Liebe KI, wie hältst du es mit dem Sex?

Wenn ge­ne­ra­ti­ve KI den An­spruch hat, Kunst zu generieren – ist es dann legitim, über In­halts­richt­li­nien eine ganze Reihe von Mo­ti­ven und Themen aus­zu­klam­mern?

Wenn wir uns mit den Text-zu-Bild-Generatoren beschäftigen, dann bemerken wir (eher früher als später), dass gewisse Prompts nicht erlaubt sind. Verboten sind beispielsweise jegliche Stichworte, die eine sexuelle Konnotation haben – also nicht einmal nur Beschreibungen, die explizite Szenen fordern. Es reicht schon, einen Begriff wie lasziv zu verwenden, damit der Bot die Arbeit verweigert: «It looks like this request may not follow our content policy», teilt z.B. Dall-e 2 in solchen Fällen mit.

Keine Drogen, keine Gewalt, kein Sex

Da wollte einer was Unanständiges generieren!

Diese Inhaltsrichtlinien verbieten eine ganze Menge Dinge: Gewalt, Hass, Schockbilder, Drogenkonsum, Selbstverletzung, aber auch politische Motive wie Wahlurnen oder demonstrierende Massen. Und eben: auch sexuelle Motive werden unterbunden.

Und wir stehen vor der schwierigen Frage, was wir von diesen Inhaltsrichtlinien halten sollen. Einerseits haben wir ein gewisses Verständnis dafür, dass sich die Betreiber dieser KIs nicht auf die Äste hinauslassen wollen: Warum einen Shitstorm riskieren, bei dem man nur verlieren kann?

Andererseits haben diese Generatoren den Anspruch, Kunst zu produzieren. Kunst hat nun aber dummerweise die Eigenschaft, dass sie vor sehr wenig Halt macht: Sie erfreut das Herz, aber manchmal schockiert sie auch. Ihr ist nichts Menschliches freund, also auch keine Gewalt, keine Drogen, keine nackten Menschen – und nicht einmal die Politik wird ausgespart.

Kunst ohne Wenn und Aber?

Es gibt auch KIs, die Bilder von nackten Men­schen ge­ne­rie­ren. Damit das Blog ju­gend­frei bleibt, habe ich die vor­bei­flie­gen­de Möwe ein­ge­fügt.

Mit anderen Worten: Es droht die Gefahr, dass die Kunstfreiheit dem technischen Fortschritt zum Opfer fällt. Gleichzeitig stehen wir einer interessanten Frage gegenüber: Lässt es sich überhaupt irgendwie rechtfertigen, dass eine Kunst-KI anders funktioniert als ein Pinsel, eine Leinwand und ein Farbkasten? Denn die KI limitiert von vornherein, was mit ihr entstehen kann, während bei den nicht-digitalen Zeichenwerkzeugen der einzig begrenzende Faktor die Künstlerin und ihr Talent darstellt.

Mir liegt – natürlich – ein Nein auf der Zunge. Ich bin überzeugt, dass wir die KI-Kunst ernst nehmen müssen. Sie erlaubt es auch handwerklich völlig Unbegabten, künstlerisch tätig zu werden und ihre Fantasien auszuloten. Sie ist die Kunstform unserer Zeit, und es liegt auf der Hand, den technischen Wandel mithilfe der neuen technischen Mittel abzubilden.

In welche Bereiche die künstliche Intelligenz vordringen kann und in welche nicht, die sollte nicht nur, die muss ausgelotet werden. Erinnern wir uns daran, dass Bots auch so tun, als ob sie für uns ein Partner sein könnten und dabei auch das Flirten, die Verführung und den Cybersex nicht ausklammern. Und schliesslich wollen wir nicht, dass es der technische Fortschritt unvermeidlich macht, die Kunst als Ganzes einer amerikanisch geprägten Prüderie zu unterwerfen.

Aber die vielen Perverslinge im Web!

Leider lässt sich der offensichtliche Einwand nicht stillschweigend unter den Teppich fallen. Er besteht in der bekannten Tatsache, dass das Internet voll von Perversen ist, die was-weiss-ich-nicht-was mit diesen KIs anstellen würden, wenn es keine Filter und keine Inhaltsrichtlinien gäbe. Wollen wir das sehen? Sollen diese Dinge hinterher mühsam wieder aus den sozialen Medien und aus den Messengern rausgemeldet werden? Oder ist es nicht klüger, sie von vornherein zu verhindern?

