Fast wie Pokémon Go – bloss ist es eben kein Spiel, sondern blutiger Ernst: Es geht um die Warn-Apps, mit denen sich Immigranten darüber informieren können, ob in ihrer Umgebung ICE-Agenten aktiv sind. Denn wie wir wissen, geht die Einwanderungsbehörde nicht zimperlich vor. Sie greift Menschen auf, die optisch ins Raster passen – der Vorwurf des Racial Profilings steht im Raum – und sie zieht Einsätze radikal durch, selbst wenn Familien und kleine Kinder betroffen sind.
John Oliver legte die Situation vor einem Monat in seiner Sendung dar und liess nichts an Klarheit zu wünschen übrig: ICE stehe unter Druck, Quoten zu erfüllen. Die Behörde konzentriere sich auf Menschen, die in der Öffentlichkeit exponiert seien, und weniger auf Kriminelle, die man erst aufspüren müsse. Sie nehme «Kollateralschäden» in Kauf, und um jemanden festzuhalten, benötige sie keinen hinreichenden, sondern bloss einen Verdacht (reasonable suspicion). Fazit von John Oliver:
Ich sage nicht, dass alles, was ICE derzeit tut, illegal ist. Ich sage nur, dass vieles davon wirklich illegal sein sollte.
Damit steht ausser Frage, dass die Benutzung einer solchen App ein Akt der Selbstverteidigung ist.
Wer ist das Opfer, wer der Täter?
Doch letzte Woche wurde bekannt, dass Apple die App ICE Block aus dem Store verbannt hat. Gemäss Medienberichten begründete Apple das gegenüber dem Entwickler Joshua Aaron mit den Worten, ICE Block verletze in Bezug auf «anstössige und verleumderische, diskriminierende oder böswillige Inhalte» die App-Store-Richtlinien:
«Informationen, die Apple von Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt wurden, zeigen, dass Ihre App gegen die App-Store-Richtlinien verstösst, da ihr Zweck darin besteht, Standortinformationen über Strafverfolgungsbeamte bereitzustellen, die dazu verwendet werden können, diesen Beamten einzeln oder als Gruppe Schaden zuzufügen.»
Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass Apple die Tatsachen verdreht – ausser, wenn man den «Schaden» so interpretieren möchte, dass die Warn-App dazu führt, dass ICE die Quote weniger leicht erfüllt. Joshua Aaron spart auf seiner Website nicht mit Kritik an Apple:
Ich bin unglaublich enttäuscht von Apple. Sich einem autoritären Regime zu beugen, ist niemals der richtige Schritt. (…) ICE Block unterscheidet sich nicht von Crowdsourcing-Blitzerwarnungen, die jede namhafte Kartenanwendung, einschliesslich der Apple-eigenen Karten-App, als Teil ihrer Kerndienste implementiert. Dies ist durch das Recht auf freie Meinungsäusserung gemäss dem ersten Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten geschützt.
Google zeigt ebensowenig Rückgrat. Der Android-Konzern entfernte vor einer Woche die App Red Dot aus dem Play Store. Wie «404 Media» darlegt, ist die Täter-Opfer-Umkehr noch krasser als bei Apple. Google praktiziert das orwellsche Kunststück, die ICE-Beamten «als gefährdete Gruppe» («vulnerable Group») zu apostrophieren.
Apple löscht auch eine Dokumentations-App

Vorgestern wurde publik, dass auch die App Eyes Up aus Apples Store weichen musste (bei Google ist sie noch vorhanden). Sie archiviert Videos der ICE-Einsätze, die auf Tiktok, Instagram und in sozialen Medien kursieren. Die Betreiber prüfen sämtliche Einsendungen auf Relevanz und Richtigkeit. An der Rechtmässigkeit dieser App ist nicht zu zweifeln. Das American Immigration Council setzt sich für faire Einwanderungsgesetze ein, und Aaron Reichlin-Melnick erklärt als Senior Fellow im Namen der Organisation:
Wie jede andere Regierungsbehörde ist auch das DHS verpflichtet, sich an die Gesetze zu halten. Die Sammlung von Videobeweisen ist ein wirksames Kontrollinstrument. Es stellt sicher, dass die Regierung die Rechte von Bürgern und Einwanderern gleichermassen achtet. Die Menschen haben das Recht, Interaktionen mit Strafverfolgungsbehörden im öffentlichen Raum zu filmen und diese Videos mit anderen zu teilen.
Die Entfernung dieser App aus dem Store lässt sich nicht mit dem Schutz der ICE-Agenten begründen. Im Gegenteil: Die Dokumentierung ihrer Arbeit schützt die Agenten – natürlich vorausgesetzt, dass sie sich rechtskonform verhalten. Wenn das Sammeln solcher Videos von vornherein unterbunden werden soll, dann nährt das den Verdacht, dass systematisch Dinge geschehen, die von der Öffentlichkeit geheimgehalten werden sollen. Wenn Apple dazu Hand bietet, dann begibt man sich in Komplizenschaft mit einer staatlichen Organisation, die nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger handelt.
«Die Lösung finden, die Nutzern am besten dient»
Zwei Feststellungen:
Erstens muss es möglich sein, auch ohne Billigung der Betriebssystem-Hersteller Software aufs Smartphone zu bringen. Wir brauchen dringend Ausweich-App-Stores – und zwar nicht nur in der EU, sondern weltweit.
Zweitens ist es unvermeidlich, das Offensichtliche konkret zu benennen. Die Heuchelei der Tech-Konzerne ist zwar nicht sonderlich überraschend, aber dennoch beschämend.

Auf Apples Website findet sich das «Bekenntnis zu den Menschenrechten» (PDF). Es stammt aus dem Mai 2025. Tim Cook steuerte ein Zitat bei und der Konzern proklamiert, er wolle die UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte hochhalten. Drei Kernsätze aus dieser Zielsetzung:
- Hand in Hand mit dem Datenschutz unserer Nutzer geht unser Engagement für Informations- und Meinungsfreiheit.
- Apples Seele sind die Menschen. Deshalb verpflichten wir uns, die Menschenrechte aller zu achten, deren Leben wir berühren – einschliesslich unserer Mitarbeiter, Lieferanten, Auftragnehmer und Kunden.
- Wir sind verpflichtet, die lokalen Gesetze einzuhalten. Manchmal gibt es komplexe Fragen, bei denen wir mit Regierungen und anderen Interessengruppen unterschiedlicher Meinung darüber sind, wie der richtige Weg vorwärts aussieht. Durch Dialog und den Glauben an die Kraft des Engagements versuchen wir, die Lösung zu finden, die unseren Nutzern am besten dient – ihrer Privatsphäre, ihrer Möglichkeit, sich auszudrücken, und ihrem Zugang zu zuverlässigen Informationen und hilfreicher Technologie.
Doch wo ist im Fall der ICE-Apps der Dialog und die «Kraft des Engagements»? Oder sind das doch nur hohle Worte?
Beitragsbild: Die US-Einwanderungs- und Zollbehörde am 26. Januar 2025 in Chicago mit einer «verstärkten Durchsetzungsmassnahme» (U.S. Immigration and Customs Enforcement/Flickr.com, PDM 1.0).