Vivaldi könnte der beste mobile Browser sein

Eine aus­führ­liche Be­spre­chung des Vivaldi-Browsers fürs iPhone, iPad und Android. Plus eine Antwort auf die Frage, ob wir wegen der über­le­ge­nen Funktionen Firefox in die Wüste schicken soll­ten.

Den Vivaldi-Browser gibt es nicht nur für Windows, Mac und Linux.  Seit September 2019 ist er für Android erhältlich und seit Ende September letzten Jahres existiert er auch fürs iPhone. Ende Oktober ist die Version 7 erschienen: Für mich eine hervorragende Gelegenheit, mir die mobile Variante anzusehen.

Die Stärken der Desktop-Variante des Browsers sind die vielseitigen und leistungsfähigen Funktionen für den Datenschutz sowie die flexiblen Konfigurationsmöglichkeiten bei der Oberfläche. Diese Pluspunkte machen sich auch bei der mobilen Variante bemerkbar:

1) Werbung und Tracker blockieren

Die Einstellungen fürs Blockieren von Werbung und Trackern lässt sich global und pro Website vornehmen.

Ein Merkmal, das Vivaldi namentlich von Chrome unterscheidet, sind die Filterungs-Möglichkeiten für Tracker und für die Online-Werbung. Diese lassen sich in drei Stufen festlegen:

  • No blocking: Es wird nichts ausgefiltert.
  • Block trackers: Die eingebetteten Module, mit Websites und Dritte Daten über Nutzerinnen und Nutzer sammeln, werden eliminiert.
  • Block trackers and ads: Nebst dem Datensammeln wird auch die Anzeige von Online-Werbung unterbunden.

Wir wählen eine dieser drei Stufen als globale Option, haben aber die Möglichkeit, pro Website eine abweichende Vorgabe zu machen. Das heisst für euch, dass ihr Werbung zwar global blockieren dürft, für euer Lieblingsblog (wie, zufällig gewähltes Beispiel, Clickomania.ch) aber eine Ausnahme macht – weil sich dessen Betreiber (ich) über die Adsense-Einnahmen freut.

Aber natürlich hat Vivaldi diese Funktion nicht allein zur Förderung meiner Taschengeld-Einnahmen eingebaut. Sie ist auch deshalb vorhanden, weil manche Websites mit blockierten Trackern nicht mehr korrekt funktionieren. Ich beobachte das z.B. bei der «Süddeutschen Zeitung», bei der unter diesen Umständen das Log-in nicht funktioniert. In solchen Fällen müssen wir zähneknirschend auf No blocking umschalten.

Die Konfiguration funktioniert auf einleuchtende Weise: Wir tippen auf das Vivaldi-Symbol mit dem V-Logo rechts neben der Adressleiste. Es erscheint ein Pop-up-Fenster, in dem wir auf Site Information tippen. Hier sehen wir, ob die Website verschlüsselt ist und können eine der drei erwähnten Stufen einstellen. Weiter unten findet sich die Option Manage default settings, über die wir die Standardvorgabe festlegen.

Die Befehle, die pro Website zur Verfügung stehen.

2) Die seitenbezogenen Funktionen

Über diesen V-Knopf sind weitere nützliche Funktionen zugänglich:

  • Wir laden die Seite neu, öffnen einen neuen Reiter oder einen privaten Reiter oder fügen die Seite den Lesezeichen hinzu.
  • Die Seite lässt sich auch auf der Startseite oder in der Leseliste ablegen.
  • Wir dürfen die Browserdaten (u.a. den Verlauf) löschen, den Text zoomen, die Desktop-Variante der Seite anfordern, Notizen anlegen und auf die heruntergeladenen Dateien zugreifen (Downloads).
  • Via Share geben wir den aktuellen Link an eine App weiter oder legen ihn in die Zwischenablage.
  • Per Find in page führen wir auf der aktuellen Seite einen Textsuchlauf durch.
  • In dieser Ansicht sind auch die Browser-Einstellungen zugänglich, über die weiter unten noch speziell zu reden sein wird.

