Portals (Deutsch: Portale) von Douglas E. Richard ist ein bemerkenswertes Buch: Das erste Drittel hat mich so genervt, dass ich es um ein Haar in die Ecke geschmissen hätte. Nur weil ich es hier im Blog besprechen wollte, bin ich drangeblieben – denn die Ehre des Rezensenten gebietet, vor einem Verriss bis zum Ende durchzuhalten.
Und siehe da: Die zweiten beiden Drittel entpuppten sich als spannend, mit überraschenden Wendungen, einem unerwarteten philosophischen Unterton und einem interessanten Dilemma. Es ist daher (im weitesten Sinn) euch hier zu verdanken, dass mir dieses Lesevergnügen nicht entgangen ist. Die Frage sei aber erlaubt, wie viele Leserinnen und Leser ohne Hang zur Literaturkritik vorzeitig aufgegeben haben.
You’re in the Hightech army, now!
Es schleckt keine Geiss weg, dass das Buch Mängel hat. Die Geschichte liest sich anfangs hölzern und eindimensional; eine Art Groschenroman für Hightech-Militär-Nerds, die den Geruch von Waffenöl, Pulverdampf und männlichen Körperausdünstungen lieben und von einem Plot vollauf befriedigt sind, der dem Helden möglichst viele Gelegenheiten einräumt, seine Kampftüchtigkeit auf dem Feld und in verdeckten Operationen zu beweisen.
Mir gefällt das nicht – trotz des gelegentlichen trockenen Humors, der mich ebenfalls bei der Stange hält. Mein Wunsch an den Helden ist, dass er mit List, Tücke und scharfen Gedanken gewinnt, nicht durch Brutalität, grössere Munitionsvorräte und die besseren taktischen Mittel. Eine gewisse Schuld, dass sich ein falsches Bild aufdrängt, trägt der Sprecher des englischen Hörbuchs, Johnathan McClain. Er hat einen etwas zu maskulin-draufgängerischen Tonfall am Leib, als dass allzu viele Zwischentöne erwarten würde.
Und auch der Stil von Douglas E. Richard hat seine Mängel. Ein Kommentator auf Amazon hat gewitzelt, dass er sich hervorragend hydriert habe, weil er jedes Mal, wenn einer der Protagonisten sich ironisch äusserte, einen Schluck aus seiner Wasserflasche genommen habe. Und tatsächlich, das englische Adjektiv «wrily» taucht im Text ständig auf. (Randbemerkung: Würde ich zu den Leuten gehören, die sich über das «virtue signalling» anderer Leute lustig machen, hätte ich mir die Bemerkung nicht verkniffen, dass tugendhafte Menschen heute sogar Trinkspiele mit reinem Wasser abhalten.)
Nur Leser mit Durchhaltewillen schaffen es zum vergnüglichen Teil
Ich rechne es Douglas E. Richard aber hoch an, dass er für sein Verwirrspiel in Kauf nimmt, dass ein Teil der Leserinnen und Lesern vorzeitig abspringen werden. Er legt es darauf an, seine Hauptfigur Noah Harris als strahlenden Superhelden ins allerbeste Licht zu rücken, dass das manchen Leserinnen und Lesern (mich inbegriffen) gehörig auf den Wecker geht. Und er bringt Wendungen in seine Geschichte ein, die die Glaubwürdigkeit strapazieren (Stichwort: Wunderkur gegen jegliches Suchtverhalten).
Je mehr wir uns beim Lesen dieser Passagen genervt haben, umso befriedigender ist es, wenn sich Noah plötzlich in der Defensiven vorfindet und sich vorwerfen muss, sehr blauäugig gewesen zu sein, als er gewisse Dinge vorbehaltlos geglaubt hat (Stichwort: Wunderkur gegen jegliches Suchtverhalten): Denn wenn darf man sich im Leben schon so ungeniert als Besserwisser fühlen?
Die Romanze ist haarsträubend
Es bleibt dabei, dass das Buch noch besser wäre, wenn es feinfühliger und weniger grell und comichaft verfasst worden wäre. Die Liebesgeschichte zwischen Noah Harris und Ashley Flynn ist nicht bloss romantisches Beiwerk, sondern für die Geschichte entscheidend. Aber trotzdem ist die derartig klischeehaft geschildert, dass wir uns einen Autor wünschen würden, der nicht bloss Waffensysteme und Kampfhelikopter glaubhaft beschreiben kann.
