Ein warmer Geldregen für alle im Web – dank KI?

Prorata.ai ist ein Start-up, das Fair­ness und Trans­pa­renz ins Geschäft mit der künst­li­chen In­tel­li­genz bringen will. Die Urheber von Inhal­ten, mit denen Sprach­mo­delle trai­niert werden, sollen an­ge­mes­sen ent­lohnt werden.

Die KI ist eine Bedrohung fürs Web. Ich sehe es in meinem Umfeld: Immer mehr Leute tauschen die Suchmaschine gegen eine KI ein. Perplexity ist besonders beliebt für Recherchen, die früher mittels Google unternommen worden wären¹.

Google tut nichts, um diese Entwicklung zu verhindern oder aufzuhalten. Im Gegenteil: Mit der Integration von KI-Antworten in die Suchresultate (AI Overview) trägt der Suchmaschinenkonzern zur Aushungerung des Webs bei. Die vielen Websites, die als Trainingsmaterial für die KIs dienen, verlieren durch das ausbleibende Publikum an Möglichkeiten, ihre Informationen zu verwerten. Sie partizipieren nicht an den Einnahmen, die die KI-Unternehmen mit ihren Sprachmodellen erzielen.

Wie seinerzeit Napster

Das ginge auch anders. Einen alternativen Ansatz habe ich bei prorata.ai entdeckt. Der Chef, Bill Gross, beschreibt den wie folgt:

Aktuelle KI-Antwortmaschinen stützen sich auf geklaute, plagiierte Inhalte. Dies schafft ein Umfeld, in dem die Urheber nichts bekommen und Desinformation gedeiht. ProRata ist pro Autor, pro Künstler und pro Verbraucher. Unsere Technologie ermöglicht es den Urhebern, anerkannt und entschädigt zu werden, während die Verbraucher zugeschriebene, korrekte Antworten erhalten.

Das funktioniert folgendermassen:

  • Prorata beteiligt die Inhaltslieferanten an den Einnahmen. Ich habe das so verstanden, dass bei einer Antwort bestimmt wird, welche Informationen für diese herangezogen wurden. Die Urheber dieser Informationen erhalten dafür Geld; eine Form von Tantiemen. Bei mehreren Urhebern werden diese anteilig entschädigt – was vermutlich auch den Namen (pro rata) erklärt.
  • Das Unternehmen verwendet ein 50/50-Modell, bei dem die Hälfte der generierten Einnahmen anteilig an die Inhaltslieferanten geht. Die andere Hälfte behält es für sich.

Der unweigerliche Wandel

Hier lesen wir einen Vergleich zur Musikindustrie und Napster-Revolution:

Wie im Musikgeschäft, wo ein auf Diebstahl basierendes Modell (Napster) schliesslich dem Modell des Marktwachstums und der Aufteilung der Einnahmen (Spotify) wich, wird die generative KI unweigerlich einen solchen Wandel durchlaufen.

Hinter dem Wort «unweigerlich» würde ich ein grosses Fragezeichen setzen. Natürlich werden sich die KI-Unternehmen irgendwann eine Lösung für das Problem einfallen lassen müssen, weil es sonst keine neuen Inhalte mehr geben wird, mit denen sie ihre Modelle trainieren können. Und sie müssen sich vor dem Problem fürchten, das ich als KI-Inzest beschreiben würde. Die «New York Times» kam nach einer ausführlichen Analyse zum Schluss, dass der Output der KI zu einer Bedrohung für die KI selbst wird. Doch bis diese beiden Dinge das Geschäft von OpenAI, Anthropic, Google, Microsoft und Meta ernsthaft bedrohen, wird es noch längere Zeit dauern.

Eine Frage am Rand: Sind im Kontext Begriffe Plagiat und Diebstahl berechtigt? Es gibt auch die Gegenmeinung, sodass ich hier, um Neutralität bemüht, von einer Selbstbedienungsmentalität sprechen werde.

Also: Es ist sinnvoll, dass dem Prinzip der Selbstbedienung ein Ansatz entgegengesetzt wird, der die Interessen der Urheber berücksichtigt.

Wie Erfolg versprechend ist dieser Ansatz? Ich vermute, dass Prorata nicht mehr als den Proof of Concept liefern kann. Und auch der gelingt nur, wenn wichtige Voraussetzungen gegeben sind:

  1. Es lässt sich mit ausreichender Klarheit feststellen, wem bei jeder einzelnen Antwort Tantiemen zustehen und wem nicht. Das Zuweisungssystem ist für die Urheber transparent und fair.
  2. Es müssen sämtliche – und damit meine ich wirklich sämtliche – die Informationen ins Web stellen, auf diese Weise entschädigt werden. Denn das Problem des Trafficverlusts betrifft sämtliche Inhaltsanbieter im Web.
  3. Die «ethische» KI muss ausreichend attraktiv sein, dass Nutzerinnen und Nutzer sie den parasitären Sprachmodellen Selbstbedienungs-Sprachmodellen vorziehen.

