Eine Person in einem schwarzen Hoodie und beiger Kappe steht am Strand, gestikuliert und spricht in ein Mikrofon, das auf einer Kamera montiert ist. Die Kamera steht auf einem Stativ und zeigt zum Meer. Der Himmel ist blau mit einigen Wolken. Im Hintergrund sind Gebäude sichtbar.

KI sei Dank streamt Jesus jetzt live vom Kreuz

Lieber vier­zig Jahre durch die Wüste ziehen, als noch eines dieser KI-Videos erdulden zu müssen: Über die spe­ziel­le Dumm­heit der «Bibel-Vlog­ger», bei denen selbst Ag­nos­ti­ker Ver­stän­dnis dafür ent­wickeln, warum Hoch­mut eine Tods­ünde ist.

Die Geschmacksverirrungen in den sozialen Medien stossen in neue Dimensionen vor. Schuld ist natürlich die künstliche Intelligenz. Sie erlaubt es dem hinterletzten skrupellosen Aufmerksamkeitsbewirtschafter, sinnlose KI-Machwerke in die Welt zu setzen. Welche Ausmasse das auf Facebook annimmt, habe ich vor ein paar Tagen berichtet. Bei Spotify sind KI-Songs auf dem Vormarsch und Youtube überlegt sich Massnahmen gegen den «AI Slop» (KI-Matsch). Mit dieser Perspektive stellt sich die Frage: Ist das Internet bald tot?

Wir sind uns vermutlich einig, dass dieser Slop nichts anderes ist als digitale Umweltverschmutzung. Lediglich der Grad der Nutzlosigkeit mag variieren, wie ich anhand eines Beispiels diskutieren möchte, das mir neulich begegnet ist. Das sind die – und ja, es wird im Folgenden reichlich absurd – die «Bibel-Vlogs».

Das sind Video-Blogs aus der Zeit des Alten und Neuen Testaments. Weil es damals bekanntlich weder Smartphones noch digitale Übertragungswege gab, werden Videogeneratoren (vor allem Googles Veo 3) dazu angestiftet, so zu tun, als würden die Protagonisten aus der Bibel ihren (anscheinend unbändigen) selbstdarstellerischen Drang ausleben, sich in Videotagebüchern direkt an die Christenheit zu wenden.

Man könnte dieser Idee wohlgesonnen sein: Dank innovativer Technik entsteht eine kreative Art, sich mit der Bibel auseinanderzusetzen! Diese Videos erreichen via Tiktok und Youtube ein grosses Publikum. Sie eröffnen einen neuen, modernen Zugang zu dieser religiösen Textsammlung, die im Original reichlich sperrig daherkommt und sich einem Jugendlichen mit einer Aufmerksamkeitsspanne von 40 Sekunden niemals erschliesst. Da hilft es, wenn Noah selbst erklärt, was auf der Arche abgeht, und Daniel in der Löwengrube vor der Fütterung ein paar Weisheiten in die Kamera gesprochen hätte. Oder?

Tiktok-Jesus ist selbst am Kreuz bemerkenswert guter Laune

Via Petapixel bin ich PJ Accetturo begegnet. Dieser «AI Filmmaker» setzte so ein «Bibel-Vlog» in die Welt und sahnte auf Youtube gut 240’000 Views ab. Das ist ihm Grund genug, diesen Erfolg nach Kräften auszukosten: «Mein Gott, was habe ich getan?» schreibt er in seinem Blog: «Jesus Christus, ich bin schon wieder viral gegangen.»

Er erklärt dort auch, wie er das Bibel-Vlog fabrizierte:

Man fragt sich: Wie hält er die Kamera?

Er nutzte ChatGPT für einen groben Drehbuch-Entwurf, machte daraus eine Art Storyboard, fütterte die Beschreibungen der einzelnen Szenen in Veo 3 und liess Googles Video-KI die Clips generieren. Er wählte die besten Varianten aus, nahm gelegentliche Verbesserungen vor und montierte in Final Cut und Capcut den fertigen Film. Dann wurde dieses Werk veröffentlicht und via soziale Medien reichlich Wind veranstaltet.

