Was Charles Bukowski auf Facebook treibt

Einer meiner Face­book-Freunde heisst wie der Kult­autor – und wie das gros­se Vor­bild ist er manch­mal rüde und frauen­feind­lich. Ist das Pseudo­nym eine taug­li­che Methode, um mit Be­lei­di­gungen durch­zu­kom­men?

Beitragsbild: Charles Bukowski, Graffiti, Rue d’Alsace im 10. Arrondissement von Paris (GFreihalter/Wikimedia, CC BY-SA 3.0 Deed).

Auf Facebook habe ich 629 Freunde. Meine Timeline wird, über den Daumen gepeilt, von drei Dutzend Leuten bestritten. 95 Prozent sind das, was man Lurker nennt: Sie lesen nur und tragen nichts bei – oder vielleicht haben sie sich auch längst von Facebook verabschiedet und bloss ihr Konto nicht gelöscht.

Die aktiven Leute wiederum verbreiten nur zu einem geringen Prozentsatz eigene Inhalte. Ein paar Leute posten gelegentlich ein eigenes Foto als kleines, aber meist nicht sonderlich tiefgründiges Aperçu aus ihrem Leben.

Leute, die tatsächlich ausführliche Erlebnisse oder Beobachtungen schildern oder differenzierte Texte posten, sind die absolute Ausnahme. Mir fallen nur zwei Personen ein, die das regelmässig tun: beides Frauen.

Der grosse Rest sind rezyklierte Inhalte. Darunter zählen Memes und Fundstücke aus dem Web. Grösstenteils handelt es sich um Bilder, die schon so oft gepostet und repostet wurden, dass die Qualität arg gelitten hat und die auch inhaltlich nicht durch einen sonderlichen Tiefgang auffallen.

Seit dreissig Jahren tot, und trotzdem auf Facebook

Die meisten Leute wollen mit ihren Postings offensichtlich unterhalten und einen kleinen Einblick in ihr Leben gewähren, aber ohne sich angreifbar zu machen. Das Bedürfnis nach Entblössung oder intensiver Auseinandersetzung haben sie nicht und die Lust auf Kontroversen scheint mir seit Corona, dem Ukrainekrieg und dem Konflikt im Nahen Osten auch nicht mehr gross.

Dann gibt einige Ausnahmen. Eine davon nenne ich hier namentlich, weil es sich um ein Pseudonym handeln dürfte: Charles Bukowski, der Schriftsteller und Dichter, ist bekanntlich seit fast dreissig Jahren tot. Nach einer Nachfrage¹, gehe ich davon aus, dass Bukowskis Namensvetter auf Facebook in Wirklichkeit anders heisst.

Dieser «Charles Bukowski» ist hyperaktiv. Er setzt teils Dutzende Beiträge pro Tag ab: Artikel von TAZ, Focus, Blick und anderen grossen Medien, bisweilen ein eigenes Foto, aber mit einem unpersönlichen Motiv. Und er teilt viele Beiträge aus seinem eigenen Freundeskreis.

«Das ist ein CAT994A»

Der grösste Teil dieses Outputs lässt auf einen differenzierten Zeitgenossen mit vernünftigen Ansichten schliessen. Doch zwischendurch teilt «Charles Bukowski» auch höchst Fragwürdiges. Zwei Beispiele:

Ein Meme, das längst widerlegt worden ist.

Der Beitrag «Das ist ein CAT994A» hat den offensichtlichen Zweck, Elektroautos zu diskreditieren und deren Besitzerinnen und Besitzer als heuchlerisch hinzustellen.

Es bräuchte nur eine einzige Google-Suche zu dieser Bezeichnung, um auf einen Faktencheck der AFP zu stossen: Nein, dieser Radlader verbraucht nicht 6800 Liter Diesel in zwölf Stunden. Dieser Faktencheck passt zwar nicht genau zu der Version des Postings, aber es bleibt dabei, dass die implizite Botschaft, dass für die Herstellung der Batterie eines E-Autos unverhältnismässige Mengen von Diesel verbraucht werden, nicht haltbar ist.

Ein respektloser, unwürdiger und dummer Post.

Der zweite Beitrag ist einfach nur eine widerliche Verunglimpfung einer deutschen Politikerin, die als Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag sitzt. Sie wird immer wieder Ziel von Bodyshaming und anderen Verunglimpfungen, und an ihrer Person lässt sich gut ablesen, wie völlig unfähig und unwillig ein Teil der Social-Media-Nutzerschaft ist, mit abweichenden Lebensstilen umzugehen. Um politische Differenzen geht es hier schon gar nicht mehr, sondern nur noch um persönliche Herabwürdigung.

Warum also teilt ein (mutmasslich) vernünftiger Zeitgenosse zwischendurch derart deplatziertes Zeugs?

