Gehasst und geliebt: Die roten Kleckse auf dem Homescreen

Die so­genann­ten Badges stammen aus einer Zeit der Unschuld, was das Smart­phone angeht. Heute sind sie fast überholt – wenn man davon absieht, dass Microsoft sie via Windows 11 auf­leben lässt.

Neulich ist mir aufgegangen, dass hier im Blog seit 14 Jahren eine Würdigung überfällig ist. Es geht um eine scheinbare Kleinigkeit, die aber einen so prägenden Eindruck hinterlassen hat. Sie gehört zum modernen Smartphone dazu – wie die Kamera, die Apps und der Vibrationsalarm.

Ich meine die roten Kleckse mit einer weissen Zahl in der Mitte: Sie erscheinen in der rechten oberen Ecke von manchen App-Icons. Der Klecks ist dazu da, unsere Aufmerksamkeit zu wecken und auf die neuen Informationen zu lenken, die in der korrespondierenden App vorzufinden sind. Die Zahl ihrerseits gibt an, wie viele neue Elemente das sind – wobei es sich je nach App um Mails, Chat-Nachrichten, Tweets, Likes, Artikel oder Podcasts handelt. Wahrscheinlich gibt es auch Dating-Apps, die uns auf diese Weise wissen lassen, wie begehrt wir gerade sind. Aber das ist nur eine Vermutung, weil ich keine eigenen Erfahrungen im Tinder-Game habe.

Die Badges, wie sie meist genannt werden, sind mit den Benachrichtigungen verwandt und auch verbandelt. Oft erscheint heute auch eine Benachrichtigung, während bei der dazugehörigen App ein roter Klecks auftaucht oder sich die weisse Zahl erhöht.

Trotzdem sind die Badges für sich gesehen unaufdringlich. Anders als eine Benachrichtigung fordern sie keine sofortige Zuwendung von uns ein. Wir können das Smartphone so lange unbeachtet liegen lassen, wie wir wollen. Und wenn wir es dann zur Hand nehmen, sehen wir auf einen Blick, wo wir unsere Aufmerksamkeit hinwenden könnten.

Eine Fingerübung in Sachen Webrecherche

Wisst ihr noch, wann diese Badges eingeführt worden sind? Ich meine, dass ich sie schon bei meinem ersten iPhone, dem 3G gesehen habe, aber ich traue meiner Erinnerung nicht. Darum tue ich das, was man heute so tut, und befrage die KIs. Mit einem bemerkenswerten Resultat, bei dem ChatGPT, Bing und Bard derart widersprüchliche Angaben machen¹, dass wir uns zwei Dingen gewiss sein können: Erstens sind diese KIs alles andere als allwissend. Und zweitens hat das Internet es anscheinend nicht für nötig befunden, diese Erfindung gross zu dokumentieren. Das spricht für sie, weil es bedeutet, dass sie selbsterklärend ist.

Für uns heisst das aber nicht, dass wir uns mit diesen Nicht-Informationen zufriedengeben. Im Gegenteil; wir erkennen die Gelegenheit, zwei Techniken für eine eigenhändige Webrecherche durchzuexerzieren:

  • Wir befragen Google Trends. Der Zeitstrahl zeigt zum Stichwort App Badge einen steilen Anstieg im September 2011. Das ist ein Indiz, dass sie mit iPhone OS 3.0 eingeführt wurden, das im Sommer 2009 auf den Markt gekommen ist.
  • Wir suchen bei Google mit zeitlicher Einschränkung. Eine Suche mit dem Parameter before:2010 (siehe hier) führt uns zu einem «Wired»-Artikel, der belegt, dass es die Badges im November 2009 schon gab. Eine Suche mit before:2009 ergibt nur wenige schlüssige Resultate. Aber hier stossen wir auf eine Forumsdiskussion, in der ein Beitrag vom 19. April 2008 die roten Badges bei der Telefon-App erwähnt.

Da das iPhone 3G erst am 11. Juli auf den Markt kam, können wir es an dieser Stelle als erwiesen betrachten, dass es die Badges schon von Anfang an gab. Und wir dürfen das als kleinen Sieg unserer Recherchefähigkeiten gegenüber den so schlauen KIs verbuchen.

