Die Prämisse ist aussichtsvoll: Eine junge Frau mit einem losen Mundwerk und einer distanzierten Haltung zur Religion gerät an einen Rabbi, der seinen Job zwar ernst nimmt, aber in Beziehungsdingen nicht vorbehaltlos zum Vorbild taugt. Und diese Netflix-Serie hat noch einen unbestreitbaren Pluspunkt: die grossartige Kristen Bell in der weiblichen Hauptrolle. Seit The Good Place mag ich sie aufrichtig.
Und es gibt einen weiteren Grund für volle Aufmerksamkeit. Joanne, die Heldin, ist eine Podcasterin und damit ein Beleg für meine These, dass Podcaster so etwas wie popkulturelle Senkrechtstarter sind: Auch die Netflix-Serie «Bodkin» hat einen Podcaster als Helden, ebenso der tolle Kriminalroman «Listen for the Lie» von Amy Tintera.
Und noch besser: Joanne erweitert die popkulturelle Etablierung des Podcasters und der Podcasterin um eine schillernde Facette. Sie beschäftigt sich nämlich nicht mit ungeklärten, echten Verbrechen, sondern mit Beziehungen und mit Sex. Wie unverblümt sie zusammen mit ihrer kleinen Schwester Morgan ans Werk geht, lässt sich am Titel der Episode ermessen, die dem Rabbi besonders aufgefallen ist. Die heisst «Dildos and dildon’ts».
Happyendus interruptus
Kurz: Nobody Wants This ist prädestiniert, eine der Serien zu werden, wegen der sich das Netflix-Abo noch lohnt – woran ich nach zehn Jahren treuer Kundschaft inzwischen ernsthaft zweifle. Und dieser Blogpost hätte eine richtig runde, schlüssige Sache werden können.
Doch das befriedigende Happy End bleibt uns verwehrt, weil ich mit dieser Serie einfach nicht warm geworden bin. Ich bespreche sie trotzdem, weil zumindest teilweise an mir und meinen speziellen Vorlieben liegt – und nicht an ihr. Das Ensemble ist nämlich auch nicht ohne. Sasha (Timothy Simons), der Bruder des Rabbis und dessen Frau (Jackie Tohn) haben es mir angetan. Der schwule Papa der Podcasterinnen und ihre trotzdem in ihn verliebte Mutter (Stephanie Faracy) gehen als originell durch. Der Rabbi Noah Roklov (Adam Brody) selbst ist aufgeklärt und in der Lage zur Selbstreflexion – er muss also nicht erst seine toxische Männlichkeit überwinden wie alle anderen Männer in jeder anderen Rom-Com. Und last but not least sind die Dialoge häufig humorvoller als der Netflix-Durchschnitt.
Ein zu enges Korsett
Ein Ablöscher ist die vorhersehbare Handlung. Joanne und Noah sind füreinander bestimmt und es liegt bloss an diesen komplizierten Lebensumständen, dass sie nicht am zweiten Tag nach dem Kennenlernen vor den Traualtar schreiten. Das ist wirklich noch unorigineller, als wenn im True-Crime-Podcast schon nach fünf Minuten offensichtlich wird, dass der Gärtner der Mörder ist.
Natürlich ist mir schon aufgegangen, dass diese Ausgangslage dafür herhalten muss, dass das gelebte Judentum mit Wucht auf einen agnostischen Lifestyle prallen kann. Aber wie so oft entpuppt sich die romantische Komödie als zu enges Korsett für eine echte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Lebensanschauungen und -ausrichtungen. Die Zweiflers, eine Miniserie der ARD, hat mir viel mehr Einsichten zum jüdischen Leben im Jahr 2024 beschert.
Der grösste Vorwurf, den ich der Serie mache, ist aber folgender: Sie liefert keinerlei Einsichten zu den Sexpodcasts. Produktionen aus diesem Genre zeichnen sich dadurch aus, dass sie riesige Erwartungen zu wecken vermögen, diese aber nur erfüllen, wenn sie auf Wissensvermittlung und nicht auf libidinöse Bedürfnisse abzielen. Oder haben Joanne und Morgan eine Formel gefunden, dieses Dilemma zu knacken? Ist ihr Werk der heilige Gral des Sexpodcasts? Würde sogar ich ihn hören wollen, wo in der Serie Spotify ihnen die Aufwartung macht und sie unbedingt verpflichten möchte? Diese Fragen bleiben, zumindest so weit ich in der Serie vorgedrungen bin, ungeklärt. Damit ist der Sexpodcast leider kein integraler Bestandteil dieser Serie, sondern nur ein Mittel, um eine klischeehafte Konstellation von Sünderin versus Heiliger zu konstruieren …
Beitragsbild: Gute Podcasts zeichnen sich dadurch aus, dass es eine Leuchtschrift von ihnen gibt (Screenshot Netflix).