Drei empfehlenswerte Kinderbuchserien

«Bitte nicht öffnen», «Mein Lotta-Leben!» und «Die Schule der ma­gi­schen Tiere» haben eines ge­mein­sam: Sie stärken den Kleinen und auch den Grossen den Rücken für die He­raus­for­de­rungen des All­tags.

In meiner Rolle als Gutenacht-Gschichten-Vorleser bin ich in der glücklichen Position, hier drei Tipps abgeben zu können. Zugegeben: Die Beurteilung stammt von mir als Erwachsenem. Ich empfehle die Geschichten, weil sie mich beim Vorlesen weder langweilen noch unterfordern.

Natürlich ist mir klar, dass das nur ein Neben-Kritierium ist. Im Zentrum steht, dass die Kinderbücher den Kindern gefallen. Diese Bedingung ist aber zum Glück erfüllt: Es ist keinesfalls so, dass meine Tochter zum Zuhören gezwungen wird, weil ich unbedingt erzählen will. Im Gegenteil: Sie hört gern zu.

1) «Bitte nicht öffnen» von Charlotte Habersack, illustriert von Fréderic Bertrand

Wie ein mit «Bitte nicht drücken» beschrifteter roter Knopf.

Das ist die Geschichte von Nemo und seinen Freunden Oda und Fred. Nemo erhält ständig Pakete zugeschickt, in denen Spielzeuge und Kuscheltiere stecken. Der Clou besteht darin, dass die nach dem Auspacken zum Leben erwachen. Deswegen der Titel der Reihe, der die Kinder dazu auffordert, die Kartonschachteln geschlossen zu lassen. Aber natürlich ist die Neugierde stärker.

Die Buchreihe ist ein Plädoyer dafür, seiner Entdeckerlust freien Lauf zu lassen. Sie animiert dazu, sich auf ungewisse Situationen einzulassen und zu improvisieren. Und sie tut das auf eine freche Art, die überhaupt nicht aufgesetzt wirkt: Wenn im fünften Buch das Einhorn über Blähungen klagt und trotzdem nach Erdbeeren riecht und auch einmal einen ordentlichen Haufen setzt, dann besteht kein Zweifel, dass das bei den Einhörnern genauso funktioniert.

Der Humor ist das, was diese Reihe auszeichnet: Das Städtchen, in dem sie spielt, heisst Boring und es gibt einige lustige Nebenfiguren¹ wie den sportlichen Wettermoderator Hubsi Hubert.

Die grösste Gefahr bei solchen Reihen ist, dass sie auf Dauer repetitiv wirken. Bei «Bitte nicht öffnen» gibt es ein sich wiederholendes Muster. Das sind die lebendig werdenden Tiere, die auch einen Einfluss aufs Klima und die Umweltbedingungen im Dorf haben: Beim Yeti (Band 1) wird es kalt und es schneit wie wild, beim Schleimmonster (Band 2) fällt schmieriger Regen vom Himmel, Vampirania (Band 3) sorgt für Dunkelheit in Boring rund um die Uhr, der Drache Drago in Band 4 lässt die Temperatur ansteigen und bei besagtem Einhorn Magic (Band 5) riecht es so fruchtig, dass den Boringern nicht nur die Lust auf Süssigkeiten vergeht, sondern auch der Anblick von Regenbogen und rosa Wölkchen.

Die Neugierde, was im nächsten Buch wohl anders laufen könnte, bleibt daher intakt. Und es gibt auch einen übergeordneten Handlungsbogen, indem wir uns fragen, warum diese Tiere zum Leben erwachen und wer Nemo die Pakete zuschickt. Bei der Auflösung lässt sich die Autorin Charlotte Habersack viel Zeit, was ich an ihrer Stelle auch tun würde. Doch im Band fünf, bei dem wir inzwischen angelangt sind, gibt es immerhin erste Anzeichen in diese Richtung.

