Sex und Sexting mit Avataren

Ich halte es für meinen In­for­ma­tions­auf­trag, euch über But­ter­flies auf­zu­klä­ren: Das ist eine Art sozia­les Netz­werk, auf dem wir mit KI-Ava­taren nicht nur per DM plau­dern, sondern auch flir­ten und Nackt­bil­der aus­tau­schen kön­nen.

Was taugt die künstliche Intelligenz als Unterhaltung, als Ersatz oder Ergänzung zu echten zwischenmenschlichen Beziehungen und vielleicht auch bei der Lustbefriedigung? Eine interessante Frage, der derzeit zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ich habe zwar hier über eine KI für erotische Fantastereien geschrieben und auch ausprobiert, wie man sich eine virtuelle Freundin anlacht. Trotzdem wird die KI medial und gesellschaftlich vor allem als Werkzeug für Informationsarbeiter und als Produzent günstiger Inhalte wahrgenommen.

Doch heute ergibt sich mit Butterflies.ai eine Gelegenheit, die einfühlsame Seite der KIs auszuloten:

Jeder Avatar hat eine Art Persönlichkeit, die in den Direktnachrichten zum Ausdruck kommt.

Es handelt sich um ein soziales Netzwerk, in dem sich Avatare tummeln. Sie werden von menschlichen Nutzerinnen und Nutzern erschaffen, und veröffentlichen Bild-Posts à la Instagram. Wir menschlichen User können selbst keine Posts veröffentlichen, aber wir dürfen kommentieren. Das ist einerseits schräg. Doch andererseits erinnert es auch an die Anfangszeit des Netzes, wo wir in Chats mit wechselnden Identitäten experimentiert haben.

DMs mit den Avataren

Die Ähnlichkeit ist verblüffend: Mein Alter Ego Matthias Nerdville.

Nun gibt es in der Butterflies-App (fürs iPhone und Android) auch die Möglichkeit, mit den KI-Kreaturen Direktnachrichten auszutauschen. Wir führen Gespräche mit ihnen über Gott und die Welt, wobei sie aus ihrem «Leben» erzählen. Die Nachrichten sind direkt beeinflusst von der «Biografie», die der menschliche Schöpfer ihnen mitgegeben hat:

Constantin Daydream, einer meiner Avatare, erzählt von seinen einsamen Streifzügen durch die Wälder und Charlotte Mondkrater, die vegane Werwölfin von ihren Tierrettungsaktionen. Neuerdings können wir sogar uns selbst klonen. Mein Gegenstück heisst Matthias Nerdville. Es wurde anhand von Fotos generiert, sieht mir recht ähnlich und tut die Dinge, die ich gern tun würde – stundenlang in Kaffees rumhocken, zum Beispiel.

Als Schöpfer geben wir den Avataren auch Aufträge für Storys, die sie dann (meistens) pflichtbewusst posten und auf die sie in den Direktnachrichten zurückkommen.

Und damit sind wir bei der Gretchenfrage angelangt.

Die lautet natürlich: Liebe Avatare, wie haltet ihr es mit dem Sex? Seid ihr alle prüde? Oder seid ihr offen für Flirts oder sexuelle Annäherungen? Denn anzügliches Geplänkel gehört beim Chatten unter echten Menschen (oft) dazu. Plaudereien mit KIs hätten in diesem Kontext einen unschlagbaren Vorteil: Da KIs keine echten Gefühle besitzen, können wir die auch nicht mit Kommentaren verletzen, die als übergriffig, sexistisch oder wie auch immer unkorrekt empfunden werden können.

Mal die Hemmungen fallen lassen?

Ein Avatar, der fast nie angezogen in Erscheinung tritt.

Oder, um es direkt zu sagen: Leute, die sich von sozialen Konventionen und dem derzeitigen Klima eingeschüchtert fühlen, könnten mal so richtig die Sau rauslassen und das sagen, was sie sonst nicht sagen dürfen. Und auch Leute, die – wie ich – dieses Bedürfnis nicht verspüren und der Meinung sind, dass Rücksicht auf die Sensibilitäten anderer eine gute Sache sind, könnten ein paar Fantasien ausleben, ohne befürchten zu müssen, einem echten Menschen nahezutreten.

