Wie kommt eine Website zu Besucherinnen und Besuchern? Wer vermittelt ihr das Publikum: die Suchmaschinen, Social Media oder vielleicht Communitys wie Reddit? Diese Frage ist hochaktuell, weil das Netz sich rasant verändert:
- Es gibt Anzeichen, dass Suchmaschinen durch die generative künstliche Intelligenz abgelöst oder zumindest konkurrenziert werden.
- Die sozialen Medien vermitteln immer weniger Publikum an kleine, unabhängige Websites. Sie wollen die Leute auf ihren eigenen Plattformen halten und strafen Posts mit externen Links algorithmisch ab.
- Blogs, Foren und kleine Communitys verlieren an Bedeutung. Das führt dazu, dass von dort weniger Menschen ihren Weg ins freie, unabhängige Netz finden.
Wie lässt sich diese Entwicklung beurteilen? Letztes Jahr las ich den Artikel von Medienwissenschaftler Martin Andree, in dem er forderte, das Netz von Meta, Google und Musk zu befreien. In dem heisst es:
In Wirklichkeit ziehen die digitalen Monopole der grossen Netzkerne (GAFAM, also Google, Amazon, Facebook/Meta, Apple und Microsoft sowie Tiktok) den Grossteil des digitalen Verkehrs an sich. Der Rest des Internets gleicht einem riesigen Friedhof.
Ich schrieb ihn an und fragte, mit welchen Zahlen er diese Aussage untermauern könne. Er liess mich wissen:
Sie brauchen für echte wissenschaftliche Traffic-Analysen ein Beobachtungs-Setup, das einen zweistelligen Millionenbetrag kostet. Deswegen gibt es die kaum (weder in Deutschland noch in den anderen westlichen Ländern).
Für weitere Erkenntnisse empfahl er mir sein Buch Big Tech muss weg!, das derzeit auf meinem Nachttisch liegt.
Ein Beobachtungs-Setup im beschriebenen Massstab kann ich leider nicht bieten. Aber immerhin habe ich die Statistik für mein Blog zur Verfügung. Diese Analysemethode hat zwar allerlei Mängel¹. Aber weil sie besser ist, als komplett ahnungslos im Nebel zu stochern, kommt sie den Widrigkeiten zum Trotz zum Zug.
Die Erkenntnisse sind folgende:
1) Nichts geht ohne Suchmaschinen
Die anderen Suchmaschinen sind von überragender Bedeutung für die Publikumsvermittlung. Im analysierten Zeitraum von 2018² bis heute machen sie 86,4 Prozent der vermittelten Aufrufe aus.
Wenig überraschend: Die dominierende Suchmaschine ist Google. Das ist die Rangliste aus meinem Blog in Prozentzahlen:
| 96,637 | |
| Startpage | 1,571 |
| Bing | ,961 |
| Ecosia | ,506 |
| Baidu | ,140 |
| Yahoo | ,104 |
| Qwant | ,032 |
| Metager | ,014 |
| Swisscows | ,014 |
| Ask.com | ,012 |
| Yandex | ,010 |
Wenn noch Zweifel über die Abhängigkeitsverhältnisse bestanden hätten, wären die hiermit beseitigt. Interessante Beobachtung am Rand: Startpage schlägt Bing um eine halbe Länge!
2) Twitter dominiert die sozialen Medien
Wenn wir uns die Verteilung (in Prozent) bei den sozialen Medien ansehen, dann ist die Situation ebenfalls eindeutig:
| 52,04 | |
| 29,18 | |
| 15,70 | |
| Bluesky | 2,07 |
| Threads | 1,02 |
Twitter war über die Zeit lange das wichtigste soziale Netzwerk für die Verbreitung meiner Themen. Das ist heute nicht mehr der Fall: Hat mir Twitter 2019 noch fast 5200 Views eingebracht, waren es im Verlauf der letzten zwölf Monate nur noch 756. Nicht nur, dass Elon Musk mein Publikum erfolgreich von seiner Plattform vertrieben hat (?) – auch die Abstrafung durch den Algorithmus macht sich bemerkbar. Die beiden neuen Konkurrenz-Kurznachrichtendienste vermochten das nicht wettzumachen: Threads war in den letzten zwölf Monaten für um die 170 Views zuständig, Bluesky für gut 600.
Übrigens: Natürlich habe ich Mastodon nicht vergessen. Nur scheinen die Aufrufe aus dem Fediversum nicht richtig gezählt zu werden. In meiner Statistik gibt es insgesamt 13 Aufrufe von mastodon.social für die letzten zwölf Monate. Das entspricht definitiv nicht der Resonanz, die ich dort erhalte. Doch der Aufwand, die diversen Instanzen und Apps zu konsolidieren, sprengte leider den Rahmen dieses Blogs.
