Vor zwei Monaten machte ich eine verblüffende Entdeckung im Web: Ich stiess auf eine Website mit diversen Texten, die mich frappant an Artikel erinnerten, die ich für den Tagesanzeiger geschrieben hatte. Ich ging der Sache nach und fand knapp zwei Dutzend weiterer Websites ähnlicher Machart, die allesamt von der First Consulenza AG aus Basel betrieben werden.
Auf diesen Sites fanden sich weitere Inhalte, die streng nach künstlicher Intelligenz riechen. Man kann viele der Texte auf Artikel zurückführen, die z.B. bei «20 Minuten», dem «Tagesanzeiger» und anderen Medien erschienen sind. Sie waren indes nicht eins zu eins kopiert, sondern per KI umformuliert und leicht gekürzt worden.
Der Ursprung einiger Inhalte lässt sich eindeutig nachweisen:
In einem Fall tauchte mein Name im Titel auf. In Fall der Website regionnews.ch, ebenfalls betrieben von First Consulenza AG, finden sich elf Verweise auf «20 Minuten» als Quelle – teils in den URLs, teils mit dem Hinweis auf die SMS-Pushes oder den Whatsapp-Kanal von «20 Minuten».
Wohlwollend könnte man sagen, dass es sich um Zitate handelt. Eine harschere Einschätzung würde auf Plagiat lauten. Doch unabhängig von der Begrifflichkeit können wir festhalten, dass es nichts bringt, fremde Inhalte durch ein Sprachmodell verwursteln zu lassen und en gros online zu stellen. Meine Meinung dazu ist klar: Das ist eine sinnlose Vermüllung des Web.
Alles ganz anders!
Vor ein paar Tagen ergab sich ein interessanter Plot-Twist: Die fragwürdigen Inhalte, die mir auf der Website «C-Level-News» aufgefallen waren, sind verschwunden. Stattdessen steht dort nun: «KI ist kein Journalismus!» Und es heisst, das KI-Projekt sei «nach vier Wochen abgeschlossen» worden.
Also: alles ganz anders! Die First Consulenza AG und ihr CEO Francesco Ciringione wollten den Tatbeweis erbringen, dass es nichts bringt, künstliche Intelligenz auf diese Weise einzusetzen. Es wird impliziert, das KI-Projekt sei ein Dienst an der Gesellschaft und ein Bekenntnis für einen ethischen Einsatz von KI.
Es stellt sich die Frage: Glauben wir das?
Für mich stehen auch andere Deutungsmöglichkeiten im Raum. Hier sind zwei:
- Francesco Ciringione wollte die Grenzen ausloten: Gibt es Kritik an Websites wie «C-Level-News» und «Helvetic Highlights»? Finden juristische Interventionen statt oder kommt man damit durch?
- Oder es war ein simples Suchmaschinenoptimierungs-Projekt. Es existieren Indizien, dass eine Fussball-App gepusht werden sollte.
Die faulste Ausrede der Welt
Ich glaube nicht an das gemeinnützige «KI ist kein Journalismus»-Projekt. Gern führe ich zu dieser Position einige Argumente an:
- Es braucht dieses Projekt nicht. Die Sinnlosigkeit, KI als Kopier- und Verfremdungsmaschine zu verwenden, ist von vornherein klar.
- Wenn das Projekt von Anfang an als solches geplant gewesen wäre, hätte man selbstverständlich die betroffenen Medienhäuser und Journalisten vorab informiert.
- Das KI-Projekt ist gar nicht zu Ende¹.
- Und was nützt ein solches Projekt, wenn nicht offen darüber informiert wird? Francesco Ciringione hat bislang nicht zu meinen Fragen Stellung genommen, die ich ihm am Montag zugeschickt habe².
Zugegeben: Punkt 3) könnte nach Hanlon’s Razor auch einfach als Schlamperei interpretiert werden – wenn es nicht den Anschein hätte, als dass die Verschleierung nachträglich noch «verbessert» worden ist.
Doch bei Punkt 4) gibt es kaum Interpretationsspielraum: Wenn das eine Initiative für einen ethischen Einsatz von künstlicher Intelligenz wäre, könnten wir davon ausgehen, dass Francesco Ciringione meine Fragen umgehend beantwortet hätte. Ihm wäre daran gelegen gewesen, meinen falschen Eindruck richtigzustellen und zu betonen, dass wir auf der gleichen Seite stehen.