Aber konkret: Ich habe «Portals» als Lektüre ausgesucht, weil ich die Möglichkeiten des Multiversums gern literarisch erforsche. Das trifft auf diese Geschichte zwar nicht zu, aber trotzdem verhandelt es ein ähnliches Konzept. Um das zu erklären, werde ich nachher einige Spoiler anbringen müssen. Fürs Fazit sei gesagt, dass ich es vorgezogen hätte, wenn der Autor mehr Wert auf die philosophische Tiefe und die intellektuelle Durchschlagskraft als aufs Testosteron gelegt hätte. Trotzdem ist «Portals» eine Empfehlung wert.
Also, jetzt mit Spoilern. Es gibt in «Portals» eine riesige Anzahl von Erden, die über die titelgebenden interdimensionalen Tore verbunden sind. Sie befinden sich aber nicht in Paralleluniversen, sondern sind alle in einem – unserem – Universum angesiedelt. Eine unbekannte Macht hat viele Planeten per Terraforming angepasst und Menschen gleichen Ursprungs angesiedelt. Der Grund dafür ist unbekannt. Aber es könnte sich um eine Art riesiges darwinistisches Experiment handeln – das als Resultat zeigen soll, unter welchen Umständen sich diese unsere Spezies am besten entwickelt.
Die Diktatur als überlegenes System?
Eine dieser Erden heisst Correa. Dort hat die Entwicklung der Menschheit einen radikal anderen Verlauf genommen. Das römische Reich ist nie untergegangen, sondern hat sich über den ganzen Globus ausgebreitet. Es gibt keine Nationalstaaten, die unterschiedliche Herrschaftsformen und gesellschaftliche Lebensweisen hätten entwickeln können, sondern nur den Herrscher und dessen Ansichten.
Der führt seine Untertanen als Diktator, und während die meisten von ihnen ein gutes Leben haben, auch wenn sie auf Internet und Smartphones verzichten müssen, so gilt das nicht für alle: Durch ein Eugenikprogramm hat sich eine hochgezüchtete Super-Ellite entwickelt, die der Diktator als Bedrohung empfand und auslöschen liess. Nur einigen wenigen ist die Flucht zu unserer Erde gelungen – und zu diesen zählt auch Ashley Flynn, Noah Harris’ Superfreundin.
Nun hat dieser – unter grossen Vorbehalten als gutmütig zu bezeichnende – Diktator den Beschluss gefasst, seine Herrschaftssphäre auf unsere Erde auszuweiten. Noah soll ihm dabei helfen: Denn unser Superman-artiger Held hat den Fehler gemacht, sich beim Versuch, einen entführten Wissenschaftler von Correa auf die Erde zurückzubringen, gefangennehmen zu lassen. Der Diktator stellt ihm jetzt ein Ultimatum: Entweder wechselt er die Seiten – dann darf er Ashley heiraten und ein glückliches Leben führen. Oder er tut es nicht; dann muss Ashley die Frau des Diktators werden.
Ein intergalaktischer Penisvergleich?
Der Höhepunkt des Buchs ist die Szene, in der der Diktator Noah diesen Plan schmackhaft machen will und herausstreicht, was es unter seiner Herrschaft alles nicht gibt: kein Krieg zwischen Staaten, keinen Hunger, kein Rassismus und viel weniger zwischenmenschliche, von sozialen Medien angeheizte Konflikte. Der Diktator ist so ein guter Verkäufer seiner selbst und seines Regierungsstils, dass Noah nicht umhinkommt anzuerkennen, dass unsere Erde ihren Bewohnern einiges abverlangt – auch in den freien, demokratischen Staaten.
Douglas E. Richard gelingt es, die Faszination des «starken, gutmütigen Führers» fassbar zu machen. Dieser Aspekt hätte im Buch mehr Raum und philosophische Tiefe verdient. Wie würde unsere Erde in einem grossen, pardon: galaktischen Penisvergleich abschneiden Experiment, bei dem ganz viele Gesellschafts- und Regierungssysteme gnaden- und vorbehaltlos und ohne jegliche moralische Vorprägung gegeneinander abgewogen würden? Das hat Potenzial für eine Geschichte, mit noch etwas mehr Tragweite als «Portals».
Beitragsbild: Wo geht es hier zur Gesellschafts-Utopie? (Dall-e 3)