2) «Mein Lotta-Leben!» von Alice Pantermüller, illustriert von Daniela Kohl

So führt man heute Tagebuch.

«Lotta-Leben» ist in meiner Verwandtschaft ein echter Knüller. Kein Wunder, denn die Tagebücher der elfjährigen Lotta Petermann sind auch wirklich eine Quelle positiver Energie. Diese Geschichten sind gerade dann überzeugend, wenn Lotta keine unglaublichen Abenteuer erlebt, sondern mit dem alltäglichen Leben und der Schule zu kämpfen hat. Wenn sie mit den tussigen Mädchen aus der «Lämmergirls»-Gang oder der gestrengen Klassenlehrerin Frau Kackert aneinandergerät, versehentlich Paul aus ihrer Bande der «wilden Kaninchen» beleidigt oder einen echten Konflikt mit ihrer besten Freundin Cheyenne auszutragen hat, dann vermittelt uns das ein Gefühl davon, dass wir dem Leben gewachsen sind, selbst wenn nicht immer alles rundläuft. Denn vielleicht haben wir einen geheimen Verbündeten in Form einer indischen Flöte, mit der sich alle möglichen und unmöglichen Dinge beschwören lassen. Aber vielleicht steckt auch einfach mehr in uns selbst, als uns bewusst ist …

Auch bei diesen Geschichten überzeugt der Humor: Er trägt dem Umstand Rechnung, dass Achtjährige über die gleichen Dinge lachen können wie ihre Eltern, wenn jene sich nicht zu fein sind, sich über einen Namen wie «Kackert» zu amüsieren.

Was diese Bücher auszeichnet, ist die enge Verbindung von Geschichte, Illustration und Typografie. Lotta schreibt nicht nur in ihr Tagebuch, sie zeichnet auch gern, verschnörkelt Buchstaben und gibt ihren Gefühlen auch gestalterisch Ausdruck. Darum eignen sich die Bücher von Alice Pantermüller und Daniela Kohl noch mehr fürs Selberlesen als fürs Vorlesen – trotzdem freue ich mich, wenn ich eines «performen» darf.

Man kann sich fragen, wann diese Masche ausgereizt ist. Wir haben brav bei Band 1 angefangen und sind inzwischen ungefähr bei Band 7. Die Übersichtsseite bei Amazon (die Links hier sind übrigens Affiliate-Links) zeigt 13 weitere Titel. Als Vorleser macht mir das Angst. Für die Kinder ist es beruhigend, genügend Nachschub zu haben. Und wenn wir Alten ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass es auch kein Problem ist für uns, uns durch 62 Folgen von «Breaking Bad» durchzubingen.

Bei den Kinderbüchern in Tagebuchform ist unbedingt der aktuelle Liebling der jugendlichen Leserinnen und Leser zu erwähnen, der auch auf den Bestsellerlisten gut vertreten ist: Gregs Tagebuch (Diary of a Wimpy Kid). Die Vermutung ist nicht abwegig, dass Greg bei der Erfindung von Lotta zumindest Pate stand. Das tut dem Spass keinen Abbruch – und Greg ist, leider im Gegensatz zu Lotta, auch in der Hörspielfassung überzeugend.

3) «Die Schule der magischen Tiere» von Margit Auer, illustriert von Nina Dulleck

Auch manche Erwachsene könnten so ein magisches Tier gut brauchen.

Die Reihe von Margit Auer und Nina Dulleck ist das Dickschiff im Regal mit den Kinderbüchern, mit mehreren Ablegern im Kino. Auch diese Serie zeichnet sich dadurch aus, dass das Zielpublikum mit seinen Bedürfnissen und Wünschen ernst nimmt: Das Leben, der schulische Alltag, die Freunde und die Familie – das ist nicht immer leicht zu bewältigen. Bei den Herausforderungen ist «Die Schule der magischen Tiere» nah am echten Leben dran. Die Kinder der Schulklasse von Miss Cornfield müssen an eine neue Schule wechseln, Loyalitätskonflikte austragen, den Ansprüchen ihrer Eltern genügen und erfahren, dass sie von diesen Eltern nicht in alle Entscheide einbezogen werden, die die ganze Familie angehen.