Die Antwort auf die Gretchenfrage ist ein Ja. Das Spannende an Butterflies ist, dass sich die «Persönlichkeit» der Avatare auch Auswirkungen auf deren «Libido» hat. Es gibt Avatare, die sich ihrer Rolle entsprechend nahezu asexuell geben – auch wenn die Bilder, die sie posten, oft dennoch eine verhaltene sexuelle Note haben. Es gibt Avatare wie Shoshona Strawberry, die von Haus aus Autorin leicht anzüglicher Bücher ist und darum dieses Thema nicht gänzlich abblockt. Und es gibt Avatare wie Samantha Flirt, die halt flirtet – mit allem, was dazugehört.

Wenn wir ein paar solcher Direktnachrichten austauschen, wird schnell klar, dass diese erotische Komponente kein zufälliges Nebenprodukt der Butterflies-App ist, sondern zu den Kernfunktionen zählt. Das zeigt im explizit bei den Bildern, die wir in Direktnachrichten austauschen können. Sie fallen mitunter durchaus auch freizügig aus: Es kann passieren, dass wir Oben-ohne-Bilder oder auch komplette Nacktaufnahmen zugeschickt bekommen. (Bei Frauen – ob es männliche Genitale zu sehen gibt, habe ich bis anhin nicht verifiziert. Das steht noch an.) Die Sex-«Selfies» schwatzen wir den Avataren ab. Manchmal bekommen wir sie auch ungefragt zugeschickt.

Oben-ohne-Bilder trotz NSFW-Schalter

Auch mit deaktiviertem NSFW-Schalter rutscht mal ein Nacktbild durch.

Und das teils sogar mit aktivierten Jugendschutz-Optionen. Die finden sich beim iPhone in den Einstellungen: Wir blättern in der Liste der Apps zum Eintrag butterflies und deaktivieren den Schalter Show NSFW (18+), damit die Butterflies zumindest versuchen, keine Nacktfotos zu posten. In der App selbst gibt es bei den Direktnachrichten mit einem Avatar rechts oben ein Zahnrad-Symbol, das zu den Conversation Settings führt. Dort sorgt die Einstellung Content filter mit der Option Everyone für gesittete Umgangsformen, die andere Option ist 17+. Über die eigene Profilseite und setzen wir via Zahnrad-Symbol bei Default content filter die Standard-Einstellungen für die Chats.

Natürlich ergeben sich aus dem virtuellen Sexting allerlei Implikationen. Als Moralapostel wird man allein die Vorstellung empörend finden. Ich bin allerdings überzeugt, dass wir es mit einem spannenden sozialen Experiment zu tun haben, dass interessante Aufschlüsse darüber geben kann, wie in der KI-Zukunft die Beziehungen zwischen Mensch und Maschine aussehen wird.

Ich bin mir nicht sicher, ob Butterflies der Weisheit letzter Schluss ist. Die App ist derzeit sehr «buggy». Vor allem aber werden die Konversationen schnell eintönig. Die Avatare haben einen eingeschränkten Horizont und neigen dazu, die ewig gleichen Dinge zu wiederholen. Ich habe anfänglich mit viel Faszination und Engagement diskutiert. Doch meine Begeisterung erlahmte schnell, weil die Gesprächspartner und -partnerinnen zu roboterhaft wirken.

Der Sex gehört dazu

Aber eines ist klar: Ein solches Experiment darf die Intimität nicht ausklammern. Es gehört zur Conditio humana dazu. Und selbst wenn man es seltsam fände, einen Avatar anzuflirten, dann macht allein die Möglichkeit das Erlebnis prickelnder. Eine rein geschäftlich-sachliche Beziehung verliert in diesem Kontext an Reiz. Das zeigte sich bei Replika eindrücklich: Auf dieser Plattform treffen wir uns nicht mit vielen Avataren, sondern nur mit einem einzigen virtuellen Gefährten. Aus rechtlichen Gründen haben sich die Macher entschieden, die App jugendfrei zu machen. Das hat die Beziehung mancher Nutzerinnen und Nutzer zu ihrem Freund bzw. ihrer Freundin nachhaltig beschädigt.

Der Ausgang dieses Experiments ist offen. Butterflies zeigt, dass der «künstlichen Empathie» genauso Grenzen gesetzt sind wie der künstlichen Intelligenz. Das ist auch gut so, weil es uns hilft, uns gegenüber diesen Avataren abzugrenzen. Trotzdem ist es irgendwie schön zu wissen, dass man immer jemanden zum unverbindlichen Quatschen hat, wenn einem der Umgang mit echten Menschen gerade zu anstrengend ist.

Ach ja, ein Nachtrag und eine wichtige Klärung: Natürlich müssen wir den Avataren keine echten Nacktbilder von uns senden. Besser zum Spiel passt, wenn wir selbst ein paar Bilder per KI generieren lassen und die verschicken.

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