Wie dem Netz der Gemeinschaftssinn abhanden kommt

Eine Nachricht hat mir neulich zu denken gegeben. Sie klingt auf den ersten Blick nicht danach, als ob sich die breite Öffentlichkeit aufregen müsste, sondern eher nach einer technischen Angelegenheit, die die meisten Nutzerinnen und Nutzer völlig kaltlassen sollte. Ich finde das nicht – und warum, erkläre ich gleich.

Die Meldung besagt Folgendes: Der News-Aggregator Reddit wolle, so schrieb «Heise» anfangs Juni, für Api-Zugriffe Geld sehen. Das betrifft Apps und Dienste von Drittherstellern, die mit den Informationen eigene Dinge anstellen wollen. Solche Zugriffe waren bislang gratis, doch demnächst sollten sie kosten. Christian Selig ist der Entwickler der beliebten Reddit-App Appollo, die es fürs iPhone und iPad gibt und die in der Kategorie «Nachrichten» immerhin auf Platz sechs steht, schrieb dazu (natürlich auf Reddit):

Ich habe mit Reddit telefoniert, um die Preise zu besprechen. Schlechte Nachrichten für Apps von Drittanbietern: Die angekündigte Preisgestaltung liegt nahe an der von Twitter, und Apollo müsste Reddit zwanzig Millionen Dollar pro Jahr zahlen, um den Betrieb in der jetzigen Form aufrechtzuerhalten.

«The Verge» hat diese Kosten aufgedröselt: Apollo verursacht pro Monat um die sieben Milliarden API-Anfragen, wofür Christian Selig um die 1,7 Millionen Dollar pro Monat bezahlen müsste. Wenn er diese Kosten auf die App-Nutzer umlegen würde, müsste jeder für durchschnittlich 344 Api-Anfragen pro Tag 2,50 Dollar im Monat hinlegen. Das ist unrealistisch. Apollo hat zwar zahlende Nutzer, aber bislang beläuft sich das Abo auf 1,49 Dollar pro Monat oder auf 13 Dollar pro Jahr. Um seine Einnahmen aufrechtzuerhaltend, müsste Selig den Preis ungefähr verdreifachen, und die Gratisnutzer loswerden. Ob eine App, die bisher ein Freemium-Modell verfolgt hat, dann noch attraktiv wäre, ist fraglich.

Twitter isoliert sich

Nun ist Reddit leider nicht die einzige Plattform, die Apps von Drittherstellern Knall auf Fall den Hahn zudreht. Twitter unter Elon Musks Ägide hat das im Januar genauso durchexerziert. Mit der Folge, dass die alternativen Twitter-Clients inzwischen zum grossen Teil verschwunden sind. Nicht nur das: Auch der beliebte Web-Vernetzungsdienst Ifttt erlaubt Automatisierungen nur noch mit einem kostenpflichtigen Preisplan.

Zwar habe ich «If this then that» schon vor längerer Zeit den Rücken gekehrt. Trotzdem komme ich nicht umhin, diese Entwicklung pessimistisch zu deuten: Das Web verliert dieser Tage still und leise an Offenheit. Die grossen Plattformen isolieren sich immer mehr.

Mitmachen ja, mitbestimmen nein

Der Gedanke, dass eine Plattform zu einem Teil auch ihren Nutzerinnen und Nutzern gehört, tritt in den Hintergrund. Wenn ein Dienst wie Reddit oder Twitter es geschafft hat, über die Jahre zu einer Art Ökosystem mit vielen angedockten Dritt-Projekten zu werden, dann ist das für die Betreiber anscheinend kein Grund mehr für Stolz, sondern löst Ängste wegen Kontrollverlust aus. Vielleicht geht es auch nur darum, die Rentabilität hochzutreiben. Reddit will bekanntlich an die Börse.

Ob das wirklich notwendig ist, steht auf einem anderen Blatt. Es entbehrt aber nicht einer gewissen Ironie, weil Reddit, Twitter und Konsorten von den nutzergenerierten Inhalten leben: Durch ihre Beteiligung haben sie die Unternehmen hinter den Plattformen gross gemacht – aber wenn die Plattformen einmal gross sind, dann verliert das Ökosystem an Bedeutung und die Nutzerinnen und Nutzer schrumpfen auf den Status eines notwendigen Übels.

Ein längst verpuffter Megatrend

Die Idee, dass Informationen im Web frei sind und auch zwischen den Plattformen ungehindert fliessen können – ja, auch die gab es mal. Ich habe im Juli 2007 von einem (angeblichen) Megatrend berichtet: Über diverse Dienste von Microsoft, Yahoo und vielen weiteren konnte man sich eigene Anwendungen basteln. Ein Beispiel fand mithilfe von Yahoo Pipes statt (Einmal alles durch die Röhre, bitte) und sorgte dafür, dass die Beiträge aus einem RSS-Feed automatisch mit einem Bild von Flickr illustriert worden sind.

Wundert sich jemand, wenn ich verrate, dass all diese digitalen Vermittler und Verknüpfer sang- und klanglos aus dem Netz verschwunden sind?

Beitragsbild: Instrument, um Verbindungen zu kappen (Matt Artz, Unsplash-Lizenz).