Nun, vielleicht war er diese Woche in den Ferien und hat auch mein erstes Mail vom 19. Juli bloss übersehen. Dann besteht weiterhin die Möglichkeit einer Klärung. Über eine solche würde ich selbstverständlich hier im Blog berichten.
Doch so lange die ausbleibt, gehe ich davon aus, dass ich es hier mit der faulsten Ausrede der Welt zu tun habe …
Fussnoten
1) Regionnews.ch weiterhin online. Hier finden sich Artikel wie dieser hier, wo «20 Minuten» noch im Titel steht und auch in der URL zu finden ist. Viele der anderen Verweise auf «20 Minuten» wurden getilgt; aber via Google-Cache sind sie noch zugänglich: Hier findet sich ein Verweis auf den Whatsapp-Kanal, hier ist sogar ein Text zu finden, in dem es um die Präsenz von «20 Minuten» an der Streetparade geht. ↩
2) Das sind meine konkreten Fragen:
- Was war das Ziel dieses Projekts und mit welcher Motivation haben Sie dieses Projekt gestartet?
- War das KI-Projekt von Anfang an zeitlich befristet geplant?
- Welche Erkenntnisse haben sich daraus ergeben?
- Was werden Sie mit den Ergebnissen des Projekts anfangen?
- Man kann Ihnen auch folgende Absicht unterstellen: Es ging Ihnen darum auszuloten, wie weit sie mit solchen auf fremden Inhalten basierenden KI-Artikeln kommen würden. Was sagen Sie dazu?
- Wieso haben Sie Ihre Absicht gegenüber betroffenen Autoren wie z.B. mir nicht offengelegt?
- Gibt es die Fussball-Scouting-App Footbao tatsächlich?
- Was antworten Sie auf den Vorwurf, es habe sich bei diesem KI-Projekt um eine missglückte SEO-Aktion zur Promotion dieser App gehandelt? ↩
Beitragsbild: «Ich war in den Ferien und hab dein Mail nicht erhalten.» (Gustavo Fring, Pexels-Lizenz).
Ich verspüre den leichten Drang, ein ähnliches Experiment zu starten. Ein Newsportal im Besitz einer grossen Regionalmediengesellschaft klaut im Internet schamlos Inhalte zusammen. Die Journalisten haben über die Jahre jede Hemmung verloren. Videos werden von YouTube kopiert, um ein paar Untertitel und das eigene Logo ergänzt und dann mit „Quelle: YouTube“ veröffentlicht. Inhalte von Social Media werden per Screenshot „eingebunden“, nicht mal ein Link auf die Quelle liegt drin. Begründung ist die optimierte Ladezeit. Man schreckt aber nicht davor zurück, zig externe Tracker einzubinden.
Auf jeden Fall wäre das Experiment, die Inhalte 1:1 zu spiegeln und werbefrei anzubieten. Das führte in absehbarer Zeit zu einer Klage und im Prozess könnte das Medium erklären, weshalb der Klau von geklauten Inhalten strafbar sein soll.
Leider fehlen mir die Zeit und das juristische Rüstzeug dafür. Wäre vielleicht etwas für einen Jus-Studenten.
Das stimmt natürlich und deine Kritik ist berechtigt. Ich habe mich im zweiten Beitrag in dieser Mini-Serie auch zu BlicKI geäussert. Aber wie gesagt: Um diesen Missstand anzuprangern, braucht es das Experiment nicht. Es lenkt von der Ursache ab: dem extremen Spardruck in den Verlagen, der geringen Bereitschaft des Publikums, die Inhalte zu zahlen und dem «Engagement Farming» der sozialen Medien – letzteres habe ich hier im Blog immer wieder angeprangert.
Falls Medien zur Rechenschaft gezogen werden sollten, dann wäre meines Erachtens der effektivste Weg, das anhand eines konkreten Beispiels zu tun: anhand eines abgekupferten Artikels ein Plagiatsverfahren anzustrengen oder vor den Presserat zu gehen: Das ergäbe eine Beurteilung eines konkreten Falls und würde es uns erlauben, in der Praxis abzustecken, wo die Grenzen eines ordentlichen Zitats und der Bezugnahme auf öffentliche Fakten und einem Plagiat liegen.