Zu viele Apps sind der Badges Tod

Aber zurück zu den Badges: Beim iPhone haben sie an Glanz verloren. Das hat mit der Menge der Apps zu tun: Die Badges funktionieren dann gut, wenn alle Apps auf eine Homecreen-Seite passen. Wenn man mehrere Seiten durchblättern muss oder bei einem Ordner mit Apps nicht sieht, auf welche App sich der Badge bezieht, dann schmälert das den Nutzen. Darum haben wir es heute mit diesen kompliziert einzurichtenden Benachrichtigungen zu tun: Die funktionieren auch mit sehr vielen Apps, doch sie nehmen in der Tendenz unsere Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch. Dieses Problem lässt sich am iPhone mildern, indem wir alle nicht wirklich wichtigen Benachrichtigungen nicht sofort, sondern in der Übersicht anzeigen lassen.

Dazu tippen wir in den Einstellungen auf Mitteilungen > Geplante Übersicht und geben an, wann die Übersicht angezeigt werden soll. Darunter erscheinen die Apps, die Benachrichtigungen anzeigen können. Hier schalten wir bei allen Apps, deren Benachrichtigungen in der Übersicht zusammengefasst werden sollen, von Sofortige Zustellung auf Geplante Übersicht um.

Trotz allem: Tipps zu den Badges

Zwei weitere Tipps zu den Badges:

  • In den Mitteilungs-Einstellungen pro App findet sich auch die Option Kennzeichen: Wenn wir die abschalten, zeigt eine App den roten Kringel nicht mehr an.
  • Es gibt u.U. auch spezielle Optionen pro App. Ein wichtiger Kandidat ist die Mail-App, bei der wir einstellen können, von welchen Konten die ungelesenen Mails beim Badge angezeigt werden und welche nicht. Für meine Inbox-Zero-Strategie ist es absolut essenziell, dass die unwichtigen Konten nicht einfliesst. Das bewerkstellige ich, indem ich in den Einstellungen bei Mail > Mitteilungen > Mitteilungen anpassen sowohl Google Mail als auch iCloud auf Aus setze.
Nach 14 Jahren sind die Badges reif für Windows.

Ach ja: Ich habe zwar behauptet, die Badges hätten an Glanz verloren. Für Windows gilt das nicht. Dort hat Microsoft mit dem letzten Update² eine Badge-Funktion eingeführt. Die findet sich in den Einstellungen bei Personalisierung > Taskleiste. Im Abschnitt Verhalten der Taskleiste aktivieren wir die Option Badges in Taskleisten-App anzeigen. Es funktioniert allerdings bei WinAPI-Anwendungen nur, wenn sie auch ausgeführt werden.

Fussnoten

1) Bing sagt, die Badges seien seit der ersten Version von iOS vorhanden, liefert für diese Behauptung aber keinen belastbaren Beleg. Bard in Englisch stimmt dem zu, doch die neue «Double Check»-Funktion markiert die Aussage in Orange und erklärt, die Websuche habe keine Belege für diese Aussage gefunden. Bard in Deutsch geht noch weiter und liefert eine ausführliche Zeitleiste, nach der die «roten Kreise 2009 in iOS 3.0 eingeführt werden, 2010 von Android 2.2 übernommen und 2011 in iOS 5.0 mit der Zahl ausgestattet werden, die die Anzahl der ungelesenen Benachrichtigungen angibt». Allerdings hiess die dritte Version des iPhone-Betriebssystems eben nicht iOS 3.0, sondern iPhone OS 3, was uns allein schon Grund für Skepsis gibt. ChatGPT ist sogar noch vager und sagt, es gebe keine klaren Hinweise.

2) Die grosse Neuerung, die Microsoft in diesem Herbst bei Windows einführt, ist Copilot: Das ist ein KI-Assistent, der für ungeübte Anwenderinnen und Anwender nützlich sein könnte, der aber auch einen dicken Haken hat. Daneben gibt es auch die kleinen Verbesserungen, darunter einige Neuerungen in der Taskleiste, zu denen auch die Badges zählen.

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