Lässt sich das Rad, bzw. der Browser neu erfinden? Es gibt Leute, die davon überzeugt sind. Der Arc-Browser hat einen beträchtlichen Hype erfahren. Ich habe ihn mir auch angeschaut (hier und hier). Einige der Konzepte gefallen mir gut, aber die Begeisterung bei manchen Usern liegt nur teilweise an den Stärken von Arc, sondern genauso an den Schwächen von Google Chrome.
Seit dem 11. Juli gibt es einen weiteren Browser, der Mozilla, Google, Apple und Microsoft in die Parade fahren will. Es handelt sich um den Zen-Browser, der mit seinem Namen nichts weniger als ein völlig entspannendes, meditatives Surf-Erlebnis verspricht. Und anders als die Leute hinter Arc hat dieses Team in einer Grundsatzfrage die richtige Entscheidung getroffen: Zen basiert nämlich auf Firefox, während Arc als Abspaltung von Chrome konzipiert ist. Meines Erachtens ist für den Seelenfrieden Unabhängigkeit von Google zwingend notwendig.
Synchronisation mit Firefox via Mozilla-Account
Dieses Verwandtschaftsverhältnis hat für Firefox-Nutzerinnen und Nutzer einen unmittelbaren Vorteil: Sie können ihren Mozilla-Account auch in Zen einrichten und den neuen Browser mit den bestehenden Userdaten benutzen. Das heisst: Zugangsdaten, Verlauf und auch die installierten Erweiterungen stehen sofort zur Verfügung. Dank der Synchronisation dieser Dinge lassen sich Firefox und Zen auch gut parallel benutzen.
Aber was ist besonders am Zen-Browser? Das sind die wesentlichen Dinge:
- Reiter: Die Reiter erscheinen nicht oberhalb der Seitenansicht, sondern als Leiste am linken Fensterrand.
- Wenig «Clutter»: Die Leiste lässt sich über den Knopf mit den zwei vertikalen Pfeilen zu einem schmalen Streifen reduzieren, der nur das Favicon einer Website zeigt. Dadurch ist das Interface etwas kompakter als bei Firefox.
- Die Zen Sidebar: Sie wird in der Hilfe allerdings Web panel genannt und lässt sich per Mausklick als schmales Overlay-Fenster öffnen. Klickt man aufs Hauptfenster, wird das Panel automatisch geschlossen. Über die Leiste am unteren Rand des Panels sind Ressourcen wie die To-Do-Liste, eine Suchmaschine, der Kalender oder die Notizen schnell zugänglich – und sie verschwinden automatisch wieder, nachdem wir etwas nachgesehen oder eingetragen haben.
- Die Workspaces: Sie sind verwandt mit den Tabgruppen aus Safari: Sie erlauben es, Reiter in separaten Umgebungen offenzuhalten, z.B. für Arbeit, Privates, für die sozialen Medien. Die Workspaces werden bei Zen über einen Knopf am unteren Rand der linken Seitenleiste eingerichtet und gewechselt.
- Zen Glances: Bei gedrückter Option-Taste (am Mac) erscheint beim Klick auf einen Link eine Voransicht der fraglichen Website. Die wird mit Escape sofort wieder verlassen, woraufhin wieder die vorherige Site erscheint.
- Split Views: Zen erlaubt es, das Browserfenster aufzuteilen. Fürs Aufteilen halten wir die Ctrl/Control-Taste gedrückt, wählen die gewünschten Reiter in der Seitenleiste aus und betätigen im Kontextmenü den Befehl Split x tabs. Um die Anordnung der Bereiche zu verändern oder Split View zu beenden, verwenden wir den Split-View-Knopf rechts neben dem Adressfeld.
Fazit: Einige dieser Besonderheiten gefallen mir ausgezeichnet. Die Glances-Funktion ist toll, um Google-Suchresultate nach nützlichen Informationen zu durchforsten. Die Split-View-Funktion wünsche ich mir seit Langem. Und auch den Workspaces könnte ich etwas abgewinnen, obwohl ich nicht wirklich auf sie gewartet habe.
Aber ist das ein Grund, den Browser zu wechseln? Zen hat den offensichtlichen Nachteil, dass er einem eingefleischten Firefox-User wie mir einiges an Umgewöhnung abverlangt. Ausserdem gibt es keine deutsche Lokalisierung, sodass ich mich an die englischen Programmtexte gewöhnen müsste.
Es kommt hinzu, dass einige dieser Features auch für Firefox angedacht sind. Die vertikalen Reiter lassen sich mit Firefox 133 ebenfalls aktivieren: Der Weg dazu führt über die Sidebar (Seitenleiste): Wir klicken auf das Zahnrad-Symbol (Sidebar anpassen) und schalten dort im Abschnitt Tab-Einstellungen von Horizontale Tabs auf Vertikale Tabs um. Mehr dazu erklärt die Hilfe.
Warum gibt es diese Features bei Firefox nicht?
Es stellt sich die Frage, warum es für eine Handvoll neuer Funktionen eine Abspaltung (Fork) braucht. Wäre es nicht sinnvoller, diese Funktionen in Firefox direkt zur Verfügung zu stellen?
Ich finde ja. Split-View wurde schon vor mehr als zehn Jahren gewünscht und je grösser die Bildschirme werden, desto mehr drängt es sich auf, mehrere Websites nebeneinander platzieren zu können. Es gibt mit Sideview-Erweiterung eine Light-Variante dieser Funktion für Firefox, die die Nützlichkeit längst unter Beweis gestellt hat. Doch es scheint, dass diese Funktion für Mozilla trotz allem keine Priorität geniesst: Nicht nur wird diese Funktion nicht implementiert – es war sogar so, dass Sideview über längere Zeit nicht mehr richtig funktionierte.
Mozilla, nimm den Finger raus!
Inzwischen ist das zum Glück wieder der Fall, sodass ich nicht gezwungen bin, zum Zen-Browser zu wechseln. Doch die Existenz dieses Projekts allein beweist, dass die Firefox-Entwickler zu wenig auf die Community hören. Denn wenn sie auf die Wünsche der Nutzerinnen und Nutzer eingehen würden, wäre diese Abspaltung schlicht nicht nötig.
Ich nehme an, dass sich auch so der Name des Browsers erklärt: Statt sich über die trägen oder gar nicht reagierenden Mozilla-Entwickler aufzuregen, nehmen sie die Sache in die eigene Hand. Der Entspannung und dem inneren Frieden wird das auf alle Fälle förderlich sein …
Beitragsbild: So stelle ich mir die Chefentwicklerin des Zen-Browsers vor (Andrea Piacquadio, Pexels-Lizenz).
Bisher nutze ich als quasi Abspaltungs-Browser nur den Brave, der vom Chrome abstammt; den Zen werde ich mir aber wohl auch mal anschauen.