Tumblr ist wieder da!

Viele potenzielle Nachfolger stehen in den Startlöchern, falls Twitter den Schirm zumachen sollte. Einer davon ist ein alter Bekannter: Tumblr. Doch wie tauglich wäre der als Twitter-Ersatz?

Beitragsbild: David Karp, der Tumblr-Gründer, 2017, am Web Summit in Lisabon (Stefan Schäfer, Lich/Wikimedia, CC BY-SA 4.0).

Ob Twitter mit Elon Musk die Kurve kriegt, ist nach wie vor offen. Falls nicht, gibt es einige Kandidaten, die Twitter beerben könnten.

Ein paar solcher Möchtegern-Twitter-Nachfolger haben sich denn auch in Stellung gebracht. Einer ist die Hive-App, die ich getestet habe und derzeit für chancenlos halte. Ein zweiter nennt sich Post. Dieser Dienst befindet sich im Betastadium. Ich habe eine Einladung erhalten und mich angemeldet, aber in Firefox nur eine leere Seite und in Edge einen «Application Error» gesehen. Das sieht für mich nicht so aus, als ob diese App das Momentum erwischen würde.

In einem Podcast habe ich einen Vorschlag gehört, um den es hier gehen soll: Tumblr solle in eine (allfällige) Lücke springen. Ich habe mich erst einmal gewundert, dass es Tumblr überhaupt noch gibt. Diese ursprünglich tolle Plattform hat sich 2018 ins Aus manövriert, weil sie Yahoo in die Hände gefallen war, woraufhin sämtliche Nacktheit verbannt worden war. Das habe ich schon damals als grandiosen Fehler empfunden, weil genau das das Unterscheidungskriterium gegenüber prüden Plattformen wie Facebook war.

Nacktbilder, aber geschmackvoll

Tumblr ist daraufhin in der Bedeutungslosigkeit versunken. Inzwischen gehört Tumblr nicht mehr Yahoo, sondern der WordPress-Erfinderin Automattic. Jüngst sind die Regeln wieder gelockert worden: Tumblr bringt die geschmackvollen Nacktbilder zurück, nicht aber die Pornos, heisst es bei «Gizmodo».

Kommt jetzt die grosse Chance für Tumblr?

Und ja, die Idee hat was. Seit ich mich erinnern kann, hat Tumblr eine gewisse Ähnlichkeit mit Twitter: Es gibt eine Zeitleiste mit Beiträgen. Unter jedem Beitrag gibt es Knöpfe für eine Antwort, das Teilen, das Rebloggen, also Weiterleiten an die eigene Gefolgschaft und für ein Like.

Es gibt Tags und sogar die bei Twitter so heiss umstrittenen blauen Häkchen. Die sind übrigens gegen Geld erhältlich. Man bezahlt 7,99 US-Dollar und bekommt dafür nicht eines, sondern sogar zwei davon.

Das Häkchen, das sich in einen Krebs verwandelt

Das scheint aber vor allem ein Seitenhieb auf Elon Musk zu sein, denn im Kleingedruckten heisst es:

Das hier ist kein Verifizierungsstatus. Es ist ein wichtiges blaues Internet-Häkchen, das im Jahr 2022 aber genauso legitim ist. Das wichtige blaue Internet-Häkchen kann sich außerdem jederzeit in einen Schwarm von Krebsen verwandeln 🦀. Hinweis: Das wichtige blaue Internet-Häkchen ist nicht erstattungsfähig.

Das ist lustig genug, dass ich in Versuchung war, mir ein solches Häkchen zu klicken – einfach des Charmes wegen.

Nebst den Ähnlichkeiten zu Twitter gibt es markante Unterschiede. Der wichtigste scheint mir, dass wir nicht Personen folgen, sondern Blogs. Und auch wenn natürlich hinter jedem Blog eine Person steht, so gibt das der Sache doch eine distanziertere Anmutung: Als Teilnehmer bei Tumblr vertreten wir nicht uns selbst, sondern bewirtschaften als Blogger als Themengebiet.

