Pack die Koffer, wir fliegen zum Ganymed!

Warum hat mich diese Scifi-Ge­schich­te von Robert A. Heinlein so gar nicht gepackt? Ist es eine kluge Idee, sich bei der Buch­be­spre­chung von «Farmer in the Sky» von ChatGPT assis­tie­ren zu lassen? Und: Wie wäre das Leben auf Jupiters gröss­tem Mond tat­säch­lich?

Neulich gab es bei Audible das Buch Farmer in the Sky (Farmer im All) von Robert A. Heinlein zum Schleuderpreis. Ich habe zugegriffen, mir die Geschichte angehört – und ich schon zum dritten Mal zur Erkenntnis gelangt, dass Heinlein mein Blut nicht in Wallung zu bringen vermag.

Auch diese Story hier ist ganz unterhaltsam. Aber die Hauptfigur schafft es nicht, in mir echtes menschliches Mitgefühl zu entfachen. Warum? Ich habe zur Beantwortung dieser Frage gemacht, was heutzutage naheliegend und in diesem Kontext nicht einer gewissen Ironie entbehrt: Ich habe nämlich jene Maschine zurate gezogen, die auch in Heinleins Büchern nicht verkehrt gewesen wäre. ChatGPT nämlich. Das Sprachmodell lieferte mir umgehend drei Erklärungsansätze:

Betonung des Intellekts: Heinlein legte oft grossen Wert auf Intellekt und Rationalität. Seine Geschichten konzentrieren sich häufig auf wissenschaftliche und technologische Konzepte sowie auf politische und philosophische Diskussionen. Dadurch kann der emotionale Aspekt in den Hintergrund treten.

Intellekt und Rationalität sind in Sciencefiction-Storys nicht verkehrt. Aber sie sollten nicht zulasten der Conditio humana gehen. Das scheint bei Heinlein aber oft der Fall zu sein.

Die Pfadi ist neuerdings auch im All allzeit bereit.

Um das mit – Achtung! – Spoilern genauer auszuführen: Bei «Farmer in the Sky» steht William (Bill) Lermer im Zentrum, ein Teenager, der seine Mutter verloren hat und sich entschliesst, mit seinem Vater auf den Jupiter-Mond Ganymed auszuwandern. Wir erleben mit, wie er zusammen mit einer grossen Gruppe von Kolonialisten mit dem Raumschiff «Mayflower» zur neuen Heimat fliegt. Unterwegs rettet er einige Mitreisende, als ein Meteorit das Schiff trifft und für eine Dekompression sorgt. Er baut zusammen mit anderen eine Pfadfinder-Einheit auf.

Niemand hat auf die Auswanderer gewartet

Angekommen auf Ganymed erfährt er, dass die Kolonialisten dort nicht auf die Neuankömmlinge gewartet haben. Doch Bill widersteht der Versuchung, zur Erde zurückzukehren. Er siedelt und hat das Glück, dass zu seinen neuen Nachbarn die Familie Schultz gehört. Die haben sich erfolgreich niedergelassen, haben einen Apfelbaum und wissen, wie man den Boden des Mondes fruchtbar macht. Bill lernt von ihnen genug, um selbst einen Landwirtschaftsbetrieb aufzubauen.

Er nimmt seine Bestimmung als Bauer auf einem fremden Planeten an und lässt sich davon auch nicht abbringen, als durch eine seltene Konstellation eine Katastrophe ausgelöst wird: Als alle Jupiter-Monde in einer Reihe stehen, löst das auf Ganymed ein Beben aus, das Häuser zum Einsturz bringt und die Kolonialisierung infrage stellt. Aber Bill gibt nicht auf und repariert den Schaden – und entdeckt bei Expedition ein Gefährt einer früheren Zivilisation, als deren Nachfolger er sich nun sieht.

