Twitter im Speziellen und soziale Medien im Allgemeinen sind ein bisschen wie Formatradio: Für gewöhnlich plätschert es vor sich hin. Man sieht einmal was Lustiges, dann etwas Ärgerliches, ab und zu einen unnötigen Auswurf eines Verschwörungstheoretikers oder Fake-News-Reposters. Aber es gibt wenig, was die Routine des Sich-Berieseln-Lassens unterbrechen würde.
Es gibt aber eine Ausnahme. Seit einiger Zeit folge ich dem Twitter-Account @AuschwitzMuseum. Was die Tweets mit mir machen, lässt sich am besten mit der englischen Redewendung stop dead in my tracks umschreiben. Sie katapultieren mich augenblicklich aus dieser Ist-alles-nur-Internet-Theater-Haltung – wenn ich einem Tweet wie diesem hier begegne:
14 January 1927 | German Jewish girl Vera Judith Schlein was born in Magdeburg. During the war she lived in Amsterdam. In Jan 1944 deported from Westerbork to Theresienstadt & from there, on 19 October 1944 to #Auschwitz. She was murdered in a gas chamber.
(Photo: @yadvashem) pic.twitter.com/6BnhQbXim5
— Auschwitz Memorial (@AuschwitzMuseum) January 14, 2020
Das ist nüchtern und dokumentarisch – und wirkt genau deswegen wie ein Schlag in die Magengrube. Ich gehöre nicht zu denen, die nichts dagegen haben, wenn der Holocaust so langsam im Nebel der Vergangenheit verschwindet würde, oder die sich das sogar wünschen. Aber ich sehe es auch so, dass die typischen Fernsehdokumentation zum Thema überholt und überstrapaziert wirken. Es braucht darum eine moderne Form der Erinnerungskultur.
Keine anonymen Opfer, sondern Menschen wie du und ich
Und das ist dieser Twitter-Account: Unmittelbar und dringlich ruft er ins Gedächtnis, dass es nicht um Massen anonymer Opfer geht, sondern um einzelne Menschen. Jeder mit einer Biografie, mit einer persönlichen Geschichte – die zu leben ihm verwehrt wurde.
Besonders schlimm finde ich Tweets wie diesen hier:
11 January 1942 | A Dutch Jewish boy Simon Benjamins was born in Groningen. In 1942, he was deported to #Auschwitz and murdered in a gas chamber.
(Photo: @yadvashem) pic.twitter.com/NtSpjCPD68
— Auschwitz Memorial (@AuschwitzMuseum) January 11, 2020
Das ist ein Stolperstein in der Timeline. Ich finde die Kunstaktion gut und ich setze mich dem auch auf Twitter aus, auch wenn mich die Tweets manchmal oft auf dem falschen Fuss erwischen.
@AuschwitzMuseum weist unter dem Hashtag #Auschwitz75 auf den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz hin, der sich 2020 zum 75. Mal jährt und am 27. Januar stattfindet. Die Zahl 75 erinnert mich auch daran, dass es erst gut 25 Jahre her war, als ich auf die Welt gekommen bin – und dass wir nun schon wieder mit Leuten konfrontiert sind, die Gedankengut wie jenem nachhängen, dass damals zu dieser Katastrophe geführt hat, ist mir unbegreiflich.
Wir dürfen niemals vergessen
Also, ich plädiere für solche Stolpersteine in jeder Timeline – damit wir niemals vergessen.
Und zum Glück gibt es auch Tweets, die einen aufatmen lassen:
13 January 1901 | A Polish woman Adelajda Cieślewska was born. She was incarcerated in #Auschwitz on 12 November 1942 (camp no. 24426). She was evacuated to KL Ravensbrück where she was liberated. pic.twitter.com/2Uxw1GCJoo
— Auschwitz Memorial (@AuschwitzMuseum) January 13, 2020
Beitragsbild: Berlin, Stolperstein für Else Liebermann von Wahlendorf, Budapester Strasse 45, verlegt am 26.09.2006; Axel Mauruszat/Wikimedia, Permission: The copyright holder of this file allows anyone to use it for any purpose, provided that the copyright holder is properly attributed. Redistribution, derivative work, commercial use, and all other use is permitted.