In den Büchern bekommen die Kinder einen treuen Begleiter an die Seite gestellt, der ihnen durch ihre Krisen hilft. Das ist ein magisches Tier, das auf die Umwelt wie ein Spielzeug wirkt, für das Kind jedoch echt, verlässlich und immer in der Nähe ist: Da gibt es den Fuchs Rabbat, der zu Ida Kronenberg gehört, Benjamin mit der Schildkröte Henrietta, Pinguin Juri als Begleiter von Jo, und so weiter. Im Lauf der Reihe kommen viele weitere Tiere dazu: Peperoni (Pinselohrschwein), Caspar (Chamäleon), Eugenia (Fledermaus), Karajan, (Kater), Rick (Krokodil), Sydney (Koala), Tingo (Schimpanse), Cooper (Ratte), Muriel (Eule), Mette-Maja (Robbe), Leander (Leopard), Toffi (Hund), Zeki (Stachelschwein), Salim (Wanderfalke), Polly (Flamingo) – und ja, die Aufzählung habe ich (fast) aus dem Gedächtnis hinbekommen.

Natürlich ist das Tier eine Chiffre für die eigene innere Stärke und das Selbstvertrauen, das die Kinder entdecken und aufbauen sollen. Ist es ein esoterisches Konstrukt, diese innere Stärke zu personifizieren? Und nein, das ist nicht das falsche Verb, denn auch wenn die Begleiter Tiere und keine Menschen sind, so findet in den Büchern Anthropomorphismus in Reinkultur statt.

Mich stört die dominante Rolle dieser magischen Tiere nicht. Als erwachsener Leser würde ich sie mir subtiler wünschen: nicht omni- und dauerpräsent, sondern eher als traumhafte Gestalten, die gar nicht oder nur indirekt ins Leben ihrer Schützlinge eingreifen können. Aber wie eingangs erwähnt, bin ich mir bewusst, dass ich nicht die Zielgruppe bin. Für die Kinder ist es, so glaube ich, hilfreich, sich seine Stärken bildlich vorzustellen.

Mir gefällt auch, dass Die Schule der magischen Tiere unterschiedliche Lebenswelten abbildet und es in Miss Cornfields Klasse Kinder mit Migrationshintergrund gibt, auch wenn die erst im Verlauf der Reihe in Erscheinung treten. Bei den Tieren existiert ebenfalls eine grosse Vielfalt, dass für jedes Kind die passende Identifikationsfigur dabei ist. Aus dem erwachsenen Blickwinkel stellt sich natürlich auch die Frage, wie viel Marktforschung der Verlag zur Absatzförderung dieser Buchreihe betrieben hat, damit die bei den Kindern beliebtesten Tiere auch ja vertreten sind.

4) Da capo: «Die drei Ausrufezeichen»

Zur Abrundung ein Tipp zu einer Kinderserie, die den Bogen zu meiner Zeit schlägt. Ich stamme aus der Generation von TKKG und den Die drei ???. Das Gegenstück, das meine Tochter sehr mag, sind die Die drei !!!, die es natürlich in Buchform, vor allem aber auch als Hörspiel gibt; zu hören auch bei Spotify.

Die Klischees, die schon die alten Serien auszeichneten, sind unter umgekehrten Vorzeichen auch in der neuen vorhanden, und sie nerven manchmal. Trotzdem finde ich es toll, dass sich die Emanzipation erfolgreich vollzogen wurde und Mädchen heute genauso selbstverständlich auf Verbrecherjagd gehen wie in meiner Jugend die Jungs.

Fussnoten

1) Ohne zu viel zu spoilern: Aus der ursprünglichen Nebenfigur wird im Verlauf der Serie ein wichtiger Mitspieler.

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