Dem Autor war es wichtig darzulegen, wie eine solche Kolonialisierung ablaufen und gelingen könnte. Was der Abschied von der Erde und die Ankunft in einer neuen Welt mit der menschlichen Seele macht, bleibt bei Heinlein weitgehend auf der Strecke. Es gibt zwar dramatische Wendungen: Bills Stiefschwester Peggy kann sich nicht an den niedrigen Atomsphärendruck gewöhnen und muss ihre Zeit erst im Krankenhaus, dann in einem druckdichten Raum verbringen. Beim Mondbeben wird sie verletzt und stirbt – was Bill mit einer erstaunlichen Gleichgültigkeit quittiert.

Wenig Empathie des Autors für seine Figuren

Das scheint mir daran zu liegen, dass auch der Autor nicht viel Mitgefühl für diese Figur empfindet – und das ist ein Sakrileg für einen Schriftsteller. Denken wir im Gegensatz dazu an Andreas Eschbach, dem seine Figuren am Herzen liegen. Er hat ebenfalls Jugendliche auswandern lassen. Seine Reihe «Das Marsprojekt» beweist, dass sich die technisch-wissenschaftlichen Aspekte darlegen lassen, ohne gefühlskalte Figuren bemühen zu müssen.

Aber ChatGPT hatte noch weitere Argumente auf Lager:

Klar strukturierte Gesellschaften: Heinleins Romane präsentieren oft gut organisierte und strukturierte zukünftige Gesellschaften. Diese Gesellschaften haben klare Regeln und Hierarchien, die das Leben der Charaktere bestimmen. Dies kann dazu führen, dass die Protagonisten in ihren Handlungen und Emotionen eingeschränkt wirken und dadurch eine distanzierte Wirkung erzeugt wird.

Es passt dazu, dass Heinleins Figur William (Bill) Lermer ein so begeisterter Pfadfinder ist.

Exploratorische Ideen: Heinleins Bücher sind oft geprägt von innovativen und spekulativen Ideen, die die Grenzen der Realität überschreiten. Dies kann dazu führen, dass der Fokus auf die Entwicklung dieser Ideen und Konzepte gelegt wird, während die Charakterentwicklung und emotionale Tiefe möglicherweise weniger im Vordergrund stehen.

Ja – und nein. Diese spekulativen Ideen müssten nicht im Gegensatz zum schriftstellerischen Handwerk stehen. Sie tun es hier aber offensichtlich, weil der Autor an ihnen mehr Spass hatte als an jenen Handlungselementen, die man auch in jedem anderen Genre findet.

ChatGPT, der Literaturkritiker

Wir lernen an dieser Stelle, dass «Farmer in the Sky» kein sonderlich gelungenes Werk ist, dass ChatGPT uns für unsere Besprechungen aber nützliche Impulse liefern kann. Ich habe den Chatbot noch etwas Zweites gefragt. Nämlich, wieso Bill seine Eltern nicht Mama und Papa nennt. Antwort:

In Robert A. Heinleins Buch «Farmer in the Sky» nennt der Hauptcharakter Bill seine Eltern nicht Mama und Papa, sondern beim Vornamen, weil dies ein häufiger Brauch in den Weltraumkolonien ist, in denen die Geschichte stattfindet.

In der Welt von «Farmer in the Sky» sind die meisten Menschen auf Raumstationen oder in Kolonien auf anderen Planeten angesiedelt, wo sie in einer relativ kleinen Gemeinschaft leben. In solchen Umgebungen ist es üblich, sich gegenseitig beim Vornamen anzusprechen, um eine informellere Atmosphäre zu schaffen und das Gefühl von Nähe und Vertrautheit zu fördern.

Es ist auch möglich, dass diese Namenskonvention Teil von Heinleins grösseren Ideen über die Schaffung von Gemeinschaften und sozialen Systemen war. Der Autor hat in vielen seiner Werke eine Vorliebe für libertäre und individualistische Ideen gezeigt, und die Verwendung von Vornamen anstelle von traditionellen Titeln wie «Mama» und «Papa» könnte als Ausdruck dieser Philosophie gesehen werden.

