Ist mir Emily in Paris einen Blogpost wert? Dagegen spricht, dass diese Serie im Bereich der Guilty Pleasures anzusiedeln ist. Auch ein Nerd wie ich kann sich mit ihr amüsieren. Aber für unsereins hält sie nichts bereit, was unsere speziellen Vorlieben kitzeln würde. Ausser vielleicht der Social-Media-Aspekt – denn die spielen bei den Abenteuern der Marketing-Expertin Cooper immer wieder eine Rolle.
Trotzdem, mehr als ein Feigenblatt geben Instagram und Co. nicht her. Dass ihr hier trotzdem mit einer Rezension behelligt werdet, liegt an den Wellen, die diese Produktion geworfen hat: Neulich hielt es das Schweizer Radio für notwendig, mich zur besten Sendezeit während der Frühinformationen darüber in Kenntnis zu setzen, Emmanuel Macron habe höchstpersönlich gegen eine Versetzung von Emily nach Rom gewettert. Kein Wunder, denn angeblich kommt inzwischen jeder dritte Tourist wegen dieser Serie an die Seine-Stadt.
Un Rom-com que je ne dois pas fuir en hurlant
Da ich momentan Serien im Hinblick auf die Frage bespreche, ob sich das Netflix-Abo nach zehn Jahren noch lohnt, ist Emily so etwas wie eine Kronzeugin. Sie zeigt, dass Netflix noch immer in der Lage ist, Hits zu produzieren. Hier ist es sogar gelungen, dem Genre der romantischen Komödie eine Seite abzugewinnen, die Leute wie mich anspricht. Mit Leuten wie ich meine ich übrigens Personen, die Rom-coms wegen ihrer Seichtheit, Gefühlsseligkeit und Klischees sonst meiden wie der sprichwörtliche Teufel das stereotype Weihwasser.
Womit wir beim Thema wären: den Klischees. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass sich der französische Staatspräsident so ins Zeug legt, wo die Französinnen und Franzosen nicht vorteilhaft geschildert werden: Sie sind arrogant (Sylvie, Emilys Boss, gespielt durch Philippine Leroy-Beaulieu), sexistisch (William Abadie als Chef-Chef Antoine Lambert) oder verführerisch auf die naiv-dümmliche Art (Lucas Bravo als Koch Gabriel). Und selbst die unbeholfen-sympathischen Charaktere wie Arbeitskollege Luc (Bruno Gouery) wirken aus der Zeit gefallen, wenn sie ihren Geburtstag auf dem Friedhof Père-Lachaise verbringen. Macrons persönlicher Einsatz für Emilys Verbleib wirkt in dem Licht auf ironische Weise peinlich: Ein Franzose, der seinen Stolz fahren lässt, weil es darum geht, dass die Touristenscharen auch weiterhin an die Seine und nicht an den Tiber pilgern – der könnte locker in «Emily» auftreten.
Combien ça nous va sur les noix ?
Die Frage ist nun natürlich, wie sehr uns diese Klischees auf den Wecker gehen. Wenn wir sie als satirische Überzeichnung verstehen, dann geniessen wir sie sogar. Es ist in der Tat eindrücklich, dass sich Dinge, die komplett erfunden klingen, als authentisch entpuppen – zum Beispiel, wenn Emilys Freundin Mindy Chen (Ashley Park) nebenbei erwähnt, man könne einen Frühstückswein trinken. Aber dann lesen wir in der «Süddeutschen Zeitung»:
«Ein cremig-buttrig, briochig-fruchtiger Champagner zum klassischen französischen Buttercroissant? Wer braucht da schon Kaffee?»
Man kann die Sache daher auch so verstehen, dass die Franzosen gewissermassen nach dieser Serie gebettelt haben. Der Clash der Kulturen ist ein Thema, das wahnsinnig viel hergibt – und beim Aufeinanderprallen von Franzosen und Amerikanerinnen kracht es eben besonders laut. Darum, tatsächlich, hat es Emily in die illustere Gemeinschaft der Serien geschafft, deretwegen Netflix die Gebühr noch wert ist.
Où est la merde de chien ?
Aber zugegeben: Ein paar Dinge nerven schon. Paris ist weit davon entfernt, in jeder Ecke pittoresk und fotogen zu sein. Niemals tritt in dieser Serie jemand in Hundescheisse – etwas, das einem im echten Paris ungefähr alle zwei Meter passiert – und nirgends gibt es Obdachlosigkeit. Dass wirklich jede Szene zu einer Modeschau gerät, geht einem auf die Dauer massiv auf den Zeiger.
Und etwas mehr Selbstironie würde auch nicht schaden. Emily hat ein paar Fehler, die wir sofort als typisch amerikanisch apostrophieren würden: Sie beherrscht die Sprache auch nach Monaten noch immer hundsmiserabel. Und prüde wie die Amis nun mal sind, sitzt sie als einzige mit dem Bademantel in der türkischen Sauna, selbst wenn sich alle um sie herum, inklusive Freundin und Rivalin Camille (Camille Razat) splitternackt in der Hitze rekeln. Da ginge doch sicher noch mehr, n’est-ce pas?
Beitragsbild: Egal wo man in dieser Stadt auch steht, den Eiffelturm sieht man eigentlich immer (Screenshot Netflix).