James, der Twitter-Grossverdiener

Wer steckt hinter Meme-Schleudern wie @Pictures­FoIder auf Twitter? Und ist das ein Hobby oder ein Ge­schäfts­modell?

Der Twitter-Algorithmus hat fragwürdige Vorlieben und eine fehlerhafte Vorstellung von dem, was vernünftigen Leuten im Web gefällt. Er glaubt, mich mit Tweets von Leuten zu erfreuen, die selbst für SVP-Verhältnisse eine Rechtsaussen-Position vertreten.

Nachdem ich deren Accounts alle stummgeschaltet habe, erscheinen in der Für dich-Ansicht tatsächlich wieder Tweets von Leuten, denen ich auch wirklich folge. Plus diverse Accounts, die sich auf den Ausstoss von Memes spezialisiert haben.

Einer dieser Accounts ist @PicturesFoIder bzw. namentlich «non aesthetic things». Diesen Namen erachtet der Betreiber offensichtlich als Auftrag – denn die Memes, die wir hier sehen, sind meistens nicht schön: Oft sehen wir Clips, die früher im Privatfernsehen in einer der vielen Pannenvideo-Shows gelaufen wären – und deren Protagonisten uns schon damals an der Menschheit haben zweifeln lassen. Und an uns selbst, weil wir beim Zappen wider jede Vernunft hängen geblieben sind.

Eine Millionen-Einschaltquote

Einer der reichweitenstärksten Accounts auf Twitter – und niemand weiss, wer ihn betreibt.

Zweifel sind auch bei @PicturesFoIder angebracht: Der Account hat 3,5 Millionen Follower, aber die meisten Posts kommen auf eine viel grössere Einschaltquote. Das bedeutet, dass ich nicht der Einzige bin, der der Twitter-Algorithmus mit diesen Tweets behelligt. Ich habe überschlagsmässig die Views zusammengerechnet, die der Account pro Tag ansammelt, und es waren zwei, drei Stichproben um die achtzig Millionen pro Tag.

Damit liegen zwei Fragen auf der Hand. Erstens: Wer steckt hinter @PicturesFoIder? Und zweitens: Kann die Person davon leben?

Um die erste Frage zu klären, habe ich den Link angeklickt, den @PicturesFoIder im Profil hat: crazed.net/nat. Er leitet um zur Startseite von «Crazed», einer dieser Webpostillen mit einem wilden Durcheinander an Inhalten, für die man sich niemals ein Lesezeichen anlegen würde. Auch hier gibt es Memes, aber kein Impressum – und auch bei Whois wird der Betreiber geheim gehalten.

Einer der produktivsten «Publikumsmacher»

Immerhin: Auf der Website mit dem treffenden Namen «Shitposting works» habe ich ein Interview mit «Nat» gefunden, der hier James heisst:

James ist einer der produktivsten Publikumsmacher der Welt. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere hatte er mehr Reichweite hatte als 99,99 Prozent aller Menschen in den sozialen Medien. Seine Freunde wissen nichts davon. Zusammen mit seinem Freund Bilal hat James über fünf Millionen Follower über mehrere Konten angesammelt und dem Algorithmus den Meister gezeigt, lange bevor Elon daran dachte, Twitter zu kaufen. James hat ein einzigartiges Talent für den Aufbau einer Online-Präsenz und für die Kuratierung von Inhalten für sein Publikum.

Wir erfahren im Interview, dass James 2016 als 13-Jähriger mit dieser Arbeit (?) angefangen hat. Er betreibt um die zwanzig Accounts und war während ungefähr vier Jahren gesperrt: «Twitter fand es nicht gut, dass ich mehrere Konten benutzte, um mich selbst zu retweeten, und gab mir schliesslich den Schuh.»

Damals habe er drei bis vier Milliarden Views pro Monat gehabt. Er habe «etwas Taschengeld verdient, es aber vor allem des Spasses wegen gemacht», sagt James.

Kein Hobby, sondern ein lukrativer Job

Ob das heute noch so ist, wage ich zu bezweifeln. Denn unter Elon Musk scheint Twitter nicht nur kein Problem mehr mit James’ Methode zu haben – nein, der Mikrobloggingdienst beteiligt erfolgreiche Accounts wie den seinen seit Juli 2023 auch am Werbeumsatz.

