Eine Person mit langen Haaren trägt weisse Kopfhörer und blickt ernst in die Kamera. Der Hintergrund ist grau.

Von Spotify verraten und verkauft

Ein trau­ri­ges Ka­pi­tel von Macht­miss­brauch und Kor­rup­tion: Um die Marge auf­zu­bes­sern, ver­schlech­tert der Strea­ming­an­bieter seinen Vor­schlags­al­go­ri­thmus – und lässt sich von Künst­ler­in­nen und Künst­lern dafür be­zahlen.

Es würde mich freuen, zur Abwechslung mal etwas Positives über Spotify zu schreiben. Heute ist das jedoch nicht der Fall.

Ein Screenshot mit Text über Spotify-Empfehlungen und den Einfluss von Promotion auf diese. Der Text beschreibt, wie Spotify personalisierte Empfehlungen erstellt und welche Faktoren dabei berücksichtigt werden.
«In einigen Fällen können kommerzielle Erwägungen unsere Empfehlungen beeinflussen.»

Im Gegenteil. Ich habe den Eindruck, dass Spotify es (weiterhin und schon wieder) darauf anlegt, meine Geduld ernsthaft auf die Probe zu stellen. Vor ein paar Tagen entdeckte ich in der App einen Hinweis auf sogenannte Promotionen. Neugierig, wie ich bin, tippte ich ihn an und wurde mit folgendem Hinweis konfrontiert:

Infos zu Empfehlungen und der Auswirkung von Promotion

Mit den Empfehlungen von Spotify findest du Musik, Podcasts, Hörbücher und andere Inhalte, die dir gefallen.

Unsere personalisierten Empfehlungen sind auf deinen Geschmack zugeschnitten und berücksichtigen viele Faktoren, etwa was du wann hörst, Aktionen, die du durchführst, z. B. suchen, skippen oder in deiner Bibliothek speichern, Informationen, die du mit Spotify teilst, wie deinen Standort, und wem du folgst, Trends und Hörgewohnheiten von Menschen mit ähnlichem Geschmack, die Eigenschaften der Inhalte selbst wie Genre und Veröffentlichungsdatum und das Fachwissen unserer Teams.

In einigen Fällen können kommerzielle Erwägungen unsere Empfehlungen beeinflussen. Spotify bietet beispielsweise ein Werbetool, mit dem Künstler*innen und Plattenlabels bestimmte Songs als Priorität markieren können. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese in bestimmten algorithmischen Playlists empfohlen werden: im Radio, über Autoplay und in bestimmten Mixtapes. So werden Künstler*innen von neuen Hörer*innen entdeckt und können ihre Fanbase vergrössern …

Seit mindestens zwei Jahren verfestigt sich mein Eindruck, dass sich die Empfehlungen von Spotify laufend verschlechtern. Das lässt sich direkt an meiner Favoriten-Liste ablesen: Die allermeisten dort gespeicherten Songs habe ich vor Urzeiten entdeckt – über den Mix der Woche oder algorithmisch erstellte Wiedergabelisten. Seit längerer Zeit kommen kaum mehr neue Songs dazu. Dafür häufen sich Fälle, in denen ich Songs in der Wiedergabe überspringe, weil Spotify viel öfter abnudelt, als ich sie hören will.

Spotify bemüht sich zwar – aber schönreden lässt sich das nicht

Und jetzt also diese «kommerziellen Erwägungen», die «unsere Empfehlungen beeinflussen». Was heisst das konkret? Kann sich ein Künstler oder eine Künstlerin einen Auftritt in meiner Wiedergabeliste kaufen? Präsentiert mir Spotify Songs, bei denen es keinerlei Anzeichen gibt, dass sie mir gefallen werden? Oder wird für die beworbenen Titel die Schwelle gesenkt, bei der sie der Algorithmus für zumutbar hält? In dem Fall würde ich Musik zu hören bekommen, die ich vielleicht ein bisschen mag, die es aber dennoch nicht in die Auswahl geschafft hätte, die mir der Streamingdienst normalerweise unterbreitet.

Unter der Voraussetzung, dass es sich bei den «Promotionen» um jene Initiative handelt, die auch die Bezeichnung «Discovery Mode» trägt, erfahren wir von Spotify ein bisschen mehr zu der Funktionsweise

Mit dem Discovery Mode identifizieren Künstler und Labels Songs, die Priorität haben, und unser System fügt dieses Signal den Algorithmen hinzu, die personalisierte Playlists erstellen. Dieses Signal erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die ausgewählten Songs empfohlen werden, garantiert dies jedoch nicht.

