Eins muss man dieser App lassen: Sie hat einen besseren Namen als die gesamte Konkurrenz¹: Sie heisst Omnivore (iPhone und Android) und gehört wie Pocket und Instapaper in die Kategorie der Später-Lesen-Apps. Sie richtet sich nach eigenem Bekunden an «ernsthafte Leserinnen und Leser», und sie hat einen klaren Vorteil gegenüber dem restlichen Feld: Sie ist Open-Source.
Ich habe App im Hinblick auf die Vorlesen-Funktion getestet. Die Sprachsynthese, die es bei vielen Newssites inzwischen gibt, hat mich auf den Geschmack gebracht. Doch ich möchte mir die Texte nicht auf der jeweiligen Site anhören, sondern in einer App, die für alle vorzulesenden Inhalte zuständig ist. Und da ist die Leselisten-App der ideale Kandidat.
Um es vorwegzunehmen: Als persönlicher Nachrichtensprecher ist Omnivore nicht die erste Wahl. Die Sprachsynthese ist zwar akzeptabel, doch im direkten Vergleich zu Elevenlabs Reader fällt sie weit zurück. Diese App hat die natürlicheren, sympathischeren Stimmen und eine angenehmere Präsentation.
Doch Omnivore hat andere Stärken, was uns dazu bringen könnte, uns dennoch mit der Sprachsynthese anzufreunden. Dazu ein wichtiger Tipp: Wenn wir das mit den Standardeinstellungen tun, werden deutschsprachige Inhalte als Englisch vorgelesen – und das ist grauenvoll. Um das zu verhindern, öffnen wir die Rubrik Profile, klicken hier auf Text to speech und wählen bei Default Language den Eintrag German aus. Im Abschnitt Voices bei German finden wir sechs Stimmen zur Auswahl.
Lustig: Leni liest Texte sogar auf Schweizerdeutsch. Und zwar, indem sie Hochdeutsch auf etwas übersetzt, das fast nach Zürichdeutsch klingt. Das ist amüsant, aber weit entfernt von überzeugendem Dialekt. Darum empfehle ich Katja – die finde ich am angenehmsten. Auch okay ist Christoph.
RSS und Newsletters
Zu den Stärken von Omnivore zählt die Möglichkeit, Quellen automatisch per RSS einzubinden. Theoretisch praktisch, doch bei meinem Test hat der Import des Feeds von meinem Blog leider nicht funktioniert. Auch die Newsletter lassen sich an Omnivore schicken und dort lesen und organisieren. Dazu erhalten wir eine Mailadresse, an die wir die Newsletter hinschicken oder weiterleiten können. Jedenfalls ein heisser Tipp für alle jungen Menschen, die eben erst gelernt haben, dass es E-Mail-Newsletter gibt: Verwendet dafür eine separate Mailadresse, Firefox Relay oder die Funktion «E-Mail-Adresse verbergen» von Apple.
Die Mailadresse von Omnivore, die z.B. MrClicko-T9kKexe3e@inbox.omnivore.app lauten kann, nimmt auch PDFs entgegen, die ebenfalls ins gesammelte Lesematerial eingespeist werden. Eine solche Mailadresse lässt sich in den Einstellungen bei Emails einrichten.
Dieses Material lässt sich in der App oder auch via Web nach allen Regeln der Kunst organisieren:
- Unter Inbox erscheinen die manuell gesammelten Informationen. Diese lassen sich via Plus-Symbol per URL hinzufügen. Inhalte können auch über den Teilen-Befehl des iPhones (via Sharesheet) eingespeist werden.
- Die Inbox hat fast ein Dutzend Ansichten (Continue Reading, Non-Feed-Items, Highlights, Unlabeled, Oldest First, Files, Archived, Unread, Downloaded und Deleted) und diverse Sortiermöglichkeiten (Newest, Oldest, Shortest, Longest, Recently Read und Recently Published).
- Einem Eintrag lassen sich Labels und Notizen hinzufügen. Es gibt auch die Highlights, das sind quasi Leuchtstift-Markierungen interessanter Stellen.
- Unter Following erscheinen die Feeds und Newsletter. Sie lassen sich nach den gleichen Kriterien wie die Elemente der Inbox sortieren, filtern (Ungelesen, Feeds, Newsletters) oder nach Label auswählen.
Wir sehen: Die Grenzen zwischen Lese-App und Wissensbasis sind fliessend. Es gibt auch eine Synchronisation mit Werkzeugen für die Wissensverwaltung, namentlich zu Obsidian, Notion und Logseq.
In der Leseansicht starten wir die besagte Vorlesefunktion. Wir können ferner wiederum Labels zuweisen, Notizen und Highlights erfassen. Auch Notizen lassen sich speziell an bestimmte Stellen im Text hängen. In der Leseansicht wählen wir Font, Schriftgrösse, Zeichen- und Zeilenabstand, und es gibt vier Farbschemen (Themes) zur Auswahl. Über das Menü gibt es zusätzlich einige interessante Funktionen, zum Beispiel, einen Artikel über Archive.today zu öffnen, falls er dort abgelegt ist. Wir können auch den Link kopieren und die Leseposition zurücksetzen. Via Reccommend ist es möglich, den Artikel in einem Club zu empfehlen. Das sind virtuelle Räume für Teammitglieder und Gleichgesinnte, in denen sie Lesestoff austauschen.
So weit, so schlüssig. Da ich mit Pocket nicht mehr so richtig zufrieden bin, überlege ich mir derzeit ernsthaft einen Umstieg. Das Tolle an der Sache ist, dass es eine Möglichkeit gibt, die Pocket angehäuften Artikel zu importieren – und zwar vollständig, falls es nicht mehr als 20’000 Artikel sind. Ich habe das ausprobiert, und es klappte gut, auch wenn es lange dauerte, bis der Bestand der letzten fünf Jahre herübergewandert war. Den Import müssen wir am Desktop-Computer anstossen, und zwar über die Seite Integration in den Einstellungen. Dort autorisieren wir den Zugriff auf Pocket, woraufhin der Vorgang startet.
Fazit: Ein definitives Urteil erlaube ich mir noch nicht. Aber Omnivore gefällt mir gut. Einige der Dinge, die ich bereits schätze:
- Die Möglichkeit, durch eine Wischgeste von rechts nach links einen Eintrag zu archivieren oder optional zu löschen.
- Wenn wir von links nach rechts wischen, pinnen wir den Eintrag an. Er erscheint dann zuoberst in der Liste.
- Nerd-Features wie die Rules.
Die sind im Moment noch im Betastadium und daher nur über die Website und nicht in der App verfügbar. Über eine Regel lassen sich anhand bestimmter Kriterien automatisch Labels hinzufügen, Benachrichtigungen senden oder Beiträge archivieren.
Fussnoten
1) Dicht gefolgt von Hoarder – wobei es sich bei der App um eine selbst gehostete, freie Software zur Bookmark-Verwaltung denn um eine Leselisten-App handelt. ↩
Beitragsbild: In der Badewanne lässt es sich gut essen. Und lesen, natürlich (Artem Labunsky, Unsplash-Lizenz).