Welches Schweizer Medium hat bei der Tech-Berichterstattung Pionierarbeit geleistet? Dieser Frage gehe ich seit zwei Jahren systematisch nach. Und es soll dabei nicht nur um die massgeblichen Erfindungen und Durchbrüche gehen, sondern auch um die treibenden Kräfte und die wichtigen Köpfe.
Heute: Steve Jobs. Dieser Mann hat nicht nur zusammen mit Steve Wozniak und Ron Wayne Apple gegründet, sondern mit iMac, iPod und iPhone dafür gesorgt, dass das I eine herausragende Rolle im Gadget-Alphabet einnimmt. Es besteht kein Zweifel, dass wir ohne seinen Einfluss in vielen Belangen anders arbeiten und mit Informationen umgehen würden.
Also, welches Schweizer Medium ist zuerst auf Steve Jobs aufmerksam geworden? Und wie lange hat es gedauert, bis er hierzulande seinen ersten Auftritt hatte?
Zur Einordnung: Apple wurde 1976 gegründet und schon im selben Jahr kam der Apple I auf den Markt. Er war für damalige Verhältnisse erschwinglich und hat aus historischer Sicht natürlich seine Bedeutung – aber es wäre verzeihlich, wenn ein Schweizer Medium diesem Heimcomputer keine Relevanz beigemessen hätte. Doch spätestens 1984 hätte man Jobs auf dem Schirm haben müssen. Das war das Jahr des Macintosh. Er übte eine unmittelbare Faszination aus, wie ich aus eigener Anschauung weiss.
Bevor ich die Antwort verrate, wie üblich der Hinweis, dass ich mich auf Internetarchive stütze und leider keine Mikrofilme sichten kann.
Die NZZ trägt der Pionierrolle von Jobs Rechnung
Demnach mussten sich die Schweizer Zeitungsleserinnen und -Leser bis zum 8. September 1981 gedulden, bis sie Bekanntschaft mit Steve Jobs schliessen durften. Die NZZ verkündete, Personal-Computer seien gross im Kommen. Dieser Artikel beginnt mit der Serienreife des Mikrochips 1972, dem legendären Intel 4004, geht salopp über die Entwicklung der Entwicklung in den Jahren danach hinweg und landet zügig bei Steve Jobs:
Es dauerte jedoch bis 1977, ehe das schon reichhaltige Computer-Slang-Vokabular um zusätzliche Schlagwörter erweitert wurde. Neu war die Rede vom Home-Computer, Personal- oder Mikro-Computer, Hobby- und Entertainement-Computer. Die damit angesprochenen Produkte stammten nicht von den etablierten Computer-Herstellern, sondern von bis anhin unbekannten Unternehmern. Steve Jobs, damals 22 Jahre alt, war nach seinem Misserfolg an der Hochschule überzeugt, man dürfe keinem Computer trauen, den man nicht herumtragen kann. Deshalb baute er sich einen tragbaren Computer auf der Basis eines Mikroprozessors und gab ihm den Namen «apple» (Apfel) spontane Idee eines überzeugten Vegetariers.
Bemerkenswert ist, dass der Name des Produkts konsequent in Anführungszeichen und mit kleinem A gesetzt ist – sodass wir uns nicht sicher sind, ob der Autor kapiert hat, dass auch das Unternehmen so heisst:
Bis heute wurden gegen 160’000 «apples» produziert, und das Vermögen von Steve Jobs stieg auf über 200 Millionen US-Dollar. Die Xerox Corporation war vom Erfolg des «apple» dermassen beeindruckt, dass sie mit grossem Aufwand ein Konkurrenzprodukt unter dem Namen «worm» (Wurm) entwickelte, das vor kurzem allerdings auf «Modell 820» umbenannt wurde.
Eine Anekdote, die mir bislang nicht bekannt war. Jedenfalls wandte sich der Artikel nun anderen Heimcomputern zu, namentlich dem Commodore PET, der ebenfalls günstig und in der Geschichte des Heim-PCs noch bedeutsamer war als die ersten Modelle von Apple. Wir erfahren auch, dass die NZZ davon ausging, dass 1981 in der Schweiz 2000 bis 3000 PCs im Einsatz waren.