Wenn ich mir das überlege, bin ich schon versucht, mich für den einfacheren Weg, d.h. die rigide Unterbindungsmethode zu entscheiden. Aber ich glaube, wir kommen nicht darum herum. Genauso, wie es uns nicht erspart bleibt, bei Youtube die Hetz- und Verschwörungstheoretiker-Clips löschen zu lassen, bei Facebook und Twitter den Rassismus zu flaggen und uns damit abzufinden, dass wir es leider verpasst haben, fürs Internet einen Eignungstest und einen (annullierbaren) Führerschein zu verlangen.

Die Zensur am Prompt verhindert auch nicht alles

Die Aufforderung war, Batman und Robin sollten sich leidenschaftlich vor einer Skyline im Sonnenuntergang küssen. Und natürlich haben wir uns ein homoerotisches Resultat erhofft.

Es kommt zwei Punkte dazu: Erstens generieren auch die beschränkten Text-zu-Bild-Maschinen oft sexistische K*ckscheisse. Sie reproduzieren Stereotype, die viele zurecht als beleidigend empfinden. Auch auf der Textebene lassen sich Entgleisungen nicht immer abfangen. Denn es ist und bleibt so, dass die Maschinen kein eigenes Sittlichkeitsempfinden, keine Vernunft, kein Verständnis fürs Recht und für Moral haben, sondern das wiedergeben, womit sie trainiert worden sind.

Zweitens findet man auch heute schon mit ein bisschen Suchen Generatoren, die keinen Jugendfilter eingebaut haben. Die Hürde liegt einfach höher, als wenn Midjourney und Co. selbst alles zulassen würden.

Sonderlich schwierig ist es nicht, solche Maschinen zu finden: Ich habe aus reinem Spass an der Sache mit soulgen.ai herumgespielt. Man könnte auch mit promptchan.ai einen Versuch wagen, oder … naja, es geht an dieser Stelle nicht darum, die im Detail zu vergleichen. Denn erst müssten wir uns über einige Kriterien einig werden, die wir an, sagen wir mal, unzensierte KI-Kunst würden stellen wollen.

Was bleibt als Fazit? Die Menschheit hat mal wieder eine Erfindung gemacht, ohne sich über die Folgen Gedanken zu machen. Aber gemessen an der Atombombe sind die Kunstgeneratoren dann doch harmlos. Also, lasst sie uns nach Lust und Laune ausprobieren. Und wenn etwas Abgründiges dabei herauskommt – einfach löschen!

Beitragsbild: Adobe Firefly zum Prompt «A class of robots in drawing class, sitting with their easels.»

2 Kommentare zu «Liebe KI, wie hältst du es mit dem Sex?»

  1. Da viele Leute und der Gesetzgeber die Technologie noch nicht verstehen, gilt der Anbieter der KI als verantwortlicher Autor, nicht derjenige, der den Prompt eingegeben hat. Deswegen beschränken sich kommerzielle Unternehmen selbst und lassen keine Nacktheit (USA) und Rassismus (Europa) zu.

    Wenn jemand ein rassistisches Pamphlet bei Facebook postet, ist er verantwortlich und man macht Facebook keinen Vorwurf, sofern es auf Löschanfragen reagiert. Wenn jemand von ChatGPT ein rassistisches Pamphlet verlangt und das gelieferte Resultat veröffentlicht, wird ChatGPT kritisiert. Man erwähnt einerseits immer wieder, dass KI kein Lebewesen mit Emotion und Moral ist, andererseits verlangt man genau das von ihr.

    Wer keine Zensur will, muss eine Software verwenden, die auf dem eigenen Rechner läuft. Das gibt es mittlerweile auch für Bildgeneratoren. Und wenn man so liest, welche Probleme Schulen mit generierten, täuschend echten Nacktbildern von Schülerinnen haben, scheinen die Anwendungen zu funktionieren.

    1. Es gibt solche Tools auch im Netz; Stichwort Deepnude. Es kommt mir vor wie bei den Drogen: Wenn es kein gutes legales Angebot gibt, entsteht eines im schwarzen oder grauen Bereich.

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