Der Provokateur in Köppels Windschatten

Eigent­lich mag ich ihn. Aber trotz­dem schreibt er so viel Unfug auf Twitter, der mich zur Weiss­glut treibt. Woran liegts? Ich glaube, den Schul­digen ge­fun­den zu haben.

Eigentlich wollte ich hier über den Tweet von @Chuppachupp17 herziehen: Sie schreibt in ihrer Twitter-Bio, sie stehe für Weltfrieden, bezeichnet dann aber Ex-US-Präsident Barack Obama als Teufel und wärmt sämtliche Verschwörungstheorien und Animositäten auf, die seit bald zwanzig Jahren im Umlauf sind. Mit diesen alten Kamellen hat sie fast 32’000 Views und hunderte Likes abgesahnt.

Doch so betrüblich das ist: Lohnt es sich, das in einem Blogpost anzuprangern? Dass Twitter Hass belohnt, ist keine Neuheit.

Worüber ich schreiben sollte und nicht will

Das Hauptproblem mit @Chuppachupp17 ist ein anderes: Es gibt einen Twitterer, über den ich mich viel mehr aufrege und der auch tatsächlich Relevanz hat. Aber die Kritik an ihm ist nicht so einfach in Worte zu fassen. Denn eigentlich mag ich ihn. Ich habe – und das wundert mich selbst – Respekt vor ihm. Ich würde mir wünschen, er würde nicht derartigen Unfug schreiben, dass ich nicht darum herumkomme, ihm eine Folge Online-Shit der Woche zu widmen.

Also: Alex Baur. Er hat Reichweite, ist ein gestandener Reporter, der früher für die «Sonntagszeitung», «Facts» und den «Beobachter» schrieb, inzwischen zu einer der pointiertesten Stimmen bei der «Weltwoche» geworden ist und sich dort auch die Haltung des Chefs angeeignet hat, immer zu jeder Mehrheits-Position in Opposition zu gehen.

Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, war ich schon früher selten seiner Meinung. Doch die Auseinandersetzung mit ihm hatte etwas Bereicherndes. Ich schätzte seine Ironie und seine nonchalante Art als unerschrockener Haudegen. Den verkörpert er auch auf Twitter glaubwürdig: Wenn man sich mit ihm anlegt, dann muss man höllisch aufpassen. Wenn die Beweisführung im Tweet nicht lückenlos ist, dann findet er die Schwachstelle und stösst genüsslich zu.

Wie daneben ist denn das.

So weit, so erfreulich. Zu meinem Leidwesen produziert er heute vor allem Tweets wie den vom 11. April. In dem schreibt er: «Wer in Deutschland ‹alles für Deutschland› sagt, muss mit Strafe rechnen. Wie pervers ist denn das.»

«Lassen Sie diesen Unsinn!»

Baurs Tweet impliziert, dass einem unbescholtenen Bürger eine harmlose Formulierung rausgerutscht ist, deretwegen er jetzt von der Justiz geplagt wird. Das ist mitnichten der Fall: Die Strafe droht dem einschlägig bekannten Björn Höcke. Bei diesem Geschichtslehrer sollten wir uns sicher sein, dass er diese Redewendung nicht aus Naivität gebraucht hat, sondern als Hundepfeifen für seine Anhänger. Es handelt sich bei «Alles für Deutschland» um eine Losung der Sturmabteilung (SA), die direkt dem Gedankengut der NSDAP entspringt.

Einer der Antworten zum Tweet von Alex Baur brachte es auf den Punkt: «Stellen Sie sich nicht dümmer dar, als Sie sind, Baur. Sie kennen den Kontext, also lassen Sie diesen Unsinn.»

Es ist klar, dass auch Journalisten in den sozialen Medien nicht immer so sachlich und nüchtern sind, wie sie es in ihrem Job sein sollten. Sie haben das Recht, zu polemisieren und zu provozieren, weil das alle anderen schliesslich auch tun. Aber bei dem Thema komme ich um die Frage nicht herum, warum Baur eine solche Provokation vom Stapel lässt und gleichzeitig so viel Mühe gibt, die Motivation für seinen Tweet kunstvoll zu verschleiern:

  1. Kann sein, dass er einfach die deutsche Justiz doof findet.
  2. Vielleicht ist er, wie Musk, ein «Extremist der Meinungsfreiheit» und hält das Verbot von rechtextremen Grussarten, Parolen, Flaggen, Symbolen und Codes für falsch. In dem Fall müssten wir allerdings dringend darüber diskutieren, wie Deutschland mit Aufmärschen von Nazis umgehen soll, die Hakenkreuzfahnen und Reichskriegsflaggen schwingen und den Hitlergruss zeigen. Wären die tatsächlich eine Bereicherung für die Meinungsfreiheit?
  3. Letzte Möglichkeit: Baur will sich mit seinem Tweet mit Höcke und jenen Gruppen solidarisieren, die noch so gern die alten SA- und SS-Parolen wieder hervorkramen würden.