Der erste Teil der Antwort überzeugt mich nicht. Der Hinweis auf die «libertären und individualistischen Ideen» hingegen schon. Mir scheint, dass ChatGPT damit ins Schwarze getroffen hat: Die seltsame Distanz, die zwischen den Familienmitgliedern herrscht, könnte sich dadurch erklären lassen, dass Heinlein die Gemeinschaft höher gewichtet.

Das scheint mir auch ein Zeichen der Zeit zu sein – ich habe das auch in Teilen meiner Familie beobachtet, wo grössere Gemeinschaften die klassischen «Zweierkisten» und Familienstrukturen hätten ablösen sollen. Dort war das eine Form von naivem Sozialismus, der auch eine Art antiautoritäres Idealbild verfolgt hat, in Tat und Wahrheit aber nur das Machtgefälle kaschiert und zementiert hat. Ich gebe zu, dass diese Erfahrung eine gewisse Mitschuld trägt, dass ich nicht bereit bin, Heinlein seine Vorstellungen abzukaufen …

Wie lebt es sich auf Ganymed?

Also, es bleibt die eigentlich interessante Frage: Könnten oder sollten wir Ganymed besiedeln?

«Die Zeit» hat im August 2014 im Beitrag Wann fahren wir los? Wie weit ist es noch? Wann sind wir da? darauf eine interessante Antwort:

Im Sonnensystem gibt es Hunderte Monde und Asteroiden, und auf einigen von ihnen könnten Menschen theoretisch Fuss fassen. Saturn und Jupiter werden jeweils von mehr als fünfzig Monden umkreist. Die beiden grössten, der Saturnmond Titan und der Jupitermond Ganymed, sind mit über 5000 Kilometer Durchmesser grösser als der Planet Merkur.

Und natürlich ist auch ChatGPT noch so bereit zu einer Stellungnahme¹. Und die lässt hoffen. Ein bisschen, zumindest.

Fussnoten

1) Das meint ChatGPT zur baldigen Besiedelung von Ganymed:

Die Besiedelung von Ganymed, dem größten Mond des Planeten Jupiter, ist theoretisch möglich, aber es gibt eine Reihe von Herausforderungen, die berücksichtigt werden müssen.

  1. Extreme Umweltbedingungen: Ganymed ist ein eisiger Mond mit einer dünnen Atmosphäre. Die Oberflächentemperatur liegt bei etwa minus 160 Grad Celsius, was menschliches Leben extrem schwierig macht. Es würde erhebliche Anstrengungen erfordern, um eine bewohnbare Umgebung zu schaffen, in der Menschen überleben können.
  2. Strahlung: Ganymed befindet sich in der Jupiterumgebung, die einer hohen Strahlung ausgesetzt ist. Diese Strahlung kann gesundheitsschädlich sein und erfordert entsprechende Schutzmassnahmen für die Bewohner.
  3. Ressourcenversorgung: Eine erfolgreiche Besiedelung erfordert eine nachhaltige Versorgung mit Nahrung, Wasser, Energie und anderen lebenswichtigen Ressourcen. Diese Ressourcen müssten entweder von der Erde importiert oder vor Ort gewonnen werden, was technisch anspruchsvoll und kostspielig sein kann.
  4. Transport und Kommunikation: Die Entfernung zwischen Ganymed und der Erde ist enorm. Reisen und Kommunikation würden erhebliche Zeit- und Energieaufwendungen erfordern. Es müssten effiziente Transport- und Kommunikationssysteme entwickelt werden, um die Verbindung mit der Heimatwelt aufrechtzuerhalten.

Trotz dieser Herausforderungen haben Wissenschaftler und Raumfahrtexperten Konzepte für eine potenzielle Besiedelung von Himmelskörpern wie Ganymed diskutiert. Zukünftige Fortschritte in der Raumfahrttechnologie und Lebenserhaltungssystemen könnten den Weg für solche Missionen ebnen. Allerdings ist die Besiedelung von Ganymed derzeit noch rein spekulativ und erfordert viele technologische Durchbrüche und Ressourcen, um sie zu verwirklichen.

Beitragsbild: Der Nachthimmel wäre ohne Zweifel spektakulär (Arndt Stelter, Pixabay-Lizenz).

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