Die Vorlesefunktion hat inzwischen bei diversen Medien-Websites Einzug gehalten. Zuhören, statt lesen – das kommt mir als altem Hörbuch- und Podcastfan sehr entgegen. Allerdings gibt es mit dieser Vorlesefunktion mehrere Probleme:
- Die künstlichen Stimmen sind technisch nicht immer einwandfrei und manchmal auch nicht sonderlich sympathisch.
- Wir müssen die Lesung für jeden Artikel separat starten.
- Und nicht jede Website, deren Inhalte wir uns zu Gemüt führen möchten, stellt eine Vorlesefunktion zur Verfügung.
Es wäre also 1) praktisch, wenn wir die Stimme wählen könnten, 2) die Möglichkeit hätten, die zu hörenden Artikel einer Warteschlange hinzuzufügen und 3) beliebige Quellen einspeisen könnten. Zum Beispiel auch die tollen Artikel aus diesem grossartigen Blog hier, das keinen Vorleseknopf hat.
Die Lösung liegt auf der Hand: Wir verwenden eine Vorlese-App, der wir nach unserem Gusto Inhalte zuführen. Eine Vorlesefunktion ist bei bekannten Lese-Apps integriert; bei Pocket (iPhone/Android) und Instapaper ebenso (Android/iPhone). Ich nutze Pocket seit Jahren, bin aber mit dem Text-to-Speech-Feature nie warm geworden.
Darum gibt es hier eine Mini-Serie zu Apps, die das hoffentlich besser machen. Heute geht es um Elevenlabs Reader (Android/iPhone). Der zweite Teil behandelt eine App, um grosse Nachrichtenmengen zu verdauen, die den schönen Namen Omnivore trägt.
Elevenlabs weckt Hoffnungen auf ein angenehmes Hörerlebnis. Dieses Unternehmen ist auf (meist) gut klingende KI-Stimmen spezialisiert – es schafft sogar den Trick, mich als Frau erklingen zu lassen.
Dieses Versprechen wird eingelöst: Die Standardstimmen klingen so angenehm, dass ich ihnen auch für längere Zeit zuhören mag – auch wenn ein von einem Menschen eingelesene Darbietung abwechslungsreicher ist, mehr Nuancen umfasst und insbesondere zum Inhalt passende Gefühlsregungen ausdrückt.
Zur Auswahl steht ein gutes Dutzend an virtuellen Sprechern, die nicht nur englisch, sondern auch Deutsch beherrschen. Die haben gewisse Prädispositionen, die in der App über Stichworte wie News, Scoial Media, Conversational, Narration und Characters ausgedrückt werden.
Jede Stimme kann vorgehört werden; allerdings klingen sie in Deutsch so anders und nicht durchs Band überzeugend, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als sie durchzuprobieren. Nach einigem Abwägen gefallen Sarah (News, Young American Female) und George (Narration, Middle Aged British Male) am besten; auch Charlie (Conversational, Middle Aged Australian Male) ist okay.
Fazit: Die Vorlesefunktion gefällt. Mit mehreren Abstrichen:
Sprachverwirrung: Die KI-Stimmen verlieren gelegentlich bei der Aussprache die Orientierung. Bei einem Text in Deutsch, der viele englischsprachige Einsprengsel enthält, passiert es, dass plötzlich der ganze Text mit schwerem englischem Akzent vorgelesen und die Aussprache erst beim nächsten oder übernächsten Absatz korrigiert wird.
Inhalte hinzufügen: Den Lesestoff in die App zu bekommen, ist zu umständlich. Zwar gibt es mehrere Möglichkeiten, das zu tun: Texte können aus der Zwischenablage eingefügt, als Datei hochgeladen, per Kamera eingescannt oder per URL abgerufen werden. Justament für Artikel aus dem Web ist die Methode URL abrufen aber umständlich; da müssen wir die Adresse per Zwischenablage übergeben. Etwas schneller geht es über das Sharesheet des iPhones. Am liebsten wäre mir eine Anbindung an Pocket, bei der ich direkt auf meine gesammelten Artikel zugreifen könnte.
Die Organisation: Eine Lese-App sollte eine einfach zu verwaltende Wiedergabeliste haben, in die wir die anstehenden Texte ablegen und wunschgemäss sortieren. Die gibt es in Elevenlabs Reader bislang nicht.
Da die App brandneu ist, besteht Hoffnung, dass diese Mankos zügig ausgeräumt wird. Ich nehme an, dass sie demnächst auch ein Abomodell übergestülpt bekommt. Davon ist bislang nichts zu sehen, im Moment können wir uns die Texte gratis vorlesen lassen. Und bevor ihr fragt: Nein, es ist leider nicht möglich, die Lesung als Audiodatei für Offline-Situationen herunterzuladen.
Beitragsbild: Die Vorlesefunktion ist etwas, das sogar wir Print-Fans vermissen (Andrea Piacquadio, Pexels-Lizenz).