Man kann sich an dieser Stelle streiten, ob das semantische Haarspalterei ist oder womöglich den Effekt hat, dass der Austausch mit etwas mehr Distanz stattfindet. Vielleicht – aber wahrscheinlich auch nicht. Denn gehässige Kommentare gibt es nicht nur in den sozialen Medien, in denen wir als uns selber auftreten, sondern auch unter sachlichen Blogbeiträgen. Trotzdem wäre schon ein graduell anständigerer Umgangston natürlich als Fortschritt und als Gewinn zu werten.

Fünf Arten von Posts

Der grösste Unterschied zu Twitter ist ersichtlich, wenn wir einen Beitrag veröffentlichen wollen: Es stehen die fünf Post-Arten Text, Bild, Zitat, Link, Chat, Audio und Video zur Auswahl. Je nachdem, was wir auswählen, verändert sich die Eingabemaske. Das ist nicht revolutionär, aber charmant.

Da bei Tumblr nicht Kurznachrichten, sondern Blogposts abgesetzt werden, darf man im Editor Formatierungen verwenden. Und auch wenn die Gestaltung des Eingabefelds uns als Nutzerin nahe legt, dass wir uns kurzfassen sollen, gibt es kein Zeichenlimit.

Tumblr lebt zwar von kurzen Beiträgen, doch es gibt keine Längenbeschränkung – auch dieser Blogpost hat in Gänze Platz.

Also, meines Erachtens ist die Gelegenheit günstig, Tumblr auszuprobieren und (allenfalls) wiederzuentdecken. Ich glaube tatsächlich, dass dieses immerhin seit 2007 existierende soziale Netzwerk sein Potenzial noch nicht vollständig ausgereizt hat. Als Twitter-Ersatz sehe ich ihn aber nicht.

Bloggen ist nicht das, was die breite Masse will

Erstens wirkt die Terminologie rund ums Bloggen nicht mehr zeitgemäss. Und auch wenn ich hier immer mal wieder argumentiert habe, dass das Bloggen nicht so tot ist, wie manche behaupten, so müsste sich Tumblr davon verabschieden, um die grossen Massen anzusprechen. Und der Dienst müsste noch mehr auf Tempo und auf schnelle Veröffentlichungen getrimmt werden – weil Twitter offensichtlich vor allem jene Leute anspricht, die schneller twittern als denken können.

Bleibt die Frage, ob Tumblr überhaupt in die Rolle als Twitter-Ersatz schlüpfen möchte. Ich glaube es nicht. Die Querelen rund um Elon Musk haben offensichtlich zu Gedankenspielen bezüglich Zukunft Anlass gegeben. Aber die weisen in eine alternative Richtung: Tumblr will nämlich das ActivityPub-Protokoll unterstützen, das aus dem Fediversum stammt und auch Mastodon betreibt. Bei «Techcrunch» liest sich das wie folgt:

Die Ankündigung bedeutet, dass Tumblr nicht mehr nur eine Nischen-Blogging-Plattform ist, sondern Teil eines grösseren, dezentralisierten sozialen Netzwerks wird – eines, dessen Nutzerbasis in den letzten Tagen gewachsen ist, da die Menschen auf der Suche nach neuen Communities sich von Elon Musks Twitter abgesetzt haben.

Demnach belegen die Zahlen, dass Tumblr zumindest von einigen Twitter-Flüchtlingen als rettender Hafen gesehen wird: Zwölf Tage nach der Übernahme seien die weltweiten Downloads der App um 77 Prozent auf 301’000 gestiegen, heisst es bei «Techcrunch».

Gestatten, Peter Panama!

Nun denn, ich habe meinen Tumblr-Account reaktiviert, falle aber noch nicht durch gesteigerte Aktivitäten auf. Trotzdem; hier mein Profil als ppanama.

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