Besoffen auf Facebook gepostet?

Vielleicht ist er zwischendurch einfach stockbesoffen wie sein Namensgeber?

Gehen wir davon aus, dass das nicht die Begründung ist. Im Fall des CAT994A könnten wir vermuten, dass er zu faul zum Recherchieren war oder in einem schwachen Moment seine persönlichen Aversionen nicht unter Kontrolle hatte. In einem früheren, ähnlichen Fall habe ich nachgefragt und die Antwort erhalten, eine solch überspitzte Botschaft sei ideal, um eine Debatte anzustossen. Ich bin anderer Meinung, und weil der grösste Teil meiner Facebook-Timeline eher moderat und oberflächlich ist, wirken diese giftigen Posts umso destruktiver.

Bleibt eine Frage:

Taugt es als Rechtfertigung, sich hinter Charles Bukowski zu verstecken? Dieser Mann hatte bekanntlich einen Schreibstil, der nichts für empfindliche Nerven war. Er liess uns in seine Abgründe blicken und sah keinen Sinn darin, die poetisch zu verklären. Sein Ding war die rohe und oft vulgäre Ausdrucksweise.

Wenn schon Bukowski, dann schon Bukowski!

Also, wenn wir davon ausgehen, dass Charles Bukowski erstens Facebook etwas hätte abgewinnen können und zweitens eine negative Meinung zu E-Autos gehabt hätte, dann hätte er wohl kaum ein lahmes und längst widerlegtes Meme geteilt, sondern eine eigene Tirade vom Stapel gelassen. Ich habe mir das Vergnügen erlaubt, ChatGPT genau darum zu bitten: um eine Tirade im Bukowski-Stil gegen E-Autos:

E-Autos, verdammt. Sie sagen, sie sind sauber, sie sind die Zukunft. Bullshit. Sie fahren leise durch die Strassen, als ob sie sich für was Besseres halten. Kein Röhren, kein Knattern, nur dieses leise Surren, als ob sie sich anschleichen würden.

Sie denken, sie retten die Welt, aber woher kommt der ganze Strom? Aus der Luft? Nein, Freundchen, aus der gleichen dreckigen Industrie, die die Luft verpestet und die Flüsse vergiftet. Sie stecken die Kabel in ihre Autos und denken, sie seien jetzt Heilige. Ein Haufen Heuchler.

Und dann diese Selbstzufriedenheit, mit der sie durch die Stadt gleiten. Wie sie mit ihren sauberen, leisen Autos vorfahren, als wären sie die Retter der Menschheit. Lächerlich. Sie ersetzen nur eine Art von Verschmutzung durch eine andere, und dann tun sie so, als wären sie die grossen Helden.

Die Welt ist ein dreckiger Ort, und diese sauberen, leisen E-Autos ändern nichts daran. Sie sind nur ein weiterer Trick, um uns glauben zu machen, dass wir etwas Gutes tun, während wir uns weiterhin gegenseitig und den Planeten zerstören.

Ich glaube, sprachlich müsste das noch um einiges rauer daherkommen. Aber die Stossrichtung kann ich nachvollziehen – und auf dieser Ebene funktioniert auch die Kritik; egal, ob wir sie uns zu eigen machen oder nicht.

Also, wenn man sich auf Facebook einen berühmten Namenspatron sucht, dann müsste man auch minimale Anstrengungen unternehmen, um dem Vorbild gerecht zu werden. Und als Rechtfertigung für ungefilterte Misogynie taugt das Tricklein erst recht nicht. Es wird darüber gestritten, ob Bukowski (entgegen seiner Selbsteinschätzung) ein Misanthrop und Frauenfeind war.

Ich tendiere zur Ansicht, dass beide Vorwürfe zutreffen. Aber selbst dann ist es allzu billig, nur die negativen Seiten des Idols auszuleben, wenn offensichtlich ist, dass einem dessen Genie völlig abgeht.

Fussnoten

1) Meine Anfrage ist unbeantwortet geblieben, beide der Posts, um die es hier geht, hat der Facebook-Nutzer direkt nach meiner Kontaktaufnahme gelöscht.

Ich habe gefragt, ob es sich bei Charles Bukowski um ein Pseudonym handelt, und ich wollte folgende Dinge wissen:

  • Nach welchen Kriterien teilst bzw. repostest du Beiträge?
  • Über welche Reaktionen freust du dich? Über welche schüttelst du den Kopf?
  • Überprüfst du Beiträge vor dem Posten auf ihren Wahrheitsgehalt?
  • Was bezweckst du mit deiner Präsenz auf Facebook?
  • Stimmt es, dass du Anwalt bzw. Jurist bist, wie jemand mal geschrieben hat?

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