Und es funktioniert nur, wenn auch die Fans den Song lieben. Wir nehmen zur Kenntnis, wenn ein Hörer sich nicht für einen Song interessiert – auch nicht für solche im Discovery Mode – und berücksichtigen dies bei der Entscheidung, was wir in Zukunft empfehlen. Es geht um Harmonie.

Das ist eine blanke Lüge. Da auch der klügste Algorithmus im Voraus nicht weiss, ob mir ein Song gefällt oder nicht, muss er mir auf Verdacht hin unterbreitet werden. Das bedeutet zwingend, dass er einen besseren Song verdrängt. Wäre das nicht so, müssten wir davon ausgehen, dass Spotify jene Künstlerinnen und Künstler über den Tisch zieht, die sich Aufmerksamkeit erkaufen wollen.

Mehr als fünfzig Prozent der mittel-erfolgreichen Künstler machen mit

Zu meinem Erstaunen löste dieses «Feature» – wenn man es so nennen will – wenig Resonanz aus. Immerhin griff «The Guardian» das Thema im Februar in einem langen Artikel auf. Demnach funktioniert das Programm so, dass Künstlerinnen und Künstler auf dreissig Prozent ihrer Tantiemen verzichten müssen, wenn ihre Songs vom Algorithmus bevorzugt werden. Spotify feiert das Programm laut internen Informationen als Erfolg, so berichtet es die Zeitung:

Laut einer Auswertung der Slack-Nachrichten des Unternehmens feierten die Mitarbeiter von Spotify im Jahr 2023 einen «aufregenden Meilenstein für den Discovery Mode». Mehr als fünfzig Prozent der von Spotify als Tier zwei bis drei bezeichneten Künstler – also diejenigen mit jährlichen Tantiemen zwischen 50’000 und 500’000 US-Dollar – hatten den Modus ausprobiert. «Letztes Jahr haben wir uns das ehrgeizige Ziel gesetzt, dreissig Prozent zu erreichen», schrieb ein Mitarbeiter. «Mehr als fünfzig Prozent zu erreichen, schien jenseits unserer kühnsten Träume, und doch haben wir es geschafft. Herzlichen Glückwunsch an alle!»

Wir können daraus ableiten, dass die erste Garde (Tier eins) es nicht nötig hat, Tantiemen abzutreten. Sie kommt ohne algorithmische Unterstützung oft genug zum Zug. Sie braucht nicht auf Tantiemen zu verzichten, sondern würde eventuell eine «Übersättigung» des Publikums riskieren. Die Hobbymusiker (Tier vier bis x) ihrerseits können von Promotionen nur bedingt profitieren, weil es – so vermute ich – einer gewissen Bekanntheit bedarf, damit die zusätzliche Aufmerksamkeit nachhaltig wirkt.

Warum machen die Künstlerinnen und Künstler da mit?

Zwei Erkenntnisse zum Schluss:

Das ist ein exemplarisches Beispiel der gern erwähnten Enshittification-These von Cory Doctorow: Eine mächtige Plattform, die zwischen Anbieterinnen und Konsumenten vermittelt, kommt bei der fortschreitenden Kommerzialisierung irgendwann an den Punkt, an dem sie beide Parteien ausnutzt – im Fall von Spotify also Hörerinnen und Hörer und die Kunstschaffenden.

Denn machen wir uns nichts vor: Auch die Musikschaffenden sind Opfer dieser Strategie. Wenn in einer Kategorie sich die eine Hälfte beteiligt, geht das auf Kosten der anderen Hälfte, die es vielleicht aus hehren Gründen aus eigener Kraft schaffen möchte. Der Druck, sich an den Promotionen zu beteiligen, wächst. Bei höherer Beteiligung schrumpft der Sichtbarkeitseffekt. Unter dem Strich führt das zu einer Verringerung der Marge, wobei Spotify bekanntlich heute schon weniger Geld zahlt als andere Streamingdienste.

Zweitens ist das aus Sicht von uns Nutzerinnen und Nutzern ein Vertrauensbruch, der sich durch nichts schönreden lässt. Für die bessere Marge ist der Streamingdienst bereit, sein Produkt in voller Absicht zu verschlechtern. Es ist bedauerlich, dass so viele Künstlerinnen und Künstler dazu Hand bieten. Aber wie erklärt, stecken sie mitten in dem brutalen Kampf um Aufmerksamkeit. Ich habe Verständnis dafür, dass sie sich in einer solchen Notlage leichter korrumpieren lassen.

Beitragsbild: Sie ist vom «Discovery Mode» auch nicht begeistert (Katie Gerrard, Unsplash-Lizenz).

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