3) Die flexibel organisierbare Startseite

Ein wahres Glanzlicht ist auch Startseite, Speed Dial (Schnellwahl) genannt. Hier legen wir häufig gebrauchte Websites ab. Was diese Seite aber auszeichnet, sind die vielseitigen Anpassungsmöglichkeiten:

Die Startseite mit den Thumbnail-Bildern.
  • Über das Dreipunktemenü am rechten Rand und den Menüpunkt New Group richten wir Gruppen ein. Diese erscheinen als Reiter, in denen wir unsere häufig verwendeten Websites nach Zweck organisieren: z.B. für Lektüre, Arbeit, die privaten Websites, etc.
  • Wir können die Websites nach Titel, Adresse, Datum oder Art sortieren. Auch eine manuelle Sortierung ist möglich und wir können die Reihenfolge anpassen, indem wir etwas länger auf einen Eintrag tippen und ihn an die gewünschte Stelle verschieben.
  • Über den Befehl Customize start page passen wir die Startseite an: Wir wählen ein Hintergrundbild aus, blenden häufig verwendete Sites ein- oder aus und passen die Grösse der sogenannten Speed Dials an. In den Ansichten Medium und Large erscheint eine Voransicht, in den kleineren Darstellungen das Favicon.

Und noch ein heisser Tipp: Wenn wir länger auf eine der Speed Dial-Ansichten tippen, erscheint ein umfangreiches Kontextmenü, über das wir die fragliche Site in einem neuen Reiter im Vorder- oder Hintergrund oder im privaten Modus öffnen. Wir können den Link kopieren und ihn teilen. Über den Befehl Edit Speed dial gelangen wir zu den hinterlegten Informationen: Wir können den Titel ändern, eine Beschreibung hinterlegen und bei Nickname eine Eintragung vornehmen.

Dieser Nickname ist ein Kürzel, über das wir die fragliche Website schnell aufrufen. Der Nickname meines Blogs ist c, sodass ich nur c in die Adressleiste zu tippen brauche, um es zu öffnen.

4) Tipps zur Statusleiste und der Reiter-Übersicht

Auch die Statusleiste am unteren Rand hat es in sich:

  • Sie hält links einen Knopf bereit, zu dem wir zu den Lesezeichen, der Leseliste, dem Verlauf und den Notizen gelangen.
  • Es gibt Knöpfe, um vorwärts und rückwärts zu blättern.
  • Über den Knopf am Rand mit der Zahl gelangen wir zu der Übersicht mit den offenen Reitern.

In dieser Ansicht mit den offenen Reitern haben wir folgende Möglichkeiten:

  • Wir schliessen alle offenen Websites via Edit > Close all tabs alle aufs Mal.
  • Am oberen Rand gibt es eine Symbolleiste, die (via Geist-Icon) zum Modus Private Tabs führt, bei dem kein Verlauf angelegt wird.
  • Das Wolken-Symbol zeigt die Synced tabs. Das sind Reiter, die auf anderen Geräten offen sind. Natürlich muss dafür ein Nutzerkonto und die Synchronisation eingerichtet werden.
  • Die Ansicht via Papierkorb-Symbol zeigt eine Liste der kürzlich geschlossenen Websites zum erneuten Öffnen an.

5) Die Einstellungen haben es in sich

Die Suchmaschinen mit den Suchkürzeln.

Bei Punkt zwei habe ich erwähnt, wie wir zu den Einstellungen gelangen. Dazu tippen wir auf das Vivaldi-Symbol rechts neben der Adressleiste und dann auf den Knopf Settings. Hier gibt es wiederum eine Vielzahl an Konfigurationsmöglichkeiten: Wir richten die Synchronisation mit anderen Vivaldi-Installationen ein, setzen Vivaldi als Standardbrowser und selektieren unsere bevorzugte Suchmaschine.

Das geschieht im Bereich Search Engine: Wie wir hier sehen, stehen diverse Suchmaschinen zur Auswahl. Die haben von Haus aus einen Nickname zugewiesen (Punkt 3): Über den können wir wahlweise suchen, indem wir das dieses Kürzel und dann den Suchbegriff eingeben: g sucht via Google (g Mond), w per Wikipedia (w rütlischwur), und so weiter. Es stehen folgende Suchmaschinen zur Auswahl:

  • b: Bing
  • y: Yahoo
  • d: Duck Duck Go
  • e: Ecosia
  • s: Startpage.com
  • w: Wikipedia
  • g: Google

Nebenbei bemerkt, dürfen wir unterschiedliche Suchmaschinen fürs normale und private Surfen festlegen.

