Ein rundes Schild mit rotem Rand und der Zahl «07», umgeben von blauen Herzsymbolen, steht auf einem Pfosten im Gras vor einem Wald.

Grokipedia ist die falsche Lösung für ein inexistentes Problem

Elon Musk tritt mit einem eige­nen On­line-Lexi­kon an. Und er beweist vor allem eines: wie froh wir sein soll­ten, dass sich noch im­mer Menschen, und nicht bloss KIs um das Mensch­heits­wis­sen küm­mern.

Braucht es Grokipedia? Das ist eine Alternative zu Wikipedia, die Elon Musk am Montag an den Start brachte. Es ist kein Geheimnis, warum sich dieser viel beschäftigte Mann mit einem vergleichsweise nebensächlichen Projekt aufhält: Er mag das Online-Lexikon nicht. Vor zwei Jahren nannte er es «Dickipedia» und «Wokipedia». Und er forderte den Gründer Jimmy Wales auf, den vermuteten Linksdrall zu korrigieren.

Zur Beurteilung müssen wir zwei Dinge klären:

  1. Ist Wikipedia tatsächlich links?
  2. Und falls ja, liesse sich das durch ein rechtes Gegenstück ausgleichen?

Wikimedia bekennt sich ausdrücklich zur Neutralität. Erst kürzlich hat die Stiftung hinter dem Lexikon sie als einen von drei Grundpfeilern für vertrauenswürdige Informationen aufgezählt. Die beiden anderen sind die Überprüfbarkeit und die Forderung, dass Wikipedia selbst keine Forschung betreibt, sondern sich auf Primärquellen stützt.

Es gibt Kritik an der Neutralität

Ob dieser Pfeiler wirklich trägt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Amercian Economic Association überprüfte 2012 28’000 Lexikoneinträge und stellte eine Bevorzugung demokratischer Positionen fest, die über die Zeit jedoch abnahm. Das Manhattan Institute, ein konservativer Thinktank, konstatierte, Personen rechtsideologischer Ausrichtung kämen auf Wikipedia tendenziell schlecht weg. Und Pluspedia.org kritisiert die Linkslastigkeit in Wikipedia in einem langen Artikel. Allerdings ist diese Plattform ein expliziter Gegenentwurf zum «von seinen Idealen abgefallenen» Vorbild.

Zwei Wikipedia-Seiten über die Schweizerische Volkspartei, links in Englisch mit dunklem Hintergrund, rechts in Deutsch mit hellem Hintergrund, mit Logo und Bild einer Person.
Was die Textwüsten-haftigkeit angeht, schlägt Grokipedia (links) Wikipedia (rechts) um Längen. Und es fällt bei Grokipedia auf dass jeder Abschnitt gleich lang ist und drei Absätze hat.

Es fällt auf, dass die Kritik von Institutionen kommt, die selbst nicht unbedingt neutral sind. Angesichts der Grösse von Wikipedia – es gibt inzwischen über 64 Millionen Einträge und ungefähr 100’000 Autoren und Autorinnen – scheint mir die Grundlage für den Vorwurf extrem dünn. Die Selbstkorrekturmechanismen greifen. Denn erinnern wir uns: Auseinandersetzungen um den richtigen Kurs können heftig ausfallen, wie das Beispiel der Relevanzkriterien belegt.

Ein Widerspruch in sich

Also: Ein rechtes Gegenstück wäre hilfreich, wenn Wikipedia sich offiziell zu einer linken Ideologie bekennen würde oder es einen unwiderlegbaren Beweis dafür gäbe, dass die Wikimedia-Stiftung das Neutralitätsgebot systematisch und schwerwiegend verletzt. Da das nicht der Fall ist, erscheint Grokipedia als Trotzreaktion darauf, dass Jimmy Wales 2023 nicht auf Elon Musk hörte.

Vor allem leidet Grokipedia unter einem offensichtlichen Konstruktionsfehler: Denn während Wikipedia sich um Neutralität bemüht, macht Grokipedia aus seiner Rechtslastigkeit keinen Hehl – als ob sich Überparteilichkeit mittels expliziter Parteilichkeit erzeugen liesse.

Die Antwort auf die Eingangsfrage ist ein klares Nein: Es braucht Grokipedia nicht. Schon gar nicht aus Sicht der Nutzerfreundlichkeit. Die Beiträge sind extrem unattraktiv. Der Beitrag über die SVP ist fast 80’000 Zeichen lang, ohne ein Bild oder sonst ein auflockerndes Element, das die Lektüre erträglich machen würde. Im Vergleich dazu ist der Wikipedia-Post «bloss» 55’000 Zeichen lang, mit Logos, einigen Bildern, Diagrammen und deutlich angenehmerer Strukturierung.

Verdikt hier: Elon Musk unternimmt nicht einmal den Versuch zu beweisen, dass die Konkurrentin in Sachen Leserfreundlichkeit und Attraktivität nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Im Gegenteil: Seine Bleiwüste lässt Wikipedia strahlen.

Eine Alternative des freien Marktes?

Wenn es Grokipedia nicht braucht, kann man immerhin die Ansicht vertreten, dass die Existenz dieser Plattform nicht schadet. Das ist die Position von Ronnie Grob, der sich gern für liberale bis libertäre Anliegen in die Bresche wirft:

Auch Elon Musk möchte nicht in einer Welt leben, wo es nur noch Grokipedia gibt. Toll ist doch vielmehr, wenn der freie Markt Alternativen erzeugt. Warum gleich so reserviert darauf reagieren?

Damit sind wir beim entscheidenden Unterschied zwischen Wiki- und Grokipedia. Von wegen freier Markt. Das erste haben Hunderttausende Menschen in Freiwilligenarbeit erzeugt. Das zweite ist das Resultat einer hyperaktiven KI. Musk trägt seinen Teil dazu bei, den KI-Anteil im Netz zu erhöhen. Das schadet dem Netz, aber nicht Wikipedia. Ganz im Gegenteil. Es erhöht den Wert von authentischen, menschengemachten Inhalten, die Idealen wie Neutralität nicht immer gerecht werden – deren gesellschaftlicher Wert aber unverkennbar und unbestritten ist.

Kommentar verfassen