ich rege mich manchmal ebenfalls auf, wenn – willkürliches Beispiel – SRF einen meines Erachtens völlig falschen Schwerpunkt setzt. Und ich finde im Nachhinein nicht alle meine Artikel gelungen. (Die, die du kritisierst, sind aber wirklich allesamt super-duper!)

Ein Bürger, der auf Twitter wütet

Aber jetzt kommt der Punkt, an dem mein Verständnis endet. Ich kapiere nicht, warum du deine Medienkritik mit so viel Verbitterung verbreitest, so despektierlich formulierst und mit so vielen abwertenden Adjektiven spickst. Du bist so absolut in deiner Ablehnung, dass ich die Versuche einer Versöhnung abgebrochen und stattdessen den Blockier-Knopf gedrückt habe. Du wirkst auf mich wie ein Stalker, der jeden Schritt eines Menschen verfolgt, nur um sich selbst zu bestätigen, dass die Person alles falsch macht, seit sie deine Zuneigung nicht erwidern konnte oder wollte.

Vermutlich ist diese Interpretation falsch und du gehörst zu den Leuten, die im richtigen Leben völlig vernünftig sind, sich aber von der toxischen Diskussionskultur haben vereinnahmen lassen, die inzwischen auf Twitter herrscht. Da geht es nur noch darum, seine Abneigungen zu zelebrieren, seine Verachtung kundzutun und zu demonstrieren, dass man niemals nie nur einen Millimeter von seiner Haltung abrücken würde.

Raus aus dem toxischen Umfeld bei Twitter

Falls das der Fall sein sollte, sei mir ein scheuer Einwand erlaubt: Ich glaube nicht, dass das irgendjemandem etwas bringt. Und vor allem fürchte ich, dass es unseren Seelen schadet, wenn wir von dem Gedanken vereinnahmen lassen, alles schlecht finden zu müssen. Wir sollten von unserer Freiheit Gebrauch machen, uns zu entziehen: Du musst kein Medium lesen, für das du nur Verachtung empfindest. Es gibt doch sicherlich eines, dass dir eher entspricht?

Und wenn diese Medienkritik nicht bloss ein Frustventil, sondern ein echtes Anliegen ist: Dann starte ein Blog, einen Youtube-Kanal oder einen Podcast, in dem du mehr als 280 Zeichen zur Verfügung hast, deine (manchmal einleuchtenden) Argumente nicht bloss andeuten, sondern ausführen kannst und aus diesem elenden Twiter-Umfeld rauskommst.

2 Kommentare zu «Hey, du bist nicht der einzige Wutbürger auf Twitter»

  1. Es hilft, das Verhalten anderer Leute grundsätzlich positiv zu sehen. Wenn in einer Zeitung Unsinn steht, soll man nicht davon ausgehen, dass die Journalisten einen absichtlich ärgern wollen, sondern dass ihnen ein Fehler unterlaufen ist.

    In unserer Lokalzeitung gab es gehäuft Artikel über technische Themen, die inhaltlich nicht korrekt waren. Die Marketing-Aussagen der porträtierten Firmen wurden zu wenig hinterfragt. Die Artikel stammten alle von jungen Journalisten.

    Was tun?
    a.) Auf Twitter über die ganze Branche wettern?
    b.) In einem Kommentar den Journalisten herunterputzen?
    c.) Sich per E-Mail an den Chefredaktor wenden?

    Ich habe mich für c.) entschieden und ein freundliches E-Mail verfasst, indem ich meinen Eindruck geschildert habe, dass die Jungmannschaft vielleicht zu wenig unter den Fittichen von Leuten mit Erfahrung sei und deshalb solche Fehler passiert seien.

    Innert eines Tages hatte ich eine freundliche Antwort, die Qualitätssicherung wurde verbessert und seither konnte ich keine groben Fehler mehr feststellen.

    Ziel erreicht und das ohne, dass ich junge, motivierte Journalisten hätte öffentlich blossstellen müssen.

    Das geht natürlich nur bei Qualitätsmedien. Bei Gratiszeitungen gehören ungeprüfte Aussagen und irreführende Titel zum Geschäftsmodell, weil es finanziell nur so aufgeht.

    1. Das ist aber sehr selten der Fall. Viel häufiger werden Korrekturmeldungen ignoriert, und hin und wieder der Artikel dann intransparent korrigiert. Weist man per Kommentarfeld freundlich (!) auf Fehler hin, werden diese vielfach gar nicht erst aufgeschaltet.
      Eine Branche, die derart intransparent mit eigenen Fehlern umgeht, aber anderen keinerlei Fehler zugesteht (beispielsweise Personen in der Politik), muss sich nicht wundern, wenn sich die Unzufriedenheit in den sozialen Medien Luft verschafft.

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