Erfolgreich heisst, gemäss Help Center, dass wir mindestens fünf Millionen «organische Impressionen auf Ihre kumulativen Beiträge innerhalb der letzten drei Monate haben» müssen. Wir können festhalten, dass eine beträchtlich hohe Hürde ist. Nutzerinnen und -Nutzer, die in einem kleinen oder auch mittleren geografischen Raum oder Sprachgebiet aktiv sind, können sie kaum überwinden. Einer der reichweitenstärksten Schweizer Twitterer ist @KoeppelRoger. Stand 2021 kam er während 59 Tagen auf 3,25 Millionen Impressionen und hätte keine Chance, von Elon Musk Geld zu bekommen.

Ab ca. 50 Millionen Views pro Tag wirds interessant

Wenn man die Hürde schafft, dann lässt sich über den Twitter Money Calculator bestimmen, wie viel Geld rumkommt. Gemäss diesem Geldrechner sind 100’000 Impressionen ungefähr einen US-Dollar wert. Die achtzig Millionen Views pro Tag von James ergeben demnach 680 Dollar.

Das ist als Tagessatz nicht schlecht. Aber erinnern wir uns, dass James diverse weitere Accounts hat und von drei bis vier Milliarden Views im Monat sprach. Das wären solide 34’000 US-Dollar pro Monat. Es können auch mehr sein, da der Algorithmus die Cashcows heute vermutlich noch stärker bevorzugt als damals – zumal ich @PicturesFoIder in der Vor-Elon-Ära nie vorgeschlagen bekommen habe. Aber klar, er muss auch noch Bilal beteiligen und ab und zu eine neue Festplatte für die Meme-Sammlung kaufen.

«Engagement Farming»: Hier werden seltsame Anreize gesetzt

Fazit: Es steht ausser Zweifel, dass genau solche Accounts wie @PicturesFoIder mit Twitters Werbeumsatzbeteiligung verdienen. James tut das mit fremden, man könnte sagen, aus dem Web zusammengeklauten Inhalten.

Leute, die eigene Inhalte veröffentlichen, haben kaum Chancen, in derlei Sphären vorzustossen und mit Twitter einen wesentlichen Anteil ihres Lebensunterhalts zu verdienen. Jedenfalls fragt man sich als Freund origineller und qualitativ einigermassen hochwertiger Äusserungen schon, ob Twitter die richtigen Anreize setzt.

Apropos Qualität: Es war so eine positive Entwicklung, dass wir nicht mehr vom linearen Fernsehen abhängig sind. Wir müssen nicht mehr durch die Kanäle zappen und die Gefahr ist gebannt, dass wir uns eine Pannenvideo-Show im Privatfernsehen ansehen. Stattdessen bleiben wir nun bei dem Schrott hängen, der Twitter uns ungefragt in die Timeline spielt.

Ich muss Busse tun

Denn die meisten dieser Memes gehören in die Kategorie der Aufreger, die uns einen gefühlsmässigen Kick geben: Sie bringen uns glücklichen Ausnahmen zum Lachen, aber meistens appellieren sie an Wut, Schadenfreude oder eine der anderen negativen menschlichen Gefühlsregungen.

Man nennt das landläufig auch «Engagement Farming», weil es diese Posts aufs Like, Retweeten und auf Widerspruch anlegen. Mit unserem Leben haben diese Memes nicht das Geringste zu tun, und so wäre es naheliegend, @PicturesFoIder zu blockieren, stummzuschalten oder im Minimum niemals anzuklicken.

Doch weil ich keines von diesen drei Dingen bislang geschafft habe, ist mein Entschluss, hier öffentlich Busse zu tun. Ich habe mir selbst folgende Strafe für dieses, durch Twitter verursachte Vergehen auferlegt: Ich werde, wenn ich bei @PicturesFoIder oder einer vergleichbaren Nicht-Unterhaltungsquelle hängen geblieben bin, hier im Blog in der neuen Rubrik Der Online-Shit der Woche Rechenschaft ablegen.

Zum Beispiel hier: Twitter als braune Schlangengrube

Beitrag: Reich durch Twitter, und das schon als Teenager (Dall-e 3).

One thought on “James, der Twitter-Grossverdiener

  1. Dass Du es noch aushältst bei Twitter… Mir ist es verleidet. Die Diskussionskultur hat sowieso nachgelassen, aber in letzter Zeit (wohl seit der Beteiligung an Werbeeinnahmen) nehmen Beiträge vom Typ „PicturesFolder“ überhand. Bei gefühlt jedem zweiten englischsprachigen Post mit etwas Reichweite ist spätestens der dritte Kommentar von der Art. Völlig themenfremd. Da ist es mir wohler bei Mastodon. (Wobei ich ehrlich zugeben muss, dass ich bei dummen Videos auf Twitter mehr lache als bei Diskussionen auf Mastodon.)

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