Ich hatte jahrelang ein GA. Für Nichtschweizer: Das ist ein Generalabonnement, mit dem man fast alle öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos benutzen darf. Man kann es mit der BahnCard 100 in Deutschland vergleichen, wobei die sich meines Wissens auch auf viele Bus- und Tram-Strecken, jedoch nicht auf Schifffahrtslinien und Bergbahnen erstreckt.
Die Flatrate im öffentlichen Verkehr gibt einem vor allem auch ein schönes Gefühl der Freiheit: Man kann in jeden Zug einsteigen und, die entsprechende Freizeit vorausgesetzt, hinfahren, wohin man will. Sieht man aus dem Fenster des Zuges einen interessanten Bahnhof mit einem vielversprechenden Ortsnamen, dann steigt man aus. Und wenn das Kaff die Erwartungen nicht erfüllt, fährt man weiter – und zwar in die Himmelsrichtung, die einem gerade am verlockendsten erscheint.
Gibt es Leute, die ins Blaue hinaus verreisen
Ich weiss nicht, wie viele Leute das dann auch wirklich tun: Komplett planlos herumreisen, nur der eigenen Spontaneität verpflichtet. «Der Nase nach», wie es in Deutsch so schön heisst. (Ich erinnere mich, dass ich einmal zwei Kanadierinnen getroffen habe, denen ich dieses Reiseprinzip erst einmal erklären musste. Ich glaube, es war in Norwegen, mutmasslich sogar in der Jugendherberge in Oslo, wo ich erfolgreich für das «Follow your nose»-Prinzip geworben habe. Falls das in Kanada inzwischen auch verbreitet ist, müsste das mein Verdienst sein.
Jedenfalls habe ich diese Freiheit dann doch nicht so intensiv genutzt, dass dieser grosse Fixbetrag in meinem Jahresbudget zu rechtfertigen gewesen wäre. Ein GA kostet inzwischen satte 3860 Franken. Man müsste jeden Tag für etwa elf Franken zugfahren, damit es sich rechnet. Und nur für das Gefühl, dass man überall hinreisen könnte, wenn man wollte, ist es dann doch etwas viel Geld.
Darum finde ich es interessant, dass neue Ticket-Apps die Freiheit des GAs nun ohne die Fixkosten ermöglichen. Man registriert in der App den Antritt der Reise und beendet sie in der App und erhält dann den Preis für die zurückgelegte Strecke verrechnet. So kann man genauso flexibel in der Gegend herumfahren wie ein GA-Besitzer – aber man bezahlt dann doch nur die Reise selbst.
Man kann sich einreden, das Zugfahren wäre gratis
Klar, es ist nicht ganz das gleiche, weil man sich beim GA einreden kann, die Fahrt selbst wäre gratis, nachdem man das GA bereits bezahlt hat: Die gleiche Illustion befällt auch viele Autofahrer, die glauben, das Autofahren selbst sei, nachdem sie ihren Wagen gekauft haben quasi fast gratis.
Umgekehrt werfen Fairtiq, Lezzgo und Easy Ride die Frage auf, wie lange es das GA noch geben wird. Denn ein Argument fürs GA ist, dass Vielfahrer nicht ständigt Tickets kaufen müssen. Wenn das nun mit den neuen Apps überflüssig wird, könnte ein Erbsenzähler auf die Idee kommen, dass mit diesen Vielfahrern mehr Geld zu verdienen wäre, wenn sie ebenfalls pro zurückgelegten Bahnkilometer bezahlen müssen – meinetwegen sogar mit einem grosszügigen Mengenrabatt.
Das verhindern mutmasslich nur Leute wie ich, die ihr GA wegen des guten Gefühls besitzen und es nicht ausreizen. Da ich vermuten würde, dass das ein recht grosser Anteil aller Generalabo-Besitzer ist, könnte ein solcher Schritt auch zu einem Bumerang werden.
Für mich hat sich dieses Konzept als völlig untauglich herausgestellt. Das manuelle auschecken ist für mich eine derart unnatürliche Handlung, dass ich ca. bei jedem 2. Ticket mehr für das Ticket bezahlt habe als nötig. Blöd wirds, wenn man am Bahnhof abgeholt wird
— 𝖮ℓ𝖎ⱴҽɾ (@flennynet) 30. Oktober 2018
Die Qual der Wahl bei den Apps
Die vorgestellten Apps:
- SBB Mobile (gratis für iPhone und Android) für Verbindungen und Billettkauf.
- Fairtiq (für iPhone und Android). Auch bei dieser App steigt man ein und gibt der App Bescheid, dass man nun zugfahren will. Ist man angekommen, beendet man die Fahrt in Echt, indem man aus dem Zug aussteigt. In der App markiert man die Fahrt durch eine Wischgeste als absolviert. Die App berechnet dann die Strecke und stellt den Preis fürs günstigste Billett in Rechnung.
- SBB Mobile Preview (fürs iPhone und Android) ist die mit Beta-Funktionen angereicherte Version der SBB Mobile-App. Hier gibt es auch das «Easy Ride»-Feature, das von Fairtiq zur Verfügung gestellt wird und die Fahrt nach Beendigung abrechnet.
- Lezzgo (fürs iPhone und Android) ist eine Konkurrenz-App zu Fairtiq.
- ZVV Ticket (für iPhone und Android): Billette für den Verkehrsverbund und eine Postpaid-Ticket-Option, die von Lezzgo stammt.
- Reiseplaner-App der SBB (gratis fürs iPhone und Android) bezieht bei der Ausarbeitung von nen auch das eigene Velo, Leihräder und Carsharing mit ein, ebenso die Möglichkeit, dass man auch zu Fuss gehen könnte.
- Moovit-App (gratis für iPhone und Android) kennt den öffentlichen Nahverkehr in allen grossen Städten der Welt. Hier gibt es eine ausführliche Besprechung.
Nutze die FAIRTIQ-App anstelle eines ZVV-Abos. Finde es komfortabel genug und diesen Monat war es günstiger.
— Pendolino70 (@Pendolino70) 30. Oktober 2018
Lohnt sich derzeit aber nur für spontane Fahrten. Bei geplanten fährt man mit einem Sparbillett massiv günstiger. Und Schiff darf man damit auch nicht fahren.
— Emanuel Helmke (@emanuel_helmke) 30. Oktober 2018
Bild: Offizielles Bild eines Pendlers mit Smartphone, Clemens Laub, © SBB CFF FFS
All diesen Apps sind mehrere Dinge gemein, die ich beim GA schätze, die jedoch hier (noch?) fehlen:
– Ich darf nicht vergessen zu Beginn ein- und am Ende auszuloggen. Gerade für Viel-Reiser und -Pendler wie mich ist es sehr einfach und bequem, einfach einsteigen, umsteigen, mal einen anderen Weg nehmen zu können und nicht aufpassen zu müssen „wien en Häftlimacher“, dass ich nicht vergesse auszuloggen.
– Wir besitzen das Familien-GA. Ich bezahle – euphemistisch ausgedrückt – ziemlich viel, meine Frau bedeutend weniger. Meine Kinder, die schon Jugendliche sind, zahlen pro Jahr weniger als sie für ein ZVV-Jahresabo für 4 Zonen bezahlen würden.
Danke, das sind sehr berechtigte Hinweise. Ich fürchte auch, dass ich zu den Leuten gehören werde, die das Auschecken früher oder später verschlafen. Aber ich nehme an, dass das nur dann zum Problem wird, wenn man sogleich mit einem anderen Verkehrsmittel weiterdüst – wenn man sich zu Hause aufs Sofa legt, sollten keine astronomischen Kosten anfallen.