3) Unter ferner liefen: Communitys und Aggregatoren
In meiner Statistik tauchen einige weitere Publikumsvermittler auf: der Aggregator Rivva (Brecht eine Lanze für das unabhängige Web), die bedauerlicherweise verblichene Medienwoche, das Online-Forum 3dcenter.org, Flipboard, einige Blogger-Kollegen wie Thomas Widmer, Martin Steiger und last but not least digithek.ch, plus einige Newsmedien. Die unterliegen grossen Schwankungen, und sie fallen quantitativ nur gering ins Gewicht – trotzdem: Dankeschön für die Klicks!
4) Die Abhängigkeit nimmt zu, die Vielfalt ab
Schauen wir uns die Entwicklung über die Zeit an, dann zeigt sich ebenfalls ein klares Bild: Die Vielfalt bei den Publikumsvermittlern geht kontinuierlich zurück; der Anteil der Suchmaschinen ist seit 2018 von gut 80 auf über 95 Prozent angestiegen.

Der Rückgang bei den sozialen Medien und Aggregatoren ist auch in absoluten Zahlen zu beobachten. Der hellblaue Anteil bezieht sich auf die News-Websites. Er rührt vor allem daher, dass ich bei meinen Tamedia-Artikeln gelegentlich auf mein Blog verweise. Dieser Anteil ging vor allem deswegen zurück, weil bei denen der Referrer nicht mehr ausgewiesen wird: Das führt zu einer Verzerrung. Wenn ich diese Kategorie weglasse, ist der Anstieg der Suchmaschinen weniger deutlich, aber dennoch signifikant.
Zu beachten ist, dass auch der Suchmaschinen-Anteil Schwankungen unterworfen ist. Es sind einige wenige Blogposts, die für den Löwenanteil des Suchmaschinen-Traffics verantwortlich sind: Wenn das Interesse an einem auf Google erfolgreichen Blogpost zurückgeht, führt das in der Summe zu einem spürbaren Rückgang. Das heisst nicht zwingend, dass die Bedeutung der Suchmaschinen insgesamt rückläufig wäre. Dieses eingangs erwähnte Horrorszenario ist bei meiner Website derzeit nicht zu bemerken: Möge das noch jahrzehntelang so bleiben!
5) Und die KI?
Die entscheidende Frage für die Zukunft ist natürlich, ob und wie sich die generative künstliche Intelligenz als Publikumsvermittler bemerkbar machen wird. Traurige Tatsache ist, dass sie für mich bis anhin fast keine Rolle spielt. Die Sprachmodelle haben in der Statistik nur winzige Spuren hinterlassen: ChatGPT ist mit 86 Klicks vertreten und Copilot von Microsoft mit acht. Deepseek und Mistral sorgten je für einen einzigen Besuch auf Clickomania.
Die AI Overviews von Google lassen sich nicht identifizieren. Unter dem Strich lässt das Böses erahnen: Denn wenn trotz des riesigen Hypes um die KI und der stark steigenden Benutzerzahlen nur so wenig Publikum bei den Primärquellen ankommt, heisst das nichts anderes, als dass der von Andree beschriebene Friedhof bald noch viel grösser und toter sein wird.
Fussnoten
1) Der Hauptmangel besteht natürlich darin, dass mein Blog in keiner Weise repräsentativ ist. Ausserdem sind die Zahlen, die ich von Jetpack bekomme, nicht belastbar.
Obendrein sie sind nicht vollständig: Jetpack zeigt den Referrer an. Das ist jene Information, die bei einem Aufruf einer Seite hier im Blog angibt, woher dieser Aufruf erfolgte, d. h., welche Website einen Besucher oder eine Besucherin vermittelt hat. Das lässt folgende Dinge ausser Acht:
- Es ist nicht ersichtlich, wie viele Leute im Vergleich dazu meine Website direkt angesteuert haben, etwa über ein Lesezeichen in ihrem Browser.
- Manche Websites unterdrücken den Referrer. Mein Eindruck ist, dass die Verwendung des Attributs noreferrer zunimmt, was umgekehrt zu einer Abnahme der Aussagekraft der entsprechenden Statistik führt.
- Die Verwendung eines RSS-Readers hinterlässt typischerweise keine Spuren in dieser Statistik.
- Und es gibt das Phänomen von Dark Social: Wenn Links über Messenger, per E-Mail oder auf anderen privaten Kanälen weitergegeben werden, schlägt sich das ebenfalls nicht in der Statistik nieder, sodass nicht alle Publikumsvermittler adäquat abgebildet werden. ↩
2) Bei meinem Umstieg auf WordPress habe ich mich für die Jetpack-Statistik entschieden, die ich seitdem nutze. Für die Zeit vorher habe ich leider keine vergleichbaren Zahlen zur Verfügung. ↩
Beitragsbild: Nicht einmal auf dem Hochsitz hockt einer (Niklas Hamann, Unsplash-Lizenz).