Ich mache bei allen drei Punkten ein Fragezeichen. Und über den 50-50-Verteilungsschlüssel wäre ebenfalls zu diskutieren.

Potenzial für riesiges Gezänk

Bei Punkt eins erkenne ich das Potenzial für ein riesiges Gezänk.

Mal anmelden?

Punkt zwei ist nicht gegeben. Prorata.ai kooperiert mit grossen Verlagen, nicht mit Nobodys wie einem Blogger wie mir. Gemäss dieser Aufzählung kommen die Financial Times, Fortune, Axel Springer und The Atlantic zum Zug. Die haben teilweise auch schon Lizenzdeals mit OpenAI, namentlich für Axel Springer. Wenn es eine offizielle Kooperation braucht, um entschädigt zu werden, ist das Prorata-Modell nichts weiter als eine Formel zur Berechnung der Höhe dieser Entschädigung – und kein Geniestreich, um den gordischen Knoten durchzuschlagen.

Und der dritte Punkt? Auf Gist.ai, wo die KI-Suche von Prorata zu finden sein wird, kann man sich bis jetzt erst einmal in die Warteliste eintragen: Ein Test und Vergleich mit der Konkurrenz ist derzeit nicht möglich. Ich rechne aber nicht damit, dass Gist ChatGPT, Claude und Perplexity auf Anhieb in den Schatten stellt. Und dass ein Grossteil der Nutzerinnen und Nutzer wegen des ethischeren Ansatzes wechseln, glaube ich keine Sekunde. Schliesslich hat Duck Duck Go seinen Widersacher Google nicht mit wehenden Fahnen überholt, obwohl das Geschäftsmodell für viele von uns sympathischer ist.

Das funktioniert nur, wenn alle teilhaben

Gist kann mit seinem ethischen Ansatz nur gewinnen, wenn das ganze Web daran teilnimmt: Dann wäre es denkbar, dass mittel- bis langfristig so viele Webbetreiber ihre Inhalte exklusiv für Prorata zur Verfügung stellen, dass die «parasitären» Sprachmodelle Selbstbedienungs-Sprachmodelle so stark an Qualität verlieren, dass sie nicht mehr mithalten können.

Anders sähe es natürlich aus, wenn global die Erkenntnis einsetzen würde, dass die parasitäre Sprachmodelle Selbstbedienungs-Sprachmodelle nicht rechtens sind und eine Form der Lizenzierung bzw. Tantiemenausschüttung vorzuschreiben ist. Dann könnte Prorata als Vorbild dienen.

Fazit: Erfolgsaussichten ungewiss. Für Prorata spricht, dass das Unternehmen 25 Millionen Kapital auftreiben konnte und sich besagter Bill Gross mit der Materie auskennt: Er hat fast gleichzeitig mit Larry Page und Sergey Brin Ende der 1990er-Jahre eine Suchmaschine lanciert (Goto.com), und er gilt als Erfinder des Pay-per-click-Werbemodells. Aller Kritik zum Trotz lautet das Fazit, dass diese Initiative sinnvoll und nötig ist!

Fussnoten

1) Von dieser Entwicklung bin auch ich nicht gefeit. Meine erste Anlaufstelle für die Informationssuche ist zwar nach wie vor die klassische Suchmaschine. Doch es ist nicht zu bestreiten: Für komplexe Anfragen, die sich nicht eindeutig in ein paar Suchbegriffe fassen lassen, ist die künstliche Intelligenz überlegen. Wir erhalten Resultate, die wir per Google nicht oder nur mit sehr viel mehr zeitlichem Aufwand gefunden hätten.

Falls ich nicht bloss aus Neugierde gefragt habe, mache ich mir immer die Mühe, die Antworten der Sprachmodelle anhand der Quellenangaben zu überprüfen. Denn nicht immer stimmt, was im Brustton der Überzeugung behauptet wird. Viel häufiger als Halluzinationen beobachte ich allerdings, dass die Quellen die Behauptungen der KI nicht stützen. In dem Fall steht ausser Frage, dass wir davon ausgehen sollten, dass es sich um eine Fehlinformation handelt.

Ich fürchte allerdings, dass die allermeisten Leute sich diese Mühe nicht machen. Das hat zur Folge, dass die allermeisten Rechercheurinnen und Rechercheure nicht bis zur Originalquelle im Netz vordringen, sondern ihre Nachforschungen mit der KI-Antwort beenden. Das bedeutet, dass die Suchmaschinen ihre Rolle als Traffic-Lieferanten verlieren werden.

Beitragsbild: Der Bloggerlohn ist endlich da! (Alexander Grey, Unsplash-Lizenz).

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