Drei Personen in fantasievollen Kostümen auf einem mittelalterlichen Markt. Eine hält einen Bierkrug, eine andere hat einen Federhut, und die dritte trägt ein pelziges Gewand. Im Hintergrund Zelte.

In der Zukunft ist es doch am besten

Warum übt das Mittel­alter eine solche Fas­zi­na­tion aus, dass es man­che wieder ein­füh­ren wollen? Ich habe versucht, das am his­to­ri­­schen Markt heraus­zu­finden.

Gestern war ich am Mittelalterspektakel in Winterthur: ein bunter Markt mit viel Kunsthandwerk, selbstgenähten Kleidern, einer dampfbetriebenen Kaffeemaschine und einem per Handkurbel betriebenen Kettenkarussell. Es gibt teilweise originelles Essen, wie man es an normalen Märkten nicht bekommt. Als Attraktionen kann man beim Kakerlakenrennen wetten und einer Foltershow beiwohnen.

Also: amüsant. Als Historikerin dürfte einen das kalte Gruseln packen, was hier alles unter «Mittelalter» subsumiert wird: Aus der Fantasy-Ecke waren Orks und Elfen mit dabei, als Tribut an Halloween wandelten einige lebende Tote übers Festgelände, die Tim Burton viel Freude gemacht hätten. Und vieles war hochgradig esoterisch, wie der Handlesestand – wohl mit der Überlegung, dass man vor x-hundert Jahren noch näher an althergebrachtem Wissen dran war als heute.

Personen werfen Äxte auf Holzziele bei einem mittelalterlichen Fest vor bunten Zelten. Im Hintergrund sind Bäume und ein Gebäude zu sehen.
Axtwerfen – dass sie steckenbleibt, ist nicht so einfach.

Das ist alles brutal verklärend, selbst mit der Foltershow, in der diverse Techniken des Henkers akribisch erklärt werden. Es gibt keinen Stand zur Kindersterblichkeit, weniger mittelalterlichen Körpergerecht und das Essen wird nach modernen Hygienestandards zubereitet. Aber klar, dass es keinen wissenschaftlichen Anspruch gibt. Geboten wird Eskapismus aus unserer komplexen modernen Welt mit KI und E-ID, globalen Konflikten und Klimaerwärmung. So heisst es denn auch beim Verlassen des Geländes auf der Rückseite des «Willkommen»-Banners: «Zurück in die Zukunft».

Eine Gruppe von Menschen betrachtet einen Stand mit antiken Gegenständen unter einem Sonnenschirm. Im Hintergrund sind Bäume und Zelte zu sehen. Ein Mann steht hinter dem Stand.
Die dampfbetriebene Kaffeemaschine.

Ein schöner Familienausflug. Nur ein Gedanke hat mir den Spass getrübt: Der Gedanke, dass dieses Mittelalter gar nicht so endgültig vorbei ist, wie ich bis vor Kurzem glaubte. Die Taliban haben es in Afghanistan wiederbelebt, und – die Foltershow lässt grüssen – der zum Märtyrer verklärte Podcaster Charlie Kirk forderte öffentliche Hinrichtungen.

Also, bei aller Liebe für die «gute alte Zeit» sollten wir den Wert des Fortschritts und die Errungenschaften der nicht vergessen …

Eine mittelalterliche Szene zeigt einen Menschen, der auf einem Holztisch liegt und an Seile gebunden ist. Eine weitere Person steht daneben und hält ein hölzernes Rad. Zelte im Hintergrund.
Charlie Kirk hätte das gelikt.

2 Kommentare zu «In der Zukunft ist es doch am besten»

  1. Es scheint eine menschliche Eigenart zu sein, die Vergangenheit zu verklären, nach dem Motto „früher war alles besser“.

    In einem Vereinsprotokoll von ca. 1910 habe ich gelesen, dass ein Lehrer sich über die Verzartheit der Jugend beklagt, weil nicht nur das Schulzimmer, sondern auch die Bibliothek beheizt werden sollte. Unsere Vorfahren, die Kelten, das waren noch Männer. Hart und niemals krank…

    Oder die ganzen Aufmärsche von römischen Legionen, die in Kaiseraugst und Windisch nachgespielt werden. Früher haben die Legionäre in den eroberten Gebieten keinen Kuchen verteilt.

    Auch die selbst erlebte Vergangenheit wird verklärt. Mein Grossvater hat immer geschwärmt von der Freiheit auf dem Bauernhof, die er in der Kindheit erlebt hat. Dass von elf Geschwistern nur sieben die Volljährigkeit erreicht haben, schien er vergessen zu haben.

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