Der fleissigste Tech-Journalist der Welt? Nein, ich bin es nicht. Die Ehre wird – zumindest nach meinem Wissensstand – Joseph Green zuteil. Er hat, gemäss seiner Linkedin-Seite, einen Bachelor-Abschluss in englischer Sprache und Literatur von der Loughborough University im Vereinigten Königreich. Doch für die Texte, um die es hier heute geht, braucht er den nicht unbedingt, denn die bewegen sich nicht auf Shakespeare-Niveau.
Doch halt, bevor ich weitermache, eine Klarstellung. Dieser Beitrag soll nicht in Kollegenschelte ausarten: Ich bin diesbezüglich nämlich ein gebranntes Kind. Ich habe während meiner Karriere nur zwei-, dreimal einen Rüffel aus der Chefredaktion erhalten. Einmal war der Anlass die Kritik an einem Schweizer Tech-Journalisten, der meines Erachtens Unfug geschrieben hatte. Er hatte sich beklagt und man beschied mir, so etwas tue man nicht.
Nun, ich bin zwar überzeugt, dass wir Journalistinnen und Journalisten uns kritisieren dürfen und müssen. Aber im Fall von Joseph Green kenne ich die Hintergründe nicht. Vielleicht hängt sein Job davon ab, dass er diesen Ausstoss liefert, der quantitativ eindrücklich, qualitativ aber fragwürdig ist.
19 Artikel an einem Tag!
Aber konkret: Ich bin vor einem Jahr auf Joseph Green gestossen, als ich mich gefragt hatte, wer sich denn eigentlich auf diese Angebote einlässt, die ich damals von ExpressVPN andauernd erhielt. In denen wurde mir eine «Kooperation» vorgeschlagen, bei der ich einen «informativen und unterhaltsamen Artikel» über ebendieses ExpressVPN hätte veröffentlichen müssen. Eine Google-Suche später fand ich mehrere Beiträge über Express VPN auf der Tech-News-Plattform Mashable, geschrieben von Herrn Green.
Aus Neugierde habe ich kürzlich «Mashable» einen erneuten Besuch abgestattet und auf den Autorennamen Joseph Green geklickt. Und war verblüfft: Zum Zeitpunkt meiner Analyse Mitte September wurden mir 699 Artikel aufgelistet. Das sind 2,7 Artikel pro Tag, inklusive Samstag und Sonntag.
Am 29. Juli 2024 waren es geschlagene 19 Artikel. Darf ich die Titel aufzählen?
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Man braucht nun keinen Bachelor-Abschluss in Datenwissenschaften sein Eigen zu nennen, um ein gewisses Muster zu erkennen. Ich habe mir nicht Mühe gemacht, alle Artikel zu vergleichen. Aber falls meine Stichproben repräsentativ sind, handelt es sich immer um den gleichen Text. Er erklärt, wie man via ExpressVPN von irgendwoher in der Welt den BBC iPlayer nutzen kann. Die einzige Variable ist die erwähnte Mannschaft, Partie oder ein Sportler. So entsteht ein Artikel für jede Sportart, die die Welt (bzw. die Olympischen Spiele in Paris) je gesehen hat.
Was Edward Snowden dazu meint
Wenn wir in der Liste einfach mal zählen, wie oft die Formulierung «How to watch …» erscheint, kommen wir auf 529 Treffer. Der Begriff «for free» kommt sogar 576-mal vor. Ein grosser Teil dürfte wiederum dem erwähnten VPN-Anbieter gewidmet sein, von dem – Achtung, ein kleiner Exkurs – Edward Snowden vor drei Jahren kategorisch abgeraten hat. Er hat einen Tweet mit folgendem Wortlaut retweetet:
Der zumindest bis vor Kurzem amtierende Informatikchef des grossen VPN-Anbieters ExpressVPN ist einer der drei ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter, die heute einwilligten, sich nicht gegen die Vorwürfe zu wehren, sie hätten den Vereinigten Arabischen Emirate illegal beim Hacken von Menschen geholfen. Das gibt einem schon zu denken.