Das Resultat ist ein Clip von 64 Sekunden, in dem David vor Goliath steht, Moses das Rote Meer teilt und ein grinsender Jesus am Kreuz in die Kamera sagt:

Yo fam, they don’t know that G.O.D. is about to brb.

Seine Wiedergeburt sei anhängig, verkündet dieser fröhlich Gekreuzigte. Im ersten Moment grinsen wir vielleicht sogar. Zumindest, falls uns nicht auffallen sollte, dass Jesus nicht Gott, sondern Gottes Sohn ist. Aber gut, auch Jesus kann ein Lapsus unterlaufen, wenn er live von seiner Hinrichtung streamt.

Zurück zur Frage: Ist das kunstvoll eingesetzte KI? Oder ist es doch nur Slop und bloss ein Beitrag zur digitalen Umweltverschmutzung?

Natürlich hängt die Antwort auch davon ab, ob wir religiöse Gefühle besitzen, die es uns verbieten, Jesus und die Bibel in einer derartigen Interpretation überhaupt anzuerkennen – gleichgültig, wie gut oder schlecht das Resultat auch sein mag. Oder wir sind Fans von Life of Brian und der Überzeugung, dass sich jegliche christliche Verballhornung an Monty Pythons filmischem Meisterwerk messen muss. In beiden Fällen hat PJ Accetturo von vornherein verloren.

Ich klammere diese beiden Aspekte grosszügig aus. Mein Urteil lautet gleichwohl, dass diese «Bibel-Vlogs» keine kreative Auseinandersetzung mit religiösen Themen darstellen und kulturell wertlos sind. «Slop» in Reinkultur.

Die Sintflut war ein Dreck gegen den «AI Filmmaker»-Slop

Dafür, dass er gleich den Löwen vorgeworfen wird, ist er erstaunlich guter Laune.

Denn nichts an diesem Video ist originell: Das Drehbuch stammt von ChatGPT, das Bewegtbild von Veo 3, und die Idee hat Accetturo von einem anderen «Bibel-Vlog» auf Tiktok geklaut. Er behauptet zwar, er wolle sein «Trauma als Pfarrerssohn» bewältigen und «die Gefahr in Kauf nehmen, selbst gekreuzigt zu werden». Doch das ist kalkulierte Selbstbeweihräucherung. Es stellt sich nicht einmal die Frage, ob der Clip ernst gemeint, Satire, Blasphemie oder eine freakige Form von Gottesverehrung darstellt. Denn die KIs, die für das Resultat verantwortlich sind, operieren nicht in diesen Dimensionen.

Was Accetturo treibt, ist Trend-Surfing und Prompt-Karaoke, meinetwegen auch Template-Theater, Remix-Routine und KI-Kabarett. Und so selbstgefällig, dass selbst die Agnostiker unter uns ein gewisses Verständnis dafür entwickeln, warum die Superbia als Todsünde gilt.

Es ist letztlich weniger das Video, das mich stört, als vielmehr das, was es uns verheisst: Eine «Wiederauferstehung» jeder noch so dummen Idee, die ein paar Klicks verspricht. Wie das Rote Meer nach der Durchquerung der Israeliten werden die Machwerke von Accetturo und Konsorten über uns zusammenbrechen. Der Slop wird jegliche originären Inhalte davonspülen, wie die Sintflut die Sünder dieser Erde. Und wer gern authentische Werke fabrizieren würde, sieht kaum mehr eine Chance, gegen die künstliche Intelligenz anzustinken. Es droht ihnen die vierzigjährige Verbannung aus den sozialen Medien.

Ich zähle mich zu diesen Verbannten: Ich habe einen tollen Blogpost zur Frage geschrieben, wie es gewesen wäre, wenn es zu Jesu Zeiten Smartphones gegeben hätte. Viral gegangen ist er nicht. Aber, wer weiss, vielleicht wird er irgendwann wie der Ararat aus einem Meer von KI-Slop herausragen!

Beitragsbild: Wie zu Jesus’ Zeiten – wenn es damals schon Vlogger gegeben hätte (Andrés, Unsplash-Lizenz).

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