Einige abschliessende Tipps zu den Einstellungen:

  • Unter Appearance & Themes finden wir diverse Einstellungen zur Erscheinung; insbesondere, ob der Browser im dunklen oder hellen Modus arbeitet oder die Systemvorgabe befolgt. Und wir steuern die farbliche Erscheinung.
  • Bei Tabs legen wir fest, ob die Adress- und Reiterleiste am oberen oder unteren Bildschirmrand angezeigt wird. Wir geben an, nach wie vielen Tagen inaktive Reiter automatisch geschlossen werden und was auf einem neuen Reiter standardmässig zu sehen ist.
  • In der Rubrik Privacy and Security findet sich auch eine Option, um eine verschlüsselte Verbindung zu erzwingen (Always use secure connections). Unverschlüsselter Websites werden erst nach einer Bestätigung geöffnet.
  • Der Lockdown mode versetzt den Browser in einen speziellen Zustand, der vor gezielten Angriffen schützen soll – vergleichbar mit dem Lockdown-Mode beim iPhone und iPad.
  • Es gibt auch einen Passwort-Manager, eine Verwaltung der Zahlungsmethoden und unter Content settings die Möglichkeit, Pop-ups zu blockieren, Link-Voransichten anzuzeigen und den Web Inspector zu aktivieren.

Fazit: Fast mein neuer Lieblingsbrowser

So surft es sich mit Vivaldi.

Ich nutze am iPhone die mobile Version von Firefox, trotz vieler Kritikpunkte. Nur ein Beispiel: Seit Jahren ärgere ich mich darüber, dass sich auf der Firefox-Startseite die Reihenfolge der hinterlegten Websites nicht anpassen lässt. Bei Vivaldi ist das ein Klacks – und wie bei Punkt 3) erklärt, nur eine der vielen Anpassungsmöglichkeiten, die weit über das hinausgehen, was der Mozilla-Browser zu bieten hat.

Somit liegt eine Frage auf der Hand: Warum kehre ich Firefox nicht den Rücken und wechsle zu Vivaldi?

Ich könnte das lediglich am iPhone tun und am Desktop bei Firefox bleiben. Ich finde es allerdings praktisch, mobil den gleichen Browser zu verwenden: Dank der Synchronisation nutze ich die Browserdaten (Verlauf, Log-ins, etc.) über die Gerätegrenzen hinweg.

Nun bestünde die Möglichkeit, auch unter Windows und Mac auf Vivaldi umzuschwenken. Auch das ist verlockend, weil Vivaldi auch dort einige Features hat, die ich bei Firefox vermisse: Die Schnellbefehle etwa oder die Kachel-Tabs, um nur zwei zu nennen. Allerdings würde das einen erheblichen Aufwand für die Umgewöhnung mit sich bringen: Ich nutze Firefox seit zwanzig Jahren – seit er 2004 als Firebird aus der Netscape-Asche auferstanden ist. Die Bedienung ist mir in Fleisch und Blut übergegangen und den Browser mittels Erweiterungen genau an meine Bedürfnisse angepasst.

Der zweite und entscheidende Grund: Vivaldi basiert leider auf dem von Google betreuten Chromium-Projekt. Das bedeutet zwar nicht, dass über diesen Browser Daten von Nutzerinnen und Nutzern zu Google gelangen würden, wie das Entwicklerteam hier beteuert:

Kurz gesagt, da Google keine Daten von Vivaldi-Nutzern erhält, profitiert Google nicht davon, dass Vivaldi auf Chromium basiert.

Aber natürlich bestimmt Google, in welche Richtung das läuft. Vivaldi muss potenziell unerwünschte Neuerungen mittragen, und von denen gibt es mehrere. Floc bzw. der Nachfolger Topics und das «Manifest V3», das das Blockieren von Trackern erschwert.

Ich bin daher überzeugt, dass eine echte Alternative zu Chrome nicht auf Chromium basieren sollte. Und daher kommt für mich ein Wechsel zu Vivaldi, den überlegenen Funktionen zum Trotz, bedauerlicherweise nicht infrage.

Vielleicht ändert sich das, falls Google Chrome und Chromium tatsächlich loswerden muss, wie es die US-Regierung wegen des Monopols im Bereich der Suchmaschinen verlangt. Doch selbst wenn es dazu kommt, wird das sicherlich noch dauern – und es bleibt auch abzuwarten, wer im Fall des Falles den Browser denn kaufen würde. (Microsoft? Vom Regen in die Traufe!)

Beitragsbild: Der «Vater» des Vivaldi-Browsers, Jon S. von Tetzchner (vivaldi.com).

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