Der gefälschte Hitler

«Faking Hitler» ist eine selbst­kritische Podcast-Reihe des Magazins «Stern» über die gefälschten Tage­bücher des Führers, in der der grösste Skan­dal der deutschen Medien­ge­schich­te detail­reich und spannend auf­gear­beitet wird.

Die Macher des «Stern» zeigen die Grösse, die unrühmlichste Affäre aus der Geschichte des Magazins in einer ausführlichen Podcast-Reihe aufzuarbeiten. Die heisst Faking Hitler und ist über diese Adresse hier abonnierbar.

Die Geschichte dürfte allen bekannt sein, die sich entweder ansatzweise für Medien interessieren oder aber den Film Schtonk! gesehen haben. (Der die Affäre für einen satirischen Spielfilm ziemlich adäquat darstellt.) Gerd Heidemann ist der beste Mann im Stall des «Stern», der von Henri Nannen, seines Zeichens ebenfalls Journalistenlegende, jeweils für die besonders kniffligen Recherchen aufgeboten wurde.

Heidemann hat eine kleine Schwäche für Überbleibsel des tausendjährigen Reiches. Er hat, wie «Schtonk!» zu sehen, tatsächlich Hermann Görings Yacht «Carin II» für sich gekauft, und verkehrte gerne in den Kreisen, in denen ein schwungvoller Handel mit Hinterlassenschaften von Nazi-Grössen stattfand. So bekam er auch Wind von angeblichen Hitler-Tagebüchern, die angeblich auf dem Schwarzmarkt angeboten worden waren.

Und sogleich gingen Heidemanns Leidenschaft für Nazikram mit dem Jagdinstinkt des Reporters eine unheilvolle Verbindung ein. Heidemann spürte den Verkäufer der Bücher, Conny Fischer auf und erwarb zwischen 1981 und 1983 tranchenweise 62 Bände dieser vermentlichen Hitler-Memoiren. Er bekam für diese Anschaffungen von der Verlagsleitung geschlagene 9,3 Millionen DM.

Die Sensation hatte nicht lange Bestand

Am 25. April 1983 stellte der «Stern» diesen Sensationsfund der deutschen Öffentlichkeit und der ganzen Welt vor, obwohl schon damals Zweifel an der Echtheit aufgetaucht waren. Schon am 6. Mai 1983 war klar, dass Heidemann einem Fälscher aufgesessen war. Alle Bände waren Nachkriegsproduktionen, was man am Papier, an den Einbänden und auch an einzelnen Merkmalen der Handschrift hätte merken können. Der Verkäufer der Tagebücher, Conny Fischer, entpuppte sich als Konrad Kujau. Der hatte sie in ausdauernder Handarbeit selbst angefertigt.

Der Podcast arbeitet diese Geschichte mit Interviews und vielen O-Tönen auf. Der Journalist Malte Herwig hat mit Gerd Heidemann, mit Kollegen aus der damaligen «Stern»-Redaktion, mit dem Haftrichter, einem Kenner von Kujaus Schaffen und einigen anderen Zeitzeugen gesprochen. Im Zentrum stehen allerdings die Tonbandaufnahmen der Gespräche zwischen Heidemann und Kujau. Heidemann hatte sie allesamt aufgezeichnet, und so lässt sich sehr schön nachvollziehen, wie der Fälscher den Reporter hinhält, vertröstet und mit immer abenteuerlicheren Geschichten über die vertrackten Schmugglerwege der Tagebücher aus der DDR bei der Stange hält.

Der Fälscher hat eine Goldader entdeckt

Denn Kujau hat schnell gemerkt, dass er hier auf eine Goldader gestossen ist. Der «Stern» ist gewillt, für diese Sensation viel Geld auf den Tisch zu legen. Aber dafür braucht er genügend Verkaufsmaterial. Und das fertigt er vorzu an – mit erstaunlich viel Ausdauer und keinerlei Scheu vor Banalitäten. Die Passage aus «Schtonk!» über die Verdauungsprobleme des Führers hat sich Kujau mehr oder weniger genauso ausgedacht. Und selbst die angeblichen Aktaufnahmen von Eva Braun, die im Film vorkommen, wollte Kujau gesehen haben. Wenn die Sache mit der Veröffentlichung der Tagebücher im «Stern» nicht aufgeflogen wäre, hätte er wahrscheinlich auch die gefälscht.

Man hört viele knisternde Telefonaufnahmen

Fazit: Der Podcast ist spannend, in der «Serial»-Tradition collage-artig produziert und ohne Anstrengung hörbar. Und es ist aufschlussreich, einen solchen Fall anhand von Originalmaterial aufzuarbeiten, selbst wenn man sich deswegen über lange Strecken knisternde Telefonaufnahmen anhören muss. Aber so kann man miterleben, wie Heidemann seine journalistische Distanz völlig abhandenkommt. Selbst wenn Konrad Kujau sich verspricht und eine Bemerkung wie «Ich hätte früher mit den Fälschungen aufhö… äh…» fallen lässt, bekommt er das nicht mit.

Womöglich ist das teilweise ungerecht. Man denkt beim Hören, dass einem selbst das niemals hätte passieren können – derartig geleimt zu werden. Aber ich denke, da verkennt man das Jagdfieber des Reporters und unterschätzt wahrscheinlich auch die Einseifungsfähigkeiten eines notorischen Betrügers wie Kujau.

Also – unbedingt anhören! Noch zwei Folgen der zehnteiligen Podcastreihe sind übrig. Ich bin gespannt, ob sich die Autoren noch einen Scoop fürs Finale aufbewahrt haben – und vielleicht die Katze, wo das viele Geld geblieben ist, doch noch aus dem Sack lassen. Oder womöglich herausgefunden haben, dass Heidemann tatsächlich mit Kujau unter einer Decke steckte. Darauf wetten würde ich nicht.

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