Computer in Buchgrösse mit der nicht näher erklärten Fähigkeit zum Datenaustausch
Der Artikel macht keine scharfe Trennung zwischen Heimcomputern und PCs. Er erklärt, sie würden derzeit vor allem «für professionelle Geschäftsanwendungen genutzt». Das Potenzial dieser Technologie wird wie folgt umrissen:
Der Traum von mehreren Personal-Computern in einem Haushalt ist im Moment ausgeträumt. Er dürfte nach 1985 jedoch wieder aktuell werden, wenn Geräte in Buchgrösse zu einem Preis zwischen 1000 und 2000 Franken zur Verfügung stehen, …
In Buchgrösse?
… die auch zu anderen Dienstleistungen, wie elektronische Geldüberweisung, Möglichkeit zur Abfrage öffentlicher Datenbanken (Fahr- und Flugpläne, Theaterprogramme, Versandhausangebote usw.), Aufgabe von Reservationen, Erteilen von Bestellungen sowie Übermittlung von Texten an andere Teilnehmer, dienen.
Eine interessante und unerwartete Zukunftsvision, die aus heutiger Sicht treffsicher wirkt. Sie krankt allerdings an der Tatsache, dass Computer nicht per se die Möglichkeit haben, derlei Dienstleistungen zu nutzen. Es braucht dafür eine Form der Daten-Fernübertragung. Die gab es damals bereits in Form des Videotex, was aber unbedingt näher hätte ausgeführt werden müssen.
Steigt hier überhaupt noch einer durch?
Damit weicht die Nostalgie der Medienkritik: Im weiteren Verlauf wird der Text immer schwerer verständlich, weil der Autor sich in Details versteigt, mit denen mutmasslich kaum ein Leser oder eine Leserin der NZZ etwas anfangen konnte. Beispiel:
Der bei der Software eingeschlagene Lösungsweg scheint jedoch vielversprechend, da sich ein starker Trend zur Standardisierung der Betriebssoftware abzeichnet, indem sich die vielfach bewährten Systeme CP/M, UCSD, OASIS und FLEX offensichtlich durchsetzen… Damit sind die Transportierbarkeit und die Normierung von Anwendungen weitgehend sichergestellt.
Das ist ein charakteristisches Merkmal der Computerberichterstattung in jener Zeit: Es gab keine oder nur sehr wenige Journalistinnen und Journalisten, die über solche Themen hätten schreiben können oder wollen. Darum kamen namentlich bei der NZZ oft Experten aus Unternehmen oder auch Wissenschaftler zum Zug. Die neigten aber dazu, viel zu viel Fachwissen vorauszusetzen und sich in Nebenaspekten zu verlieren, statt eine umfassende, allgemeinverständliche Bewertung zu liefern. Der PC-Artikel von Dr. M. Rauh, seines Zeichens Leiter der Abteilung Data Systems bei Philips, ist ein ausgezeichnetes Beispiel für dieses Problem. Ich nehme diesen schwer verdaulichen Text auch als grosses Plädoyer für den zugänglichen Tech-Journalismus (wie, *hüstel*, meine Kollegen und ich ihn heute betreiben. *hüstel*)
Woher stammt dieses Jobs-Zitat?
Eine Frage bleibt offen: Was hat es mit dem Zitat von Steve Jobs auf sich, man dürfe «keinem Computer trauen, den man nicht herumtragen kann»?
Es ist im englischen Wortlaut aus der Präsentation des Macintosh von 1984 überliefert. Zitiert nach «Forbes»:
Hello, I am Macintosh. It sure is great to get out of that bag. Unaccustomed as I am to public speaking, I’d like to share with you a maxim I thought of the first time I met an IBM mainframe: Never trust a computer you can’t lift. Obviously, I can talk right now, but I’d like to sit back and listen. So, it is with considerable pride that I introduce a man who has been like a father to me: Steve Jobs.
Da der NZZ-Artikel schon 1981 erschienen ist, müssen wir davon ausgehen, dass Jobs dieses Bonmot bereits zu einem früheren Zeitpunkt von sich gab. In welchem Kontext dies geschah, bleibt vorerst ein Mysterium …
Beitragsbild: Der Apple II vom April 1977 (Viktorya Sergeeva, Pexels-Lizenz).
Für mich immer wieder interessant zum Anschauen:
https://www.srf.ch/play/tv/srf-wissen/video/weltneuheit-der-macintosh-von-apple?urn=urn:srf:video:eea0cfd1-5418-404f-8821-c3e11b04db62
Der Mac hatte halt schon viel Neues anzubieten damals.