Das Attentat auf JFK ist auch als Podcast ein Tiefpunkt

Zum 60. Jahrestag rollt «Who killed JFK?» die Er­mor­dung John F. Ken­ne­dys auf. Neue Fakten, un­er­war­tete Ein­sich­ten, einen ori­gi­nel­len Zu­gang oder gar die «smoking gun» gibt es nicht. Dafür zeigt sich grund­sätz­liches Pro­blem.

Was könnte es für Gründe geben, einen sechzig Jahre alten Kriminalfall als Podcast neu aufzurollen?

Versteht mich richtig, ich spreche nicht von einem in Vergessenheit geratenen Ereignis. Ganz im Gegenteil: Es geht um einen Vorfall, der heute in den Geschichtsbüchern steht, der sich ins kollektive Bewusstsein eingegraben hat und über den Bücher und wissenschaftliche Arbeiten geschrieben und Filme gedreht worden sind.

Ich sehe vier mögliche Beweggründe:

  1. Wegen der Klicks,
  2. weil es neue Erkenntnisse gibt,
  3. aufgrund eines neuen, genialen Storytelling-Ansatzes,
  4. oder um einen vernachlässigten Aspekt auszuleuchten bzw. eine alternative Interpretation darzulegen.
Wer wohl?

Die Frage hat sich mir aufgedrängt, weil ich just zum Jahrestag des Attentats auf John F. Kennedy dem Podcast Who killed JFK? (RSS, iTunes, Spotify) begegnet bin. Das ist eine Produktion des US-amerikanischen Internet-Radiossenders iHeartRadio mit prominenter Besetzung: Die Gastgeberin ist die von CNN bekannte Fernsehfrau Soledad O’Brien und ihr Cohost ist Schauspieler und Regisseur Rob Reiner.

Reiner – den ich von When Harry Met Sally und A Few Good Men her kenne – gibt als Begründung für seine Mitwirkung am Podcast seine Obsession an: Ihn habe dieses Attentat nie losgelassen. Das glaube ich ihm gern, aber das geht vielen anderen auch so; ich eingeschlossen. Als Motivation reicht mir das nicht aus.

War die Kugel nun «magisch» oder nicht?

In der dritten Folge bekommen wir den Eindruck, Punkt zwei könnte zutreffen: Einer der Personenschützer des Präsidenten kommt zu Wort. Paul Landis hat nach all den Jahren sein Schweigen gebrochen, wie es im September gross in der «New York Times» zu lesen war. Der Podcast insinuiert, das ändere alles: Die Single-Bullet-Theorie sei damit endgültig vom Tisch. Dieser Aspekt wird in der dritten Folge ausführlich besprochen, zusammen mit vielen anderen Ungereimtheiten. Unter anderem kommen die Kontroverse um die Austrittswunde am Hinterkopf des Präsidenten sowie die Schwächen und Widersprüche des Warren-Reports ausführlich zur Sprache.

Nur: Auch wenn Paul Landis ein Puzzleteilchen hinzufügt, ist nichts davon neu. Ich erinnere mich, wie ich 1991 im Kino sass. Ich habe mir Oliver Stones Film JFK angeschaut und mich nachhaltig beeindrucken lassen. Schon vor dreissig Jahren liess dieser Film die offizielle Erklärung, dass allein Lee Harvey Oswald geschossen haben soll, als lächerlich erscheinen.

Einen Primeur erleben wir wohl nicht

Damit fällt Grund zwei leider ausser Betracht; zumindest vorläufig. Es sei hier festgehalten, dass ich die Podcast-Reihe nicht zu Ende gehört habe. Bislang wurden drei Folgen veröffentlicht – ohne Angabe, wie viele es letztlich werden sollen. Es könnte sein, dass die weiteren Folgen mit echten Enthüllungen aufwarten. Rechnen würde ich damit nicht, weil uns ein Primeur schon in der ersten Sekunde der ersten Episode in Aussicht gestellt worden wäre.

