Es gibt sie noch, die Lebenszeichen. Sie zeigen uns, dass das unabhängige Internet nicht tot ist – noch nicht dahingemeuchelt von den Internetgiganten. Dass es an Boden verliert, habe ich vor zwei Jahren dargelegt. Seitdem wurde es nicht besser. Im Gegenteil: Der «Independent» berichtete vor einem Jahr über eine Studie zu genau diesem Thema:
Von den Webseiten, die 2013 existierten, sind 38 Prozent inzwischen verloren gegangen. Selbst neuere Seiten verschwinden: 8 Prozent der Seiten, die 2023 existierten, sind nicht mehr verfügbar. Das hat zur Folge, dass grosse Mengen an Nachrichten und wichtigen Referenzinhalten verschwinden.
Dann wird ausgeführt, dass die Zahl der toten Links im Web zunimmt. Vor zehn Jahren habe ich für meine Website untersucht, wie viele der verlinkten Quellen nicht mehr existieren. Das waren damals Hunderte. Wenn ich es schaffe, das Experiment zu wiederholen, wird das Resultat unzweifelhaft noch viel mehr tote Links ausweisen.
Seit 2020 geht es bergab
Für meine These des schrumpfenden Webs ist indes die Frage entscheidend, ob mehr Websites verschwinden, als neu hinzukommen. Das scheint der Fall zu sein: Wenn wir dieser Statistik hier glauben dürfen, erreichte das Netz 2020 mit etwa 1,296 Milliarden Sites den Höchststand. Seitdem geht es bergab. Auch Statista.com kommt zu einem ähnlichen Schluss.
Die Veränderung beim Angebot ist das eine. Eine zweite und womöglich interessantere Frage bezieht sich auf die Verweildauer. Wo halten sich die Surfer die meiste Zeit auf? Auf Blogs wie diesem hier? Oder doch auf Facebook, Youtube, Tiktok oder meinetwegen Linkedin?
Das ist kaum vernünftig zu quantifizieren. Aber um zumindest einen Näherungswert zu erhalten, ist mir ein Trick eingefallen: Für den ziehe ich Wordpress.com als Stellvertreter für das freie Web heran. Das ist natürlich eine grobe Vereinfachung, die sich damit rechtfertigen lässt, dass ein Grossteil der Websites mit Wordpress läuft. Und mit der Tatsache, dass zur Nutzung Echtzeitdaten existieren. Auf denen basiert die Aussage, dass jeden Monat über 409 Millionen Menschen über zwanzig Milliarden Wordpress-Seiten betrachten. Toll; aber Youtube hat 2,7 Milliarden Zuschauer pro Monat. Nebenbei: Nach der gleichen Statistik verbringt die gesamte Zuschauerschaft eine Milliarde Stunden pro Tag auf dieser Videoplattform.
Mehr Zeit in Apps, weniger im Browser
Eine letzte Statistik, die meine These belegen könnte: Hier wird aufgedröselt, wie viel Zeit die Leute einerseits in Apps und andererseits im Browser verbringen. Die Dauer im Browser nimmt ab: von 25 Minuten 2018 auf 23 Minuten 2022. Die Verweildauer in Apps nimmt gleichzeitig zu: von 3:15 (!) auf 4:11 Stunden (!!) im gleichen Zeitraum, jeweils in den USA. Und auch wenn die Leute in den Apps natürlich nicht nur Inhalte von den grossen Plattformen konsumieren, lässt sich nicht wegdiskutieren, dass der unabhängige Bereich des Internets mutmasslich zur Hauptsache durch den Browser vermittelt wird – und dass dieser Teil auch zeitlich kaum mehr eine Rolle spielt.

Das ist deprimierend. Dabei hatte ich eingangs doch einen Hoffnungsschimmer versprochen. Den habe ich neulich in Form der Website rivva.de entdeckt. Und ja, peinlicherweise stellen wir fest, dass ich seit 18 Jahren auf dem Schlauch stehe und dieses schöne Meta-Angebot schon 2007 ins digitale Leben gerufen wurde. Es handelt sich um einen Aggregator für Blogs aus dem deutschsprachigen Raum.

Er widerlegt meine Behauptung von neulich, ich sei einer der letzten Blogger-Mohikaner. Nein, einmal mehr ist das Bloggen nicht tot – und es gibt hier ein kleines, aber unbeugsames Grüppchen von Leuten, die ihren Senf nicht über eine der Social-Media-Plattformen absondern, sondern über ihre eigene Online-Präsenz.
Alles Überzeugungstäter
Sei es aus Sturheit, aus einer Jetzt-erst-recht-Haltung heraus – oder weil Unabhängigkeit ihren Wert in sich trägt.
Die Beiträge erscheinen nach Themen wie Technik, Medien, Politik, Kultur und Leben gebündelt. Vieles stammt von den üblichen Verdächtigen wie netzpolitik.org oder Caschys Blog. Aber wir bekommen auch Entdeckungen wie Das wilde Gartenblog, Herr Montag oder jansens-pott.de vermittelt; letzteres ein Weblog alter Schule, wenn ich jemals eines gesehen habe. Auch Bloggerkollege Martin Steiger ist vertreten, und ab und zu taucht sogar Clickomania.ch dort auf.
Dafür sage ich danke und revanchiere mich mit dieser herzlichen Empfehlung hier. Plus mit dem Hinweis, dass es Unterstützungsmöglichkeiten für Rivva gibt, über die ihr euch (wie ich) gern beteiligen dürft.
Beitragsbild: Als Maskottchen für Google taugt sie definitiv nicht (Pixabay, Pexels-Lizenz).
Sehr lebendig auch der Blog-Webring uberblogr.de
Danke! Ich habe den Tipp auch andernorts erhalten und den Link schon in die Fusszeile gepackt.
@Matthias danke für rivva.
Ich blogge nicht wirklich selbst, bin aber der Bloggerszene seit vielen Jahren verbunden.
Es ist eine Sisyphusaufgabe und aller Ehren wert.
Das Fediverse ist ja ähnlich sinnvoll.
Hoffen wir, dass die Fähigkeit, Texte lesen zu wollen, die länger sind als 140 Zeichen, nicht gänzlich verschwindet.
Remote-Antwort
Ursprüngliche Kommentar-URL
Dein Profil