Der Browser der letzten Hoffnung

Trotz seiner Aussenseiterrolle wird Opera unermüdlich weiterentwickelt. Aber lohnt sich der Aufwand: Hat er Firefox und Chrome ernsthaft etwas entgegenzusetzen?

Ungezählte Stunden harter Arbeit, Hektoliter von Kaffee, Tonnen von Verbesserungen, zwei übersprungene Versionsnummern – das sind die Stichworte, die in der Pressemeldung zum neuen Opera-Browser mitgeliefert wurden.

Die Schnellauswahl ist eine Opera-Erfindung, die es inzwischen bei allen Browsern gibt.

So wenig aussagekräftig das auch ist, hat es mich dazu gebracht, wieder einmal einen Blick auf den Browser aus Norwegen zu werfen. Die eigentliche Neuerung ist, dass Opera die eigene Engine namens Presto aufgibt und stattdessen auf Blink setzt. Diese Engine wird von Google entwickelt. Sie auch in Chrome, und sie ist eine Abspaltung (Fork) der Webkit-Enginge, die man ihrerseits mit Apples Safari benutzt.

Ein Verlust an Vielfalt

Man kann nachvollziehen, weswegen Opera Presto hat fallen lassen. Eine HTML-Engine zu pflegen, ist viel Arbeit. Indem die Norweger auf Blink umschwenken, können sie ohne Zweifel viele Ressourcen freisetzen, die sich anderweitig nutzen lassen – beispielsweise für eine innovative Benutzeroberfläche. («We can focus on innovation to make a better browser», heisst es hier). Die Webdesigner freut es, wenn es möglichst wenig Engines gibt. Das reduziert die Kompatibilitätsprobleme. Die Anwender (so sie sich für das Thema interessieren), wünschen sich eine möglichst grosse Vielfalt – das garantiert am ehesten die Einhaltung der Standards. Mit Schaudern denkt man an die Zeit zurück, wo der Internet Explorer so dominant war, dass sich Microsoft um die Regeln foutieren und Undinge wie ActiveX in den Markt drücken konnte.

Optisch ist der Browser eine seltsame Mischung aus Firefox und Chrome. Es gibt, wie in Firefox, eine Menü-Schaltfläche in der linken oberen Ecke. Die Reiter sitzen, wie bei Chrome, oberhalb der Adressleiste. Es gibt die bekannte Schnellwahl, die von Opera nach eigenen, aber nicht unbestrittenen Angaben erfunden wurde, die man inzwischen aber bei allen Browsern findet – inklusive Safari, Firefox, Chrome und sogar beim Internet Explorer. In der Schnellwahl-Seite kann zu der Stash-Ansicht gewechselt werden. In ihr sind Seiten mit grosser Voransicht zu finden, sodass man abgelegte Fundstücke optisch und nicht anhand von Text-Bookmarks wiederfindet. Über einen Schieberegler kann man die Voransichten vertikal verlängern oder verkürzen. Es gibt eine Suchfunktion, die aber nicht im Volltext, sondern nur bei der Adresse und dem Seitentitel zu greifen scheint. Sehr nützlich erscheint mir die Stash-Ansicht nicht zu sein, wenn man viele Dinge sammelt – da kommt man mit einem Dienst wie Pocket oder mit der History-Volltextsuche von Google Chrome eher ans Ziel.

Die «Discover»-Funktion ist kaum der Entdeckung wert

Unter Discover findet man eine Vorauswahl an News. Für einige Länder gibt es ein landesspezifisches Angebot. In der Schweiz findet man internationale Meldungen z.B. von The Guardian oder latimes.com vor. Das ist selbst für Leute ohne besondere News-Vorlieben komplett nutzlos – ein simples Lesezeichen auf news.google.com brächte mehr Informationsgehalt. Eine weitere Neuerung ist etwas, das fehlt: Das M2-Mailmodul wurde entfernt, um den Browser schneller und schlanker zu machen. Das Modul ist nun separat als Opera Mail erhältlich.

Die News unter «Discover» zeichnen sich durch Beliebigkeit aus.

Die von Opera beworbenen Neuerungen bringen mir leider keinerlei Nutzen und daher fällt dieser Browser bei aller Sympathie für den Underdog auch weiterhin aus Rang und Traktanden. Jetzt, wo die eigene Engine weg ist, fällt auch das Sicherheitsargument weg – denn eine eigene Engine bringt eine gewisse Immunität gegen Schädlinge, die sich an den Mainstream-Browsern orientieren. Die Offroad-Funktion ist das einzige Alleinstellungsmerkmal. Mit ihr kann man den Datenverkehr beim Surfen reduzieren, wenn man eine Volumen-beschränkte oder langsame Internetverbindung nutzt – die Daten laufen dann über Operas Server und werden vor dem Abruf ausgedünnt und komprimiert. Eine ähnliche Funktion namens SPDY Proxy könnte demnächst auch bei Chrome zu finden sein.

Opera braucht es nicht mehr…

Braucht es den Opera-Browser noch? Ohne die eigene Engine, ohne eigene Akzente bei der Benutzeroberfläche und eigenständigen Features muss ich diese Frage leider abschlägig beantworten. Nur wenn jemand Google meidet wie der Teufel das Weihwasser, Firefox wegen den Performance-Problemen nicht mehr benutzen möchte, auch etwas gegen Microsoft und Apple hat, dann könnte er bei Opera landen. Aber will man bei Opera wirklich der Browser der letzten Hoffnung sein?

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