Grund drei muss ich verneinen: «Who killed JFK?» erzählt abwechslungsreich und vermittelt interessante Details. In der Folge zwei erzählt er beispielsweise, wie der Zapruder-Film an die Öffentlichkeit gelangt ist und wie dessen erste Ausstrahlung 1975 im Fernsehen die Zweifel an den Befunden der Warren-Kommission genährt hatte. Dazu gibt es O-Töne viele zu hören, aber die grundlegenden Informationen können wir seit Jahren bei Wikipedia nachlesen. Darum attestiere ich dem Podcast einen dokumentarischen Wert, aber das ändert nichts daran, dass das Storytelling in allen Belangen konventionell ausgefallen ist.

Auch die vierte Rechtfertigung können wir «Who killed JFK?» nicht zugestehen. Die historische Einordnung im ersten Teil ist interessant, doch in keiner Weise neu oder überraschend.

So viel Werbung wie auf RTL Plus

Es bleibt unter dem Strich bei der banalen Erklärung, dass es um die Einschaltquote ging: Das ist auch daran zu erkennen, dass dieser Podcast mehr Werbespots enthält, als ich es je zuvor erlebt hätte. Ich konstatiere Verhältnisse wie im Privatfernsehen und bedauere es aufrichtig, dass mein Lieblingsmedium nun auf diesem Niveau angekommen ist und Themen nach dem Trivial-Muster des Kommerz-TVs an die Werbekunden verramscht.

Damit liegt das Fazit auf der Hand: Soledad O’Brien und Rob Reiner sind auf der ganzen Linie gescheitert.

Selbst eine auf maximale Einschaltquote getrimmte Produktion hätte reflektierter ausfallen können. Das zeigt sich an der oberflächlichen Diskussion der Frage, warum offizielle Ergebnis der Warren-Untersuchung – Lee Harvey Oswald war ein Einzeltäter – von immer weniger Amerikanerinnen und Amerikanern geglaubt wird. Im Podcast wird als Ursache angegeben, das Vertrauen in den Staat habe «generell abgenommen».

Verschwörungstheorien? Nie gehört!

An diesem Punkt kommt man als Produzent eines Podcasts über die Ermordung JFKs nicht um Selbstkritik herum. Denn die Obsession der Medien war an dieser Entwicklung nicht unschuldig. Ich will damit nicht andeuten, dass sie die offizielle Erklärung hätten widerspruchslos schlucken sollen. Nein, natürlich nicht: Es ist ihre Aufgabe, Fragen, Widersprüche und Ungereimtheiten anzusprechen und so tief zu bohren wie möglich.

Aber im Jahr 2023 muss man sich bewusst sein, dass die ewigen Spekulationen rund um das Attentat zur Entstehung eines veritablen Verschwörungsmythiker-Lifestyles beigetragen haben. Für «Truther» aller Art ist es zu einer Art Daseinszweck geworden, überall Komplotte, False-Flag-Operationen und gross angelegten Betrug zu vermuten.

Wie man aus Zweifeln ein lukratives Geschäft macht, hat Oliver Stone 1991 exemplarisch vorexerziert; «The Guardian» nennt den Film a basket case for conspiracy und «Rolling Stone» stellt die These auf, der Regisseur sei auf Desinformation des KGB reingefallen. Doch «Who killed JFK?» tut so, als hätte nie zuvor jemand bemerkt, dass Verschwörungstheorien eine effektive Waffe im heutigen Informationskrieg darstellen. Der Podcast wirft fröhlich mit den altbekannten Andeutungen um sich, wer alles ein Interesse gehabt haben könnte, den Präsidenten zu beseitigen: die Mafia. Die CIA bzw. die Regierung selbst. Hohe Militärs. Die kubanischen Exilanten.

Eine verpasste Chance

Ein Podcast, der sich heute ans Thema heranwagt, muss sich dieses Problems bewusst sein. Warum nicht thematisieren, wie das Attentat zu einem verschwörungstheoretischen Archetypus werden konnte? Oder den Spiess umkehren und erklären, warum Zweifel, so plausibel sie auch sein mögen, nicht ausreichen, um den Inside Job zu postulieren?

Darum ist dieser Podcast definitiv kein True-Crime-Highlight. Meine Lieblings-Annäherung mit dem Thema ist und bleibt Stephen Kings «11/22/63» – auch heute noch zur Lektüre empfohlen (Back to the Future für Erwachsene).

Beitragsbild: Kurz vor dem Attentat (Picture of the JFK’s limousine in Dallas, TX., Walter Sisco/Wikimedia, CC0).

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