Nach bald dreissig Jahren im Web dachte ich, ich hätte alles gesehen. Mir ist bekannt, dass es dort Websites gibt, auf denen man Menschen ohne Kleider sieht. In den Anfängen meiner Karriere als Surfer habe ich auch den Fehler gemacht, allen berechtigten Warnungen zum Trotz der Website rotten.com (Beschreibung bei Wikipedia) einen Besuch abzustatten – die wenigen Bilder, die ich vor dem panikartigen Schliessen des Browsers gesehen habe, verfolgen mich bis heute.
Doch jetzt das: wikifeet.com. Eine Website über Füsse. Nun, man denkt, dass dafür ein gewisses Bedürfnis besteht, denn auch Podologinnen und Fusspfleger haben ein Recht, im Netz angemessen vertreten zu sein. Und selbst Normalbürger wie ich kommen im Lauf ihres Lebens in die Lage, sich mit einem eingewachsenen Fussnagel oder einem Hallux valgus beschäftigen zu müssen.
Aber nein, darum geht es nicht: sondern um die ästhetische Seite der Füsse. Die Website richtet sich an Leute, die gerne Füsse anschauen und ermöglicht ihnen, diesem Bedürfnis ausgiebig zu frönen – stundenlang, wenn es sein muss. Es gibt Tausende von Bildern und Videos, vornehmlich von Prominenten: Megan Fox, Emma Watson, Selena Gomez und Kylie Minogue, um nur einige der VIFP, der Very important person mit dem grössten Fussabdruck, zu nennen.
Auch der einheimische Fussadel ist hervorragend vertreten
Und wie steht es um den einheimischen Fussadel? Viola Amherd, Heidi Maria Glössner und Magdalena Martullo-Blocher habe ich vergeblich gesucht. Aber bei allen anderen Stichproben (Ursula Andress, Liselotte Pulver, Michelle Hunziker und Mujinga Kambundji) bin ich ausnahmslos fündig geworden.

Das kann nur bedeuten, dass es einen riesigen Fundus an Bildern geben muss. Tatsächlich eine Art globales Who’s who, das sich jedoch nicht an den Gesichtern, sondern am anderen Körperende orientiert.
Wir dürfen das Angebot nach Name, Bekanntheitsgrad, Schuhgrösse, Geburtsort, Geburtsdatum der Besitzerinnen der Füsse sortieren. Selbstverständlich existiert auch die Möglichkeit, Bewertungen abzugeben und zu studieren. Und meine besondere Neugierde weckte der Menüpunkt Feet of the Year, wobei ich leider feststellen musste, dass nur 2021 ein solcher Wettbewerb abgehalten wurde.
Wo bleiben die Männer?
Spätestens jetzt könnten manche den Moment für gekommen halten, eine Geschlechterdebatte zu entfachen. Natürlich, denn der Sexismusvorwurf wäre gerechtfertigt, wenn diesem exponierten Körperteil nur anhand seiner weiblichen Ausprägung gehuldigt würde. Aber gemach! Selbst für Männerfüsse ist gesorgt, auch wenn wir uns dafür zur Subdomain men.wikifeet.com begeben müssen.
Hier ist das Angebot zwar auch imposant, aber nicht ganz so üppig. Anhand der Anzahl Datensätze können wir sogar einen direkten Quervergleich zwischen den Geschlechtern ziehen: 5242 Frauen sind mit ihren Tretwerkzeugen vertreten. Bei den Männern sind es 1734. Wir können daraus schliessen, dass Frauenfüsse dreimal interessanter sind als diejenigen von Männern.
Also, was lernen wir? Natürlich, dass es im Internet nichts gibt, was es nicht gibt. Dass ich kein gesteigertes Interesse an Füssen habe, heisst nicht, dass es anderen auch so geht. Trotzdem stellt sich natürlich die Frage, wer eigentlich das Publikum von Wikifeet ist. Sind es unbescholtene Menschen wie du und ich, die einfach Freude an schön gefeilten Fussnägeln und einer hornhautfreien Ferse haben? Oder doch alles perverse Fussfetischisten?
Käsesocken, Fusspilz und Alexandria Ocasio-Cortez
Offenbar zweiteres, wenn wir Wikipedia glauben wollen. Wir erhalten hier auch die Bestätigung, dass es Wikifeet schon seit ewig gibt, d.h. seit 2008 – was wir aufgrund des angestaubten Designs natürlich sowieso vermutet hatten. Und dass die Fotos aus den sozialen Medien zusammengeklaut werden, als ob das Urheberrecht nie erfunden worden wäre. Auch das nicht sonderlich überraschend.
Trotzdem lautet die Erkenntnis, wie toll es ist, dass es im Netz solche Websites gibt, die auf die meisten von uns – die wir beim Thema an Käsesocken und Fusspilz und nicht an sexuelle Stimulation denken – überhaupt keinen Reiz ausüben. Denn Wikipedia verrät uns auch folgende Anekdote, die ihren eigenen True-Crime-Podcast verdient hätte:
Im Januar 2019 war Wikifeet an der Entlarvung eines Schwindels beteiligt, in den die US-Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez verwickelt war. Ein Bild von Frauenfüssen in einer Badewanne, das angeblich ein von Ocasio-Cortez im Jahr 2016 online gepostetes Nacktfoto war, wurde von den Nutzern der Website als das Bild einer anderen Person entlarvt, wobei die kurze Zehenlänge des Bildes ein wichtiges Beweisstück war.
Beitragsbild: Sind sie nicht wunder-, wunderschön? (jackmac34, Pixabay-Lizenz)