Gemeint ist Daniel Gericke. Er hat für diese Aktivitäten eine Busse von 335’000 US-Dollar aufgebrummt bekommen und musste gemäss diesem Bericht mit dem FBI kooperieren. Die Emirate hätten im Rahmen des Project Raven Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und politische Rivalen ausspioniert.
Ein Detail, das irgendwie untergegangen ist
Nun, Gericke hat ExpressVPN nach vier Jahren im Juli 2023 verlassen. Ob das ein Grund ist, den Bann aufzuheben, ist ohne eine vertiefte Recherche nicht zu beurteilen. Aber journalistisch gesehen fände ich es angebracht, diese Frage zumindest in ein paar der rund 600 Artikel über ExpressVPN anzusprechen¹. Das Unternehmen hat sogar selbst zu der Sache Stellung genommen:
Um es ganz klar zu sagen: Sosehr wir Daniels Fachwissen schätzen und wie es uns geholfen hat, unsere Kunden zu schützen, so entschieden stellen wir uns gegen Projekt Raven. Solcherlei Überwachung ist konträr zu unserem Auftrag.
Kommen wir an dieser Stelle zum Fazit: Es gäbe Raum, sich auf eine Weise mit diesem VPN-Anbieter auseinanderzusetzen, die im Interesse der Leserinnen und Leser wäre. Was spricht dafür, ihn zu verwenden, was dagegen? Aber den gleichen, völlig unkritischen Artikeln in Hunderten Varianten ins Netz zu stellen, ist eine Bankrotterklärung für jedes Medium.
Eine kleine Pointe am Schluss besteht nun darin, dass ExpressVPN gemäss dem Test von Heise.de ausgerechnet dort Schwächen aufweist, wo es in diesen Hunderten Artikeln angepriesen wird:
Anders als Mullvad kann ExpressVPN zwar internationale Streaming-Angebote grundsätzlich entsperren. In unserem Test artete dies jedoch in ein Glücksspiel aus – mit meist enttäuschendem Ergebnis.
Eine Lose-Lose-Lose-Lose-Lose-Situation
Wir müssen feststellen, dass bei dieser Aktion am Ende alle schlecht aussehen:
- Erstens Joseph Green. Es nötigt mir einen gewissen Respekt ab, dass er diese Fliessbandarbeit mit Namen zeichnet. Aber sagen wir es so: Mein Vertrauen in seine journalistische Arbeit ist nach diesem Blogpost nicht mehr gross.
- Zweitens Mashable. Ich habe die Newssite seit Urzeiten in meinem RSS-Reader. Aber das Vertrauen ist am Boden. Denn wer derartig viele Artikel dieser Machart auf seiner Website versteckt und hofft, dass die normalen Leserinnen und Leser sie nicht entdecken, der trägt zum Niedergang der Computer-Berichterstattung und zum Vertrauensverlust in die Medien bei.
- Drittens auch ExpressVPN. Das oben zitierte Statement zu der Sache mit Daniel Gericke wäre ein guter Anfang, das Vertrauen wiederherzustellen. Doch solche verdeckten Operationen wie diese Mashable-Nummer passen keinesfalls zu einer glaubwürdigen, offenen und ehrlichen Kommunikation. Vielleicht ist diese Aktion hier nicht abgesprochen, sondern von Mashable selbst aufgegleist, um von einer Affiliate-Vergütung zu profitieren. Aber es bleibt dabei, dass das Angebote mit einem Gschmäckli sind.
- Viertens die Leserinnen und Leser. Es ist jedem klar, wer hier das Produkt ist: wir mit unserer Aufmerksamkeit. Wer sich nicht veralbert vorkommt, ist entweder abgebrüht – oder ein bedingungsloser Fan des Kapitalismus in all seinen Ausprägungen.
- Fünftens das Internet. Diese Beiträge sind auf Google zugeschnitten (Stichwort SEO). Für uns alle – die Menschheit – wäre es aber besser, wenn das Web sich an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzern ausrichten würde und das oberste Ziel nicht wäre, sich in den Suchresultaten nach oben zu tricksen.
Beitragsbild: Bis die Tasten glühen (Adobe Firefly).
Das Traurige an diesem Artikel ist, dass er der Wahrheit entspricht.