Audible, bleib mir mit KI-Hörbüchern vom Leib!

Der Hör­buch­ver­lag prüft, wie die Hö­re­rin­nen und Hörer auf Titel rea­gie­ren würden, die mit­tels künst­li­cher In­tel­li­genz über­setzt und ein­ge­spro­chen wird. Das könnte das An­ge­bot enorm ver­grös­sern – aber zu einem in­ak­zep­tab­len Preis!

Audible hat gemerkt, dass ich etwas Besonderes bin. Ich bin Kunde bei der US-Variante des Hörbuchverlags (audible.com statt audible.de). Dort kaufe ich Titel in Englisch und in Deutsch. Dadurch zähle ich zum Segment der mehrsprachigen Kundinnen und Kunden. Das geniesst bei der Amazon-Tochter ein gewisses Interesse. Das weiss ich, weil ich in der jüngeren Vergangenheit mehrere Einladungen für Umfragen erhalten habe.

An denen ich natürlich noch so gern teilnehme. Es gibt mir nämlich die Gelegenheit für einen Blick hinter die Kulissen. Besonders die letzte Umfrage, die ich anfangs des Jahres ausfüllen konnte, hat tiefe Einblicke gewährt: Die Einstiegsfragen drehten sich darum, aus welchen Gründen ich Hörbücher in mehreren Sprachen konsumiere. Hier komme ich nicht um die Einsicht herum, dass ich sogar in der Gruppe der mehrsprachigen Kunden ein Exot bin. Audible geht nämlich davon aus, dass die Gruppe der polyglotten User komplett aus Leuten besteht, die in die USA eingewandert sind. Dass Ausländer wie ich aus Preisgründen und wegen des Sortiments den US-Store nutzen, hatten sie nicht einmal auf dem Schirm – denn bei der Frage, die sich darum drehte, fehlte die entsprechende Option.

KI übersetzt, KI liest

Nach dem Vorgeplänkel kam die Umfrage zum eigentlichen Thema. Das dreht sich um den Einsatz der künstlichen Intelligenz bei den Hörbüchern. Konkret möchte Audible herausfinden, wie die Kundschaft zu Titeln steht, die per KI übersetzt und von synthetischen Stimmen eingesprochen werden.

Ich habe eine klare Haltung: Ich lehne beides ab.

Ich traue der künstlichen Intelligenz nicht zu, eine stimmungsvolle, konsistente und ansprechende Übersetzung eines längeren Werks anzufertigen. Es sollte unbestritten sein, dass die Übertragung eines literarischen Werks – selbst wenn es kein sehr hochstehendes sein sollte – eine eigene künstlerische Leistung darstellt, die viele bewusste Entscheide erfordert: Allein die Herausforderung, wie mit unübersetzbaren Wortspielen verfahren wird, kann beträchtlich sein. Und der «Sound» muss durchs ganze Werk konsistent gehalten werden, damit wir als Leserinnen und Leser die Chance haben, in die Stimmung einzutauchen und uns in der Geschichte heimisch zu fühlen.

Da ginge viel zu viel verloren

Auch mit der Sprachsynthese geht ein wesentlicher Teil des Reizes verloren. Im Idealfall gehen die Geschichte und der Sprecher oder die Sprecherin eine Symbiose ein: Er oder sie nimmt den «Sound» des Textes bei seiner Darbietung auf, gibt den Figuren eine eigene Stimme, imitiert vielleicht auch Dialekte oder verbale Manierismen – kurz: Für mich ist das eine Form der Schauspielkunst, die mich noch mehr beeindruckt, als wenn ich eine eindrückliche Performance auf der Leinwand sehe. Wie sehr die Stimme zur Identifikation beitragen kann, zeigt sich, wenn in einer liebgewonnenen Buchreihe bei Buch sieben der angestammte und perfekt passende Sprecher ausgetauscht wird.

Das Gegenargument liegt auf der Hand: Es lautet, dass die KI nur bei Titeln zum Einsatz kommt, bei denen sich das Übersetzen und Einsprechen durch echte Menschen wirtschaftlich nicht rechtfertigt. Auf diese Weise würde sich das Angebot in kleinen Sprachräumen massiv ausweiten lassen. Denn bei wie vielen Titeln rechnet es sich, sie auf Griechisch, Isländisch oder Rätoromanisch zu veröffentlichen? Eben! Und wenn man die Wahl hat, ein Buch als KI-Produktion zu rezipieren oder eben überhaupt nicht zu rezipieren, ist die KI auf alle Fälle die bessere Alternative. Oder?

Es würde nicht bei der Nische bleiben

Eigentlich ja. Aber machen wir uns keine Illusionen darüber, wie gross die Freude bei grossen Unternehmen über jegliche Sparpotenziale ist. Wenn ein Manager bei Audible feststellt, dass die KI-Hörbücher von der Leserschaft goutiert werden und eine höhere Gewinnspanne versprechen als solche, die von Menschen hergestellt wurde, dann können wir Gift darauf nehmen, dass die KI nicht bei den Nischen-Werken haltmachen wird. Die Bestseller würden sicherlich auch weiterhin auf herkömmliche Weise produziert. Aber schon die Titel im umsatzmässigen Mittelfeld wären mittelfristig gefährdet – da bin ich überzeugt.

Das gilt analog vermutlich genauso für die Übersetzung der gedruckten Bücher. Ich habe neulich auf Linkedin die bittere Klage einer Übersetzerin gelesen (und finde leider den Link zum Post nicht mehr), die genau das bemängelt hat: Sie sollte ein Buch nicht mehr selbst übersetzen, sondern bloss noch die Übersetzung einer KI korrigieren.

Kein Wunder, dass sie darauf keinen Bock hat. Natürlich müssen wir immer offen für sinnvolle neue Einsatzmöglichkeiten der künstlichen Intelligenz. Aber noch wichtiger ist, die KI aus Bereichen fernzuhalten, in denen sie nichts verloren hat.

Beitragsbild: Keine KI kann sie ersetzen (Kaboompics.com, Pexels-Lizenz).

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