Hauptsache dagegen

Spoiler: kein Meisterwerk.

Wir können nur mutmassen, welche Erklärung zutrifft. Ich glaube – oder vielleicht hoffe ich es auch nur –, dass es nicht Numero drei ist und Baur mitnichten mit Höcke sympathisiert. Mit der AfD vielleicht; siehe Jesus-Tweet unten. Aber er hält es für sinnvoll, ihn zu verteidigen, wenn ihn die Mehrheit verurteilen will. Das entspricht genau der kontrarianischen Ideologie der «Weltwoche» und ihres Chefs, Roger Köppel: «Wenn etwas allgemein anerkannt ist, dann sind wir dagegen.»

Apropos Köppel: Der findet es in Ordnung, gerade jetzt besagtem Höcke im Duktus eines Sportreporters eine Plattform zu bieten. Bei ihm müssten wir diese Frage gesondert besprechen.

Doch egal, welche Erklärung zutrifft, es gibt eine grundsätzliche Gefahr mit dieser Haltung. Sie kommt Leuten wie Höcke zugute, die keine Verständigung wollen, sondern Macht. Macht für sich, ihresgleichen und ihre Ideologie.

Diese Haltung führt dazu, dass Baur auch glaubt, Sarah Regez’ Kuschelkurs mit Rechtsextremist Sellner verteidigen zu müssen. Dass er die Querdenker-Parole der «WHO-Diktatur» weiterverbreitet, behauptet, Jesus hätte die AfD gewählt und auch sonst gelegentlich als empathieloser Nachwuchskomiker unterwegs ist. Und sie produziert Ausrutscher wie am 11. April: Baur preist einen Film als «Meisterwerk der Aufklärung», das den «Schwindel ums Klima» entlarve.

Spoiler: Der Film ist kein Meisterwerk, sondern ein heilloses Durcheinander alter bzw. kalter Mythen. Respektive ein Misthaufen, wie die Widerlegung eines niederländischen Wissenschaftsjournalisten auf Twitter ergeben hat, die über eine Million mal gelesen wurde.

Endpunkt oder Wendepunkt?

Was bleibt, ist die Frage, ob sich diese kontrarianische Ideologie irgendwann so verfestigt, dass sie von einer echten, innerlich verfestigten Extremposition nicht mehr zu unterscheiden ist. Ist diese Radikalisierung, wenn sie denn fortschreitet, zwingend?

Oder besteht die Chance, einen Punkt zu erreichen, wo jemand wie Alex Baur zur Einsicht gelangt, dass dieser Weg zwar grossartig als Geschäftsmodell für die «Weltwoche» ist, aber eine Schweizer Tugend infrage stellt, auf die doch gerade hiesigen Patrioten immer so stolz sind: Das Zusammenraufen, die Kompromisse und den Freiheitsbegriff, mit dem man andere leben lässt, auch wenn sie völlig andere Ansichten haben.

Beitragsbild: Wie wärs mit einem friedfertigen Keyboard? (Amr Taha™, Unsplash-Lizenz)

2 Kommentare zu «Der Provokateur in Köppels Windschatten»

  1. Ich mochte Baur wegen seines scharfsinnigen Schreibstils. Sein Artikel „Die Feinde des Lebens“, der 2008 in der Weltwoche erschienen ist, ist mir immer noch in Erinnerung. Er zerpflückt darin die Hysterie des BAG, immer und überall eine Gefahr zu sehen.

    Mit den Jahren wurde mir das „immer dagegen“ zu viel und ich habe die Weltwoche nicht mehr abonniert. Ich bin zwar immer noch der Meinung, dass sich unsere Medien in vielen Sachen zu einig sind, aber aus Prinzip immer gegen die Mehrheitsmeinung zu argumentieren, ist nicht die Lösung.

  2. Die Motivation vieler ähnlicher politischer Kommentatoren dürfte auch sein, dass man mit solchen Statements Aufmerksamkeit erzeugen kann, ohne beweis- und rechenschaftspflichtig zu sein. Es ist eine bequeme Art der Selbstinszenierung. Gleichzeitig trägt man zu einer Verschiebung des Sagbaren und zu einer Verunsicherung des gesellschaftlichen Diskurses bei, die der eigenen politischen Ideologie zugute kommt. Bauer trotz seiner Werke zu unterstellen, dass er keine rechtsnationalistische Gesinnung habe, nur weil man ihn „eigentlich mag“, scheint mir etwas problematisch.

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