Warum die Game-Industrie Hollywood nicht unterbuttern kann

Die Film­in­dus­trie würde bald nur noch mit staat­li­chen Sub­ven­tio­nen über­le­ben, weil die in­ter­ak­tive Unter­hal­tung so viel at­trak­ti­ver sei: Warum diese Be­haup­tung schon im­mer Un­fug war.

Heute ergibt sich für mich die schöne Gelegenheit, mir selbst ausgiebig auf die Schulter zu klopfen. In meiner Sommerserie geht es mir darum abzuklären, wie gut ausgesuchte Artikel den Test der Zeit bestanden haben. Jetzt gilt es zu vermelden, dass eine vor 23 Jahren abgegebene Prognose voll ins Schwarze getroffen hat.

Es ging im Artikel vom Montag, 25. Juni 2001 um die Rivalität zwischen Film- und Spielindustrie:

Überschätzte Lara Croft

Damals hatte der Film Lara Croft: Tomb Raider Premiere. Das war zwar längst nicht der erste Film, der auf einem Computergame basierte – diese Ehre gebührt gemäss dieser Wikipedia-Liste dem Streifen Super Mario Bros. von 1993, der ein riesenhafter Flop war.

Doomsday für Hollywood wegen Lara Croft

Lara Croft bewies an der Kinokasse mehr Sex-Appeal als Mario und Luigi. Sie war auch Leuten ein Begriff, die selbst keine Videospieler waren. Ausserdem verkörperte Angelina Jolie im Film die Fleischwerdung einer Pixelfantasie auf so ikonische Weise, dass man sich schon fragen konnte, ob Hollywood sich demnächst würde unterbuttern lassen müssen. Im Artikel zitiere ich eine Prognose, zu der ich leider heute keine Quelle mehr finde. Aber die Behauptung lautete, Hollywood würde bald nur noch mit staatlichen Subventionen überleben, weil die interaktiven Games einfach attraktiver seien als linear ablaufende Filme. Die Aufmerksamkeit würde sich daher dauerhaft zuungunsten der Studios verschieben.

Ein Indiz waren damals die Umsatzzahlen. Ich schreibe im Artikel, im Jahr 2000 habe die Gameindustrie den Film bei den Einnahmen überholt. Auch diese Angabe wollte ich überprüfen, mit einem erstaunlichen Resultat. Zu der Frage, wann diese Entthronung stattgefunden haben könnte, werden diverse Jahreszahlen herumgeboten. ChatGPT sagt, das sei 2005 passiert. Wikipedia setzt dieses Ereignis viel früher an:

Im Jahr 1982 erreichte die Arcade-Videospielindustrie ihren Höhepunkt mit einem Umsatz von acht Milliarden Dollar und übertraf damit die jährlichen Bruttoeinnahmen von Popmusik (vier Milliarden Dollar) und Hollywood-Filmen (drei Milliarden Dollar) zusammen.

Rechnen, wie es einem gefällt

Die Diskrepanz rührt daher, dass sich sehr unterschiedliche Zahlen vergleichen lassen. Auf Linkedin habe ich eine Analyse gefunden, die besagt, der Film sei bis heute deutlich umsatzstärker als das Game – wenn man nicht bloss die Einnahmen an der Kinokasse berücksichtigt:

Für einen fairen Vergleich müssen Hollywood und die gesamte Filmindustrie jedoch alle Einnahmeströme einbeziehen, die das gesamte Vertriebsfenster abdecken, vom Kino bis zum Free-TV und Streaming.

Unter dieser Voraussetzung fällt der Vergleich wie folgt aus:

Nach dem 2021 Movie Industry report belief sich das Volumen der weltweiten Filmindustrie im Jahr 2021 auf 328 Milliarden Dollar, einschliesslich Kinofilmen, digitalen Filmen und Pay-TV, aber ohne Free-TV-Rechte. (…) Nach einer vorsichtigen Schätzung erwirtschaftet die gesamte Branche Gesamteinnahmen von mehr als 500 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: Newzoo schätzt den Markt für Videospiele im Jahr 2021 auf 180 Milliarden US-Dollar weltweit.

Mit anderen Worten: Wir könnten dem Versuch der Gameindustrie aufgesessen sein, sich wichtig zu machen.

Unter dem Strich war die wirtschaftliche Betrachtung damals zu oberflächlich und die Schlussfolgerung zu sehr von Sensationsgier getrieben. Die Journalistinnen und Journalisten, die Hollywood damals schon aufgaben, haben das Rieplsche Gesetz übersehen: Es besagt, dass kein Medium ein anderes vollständig verdrängt: das Radio nicht die Zeitung, das Fernsehen nicht das Radio, das Streaming nicht das Kino und das Game nicht das Fernsehen. Und wie ich im Artikel erläutere, ist der Anspruch bei einem interaktiven Medientitel ein anderer als bei einem, der keine aktive Beteiligung und Engagement des Publikums erfordert. Wer sich passiv entspannen will, ist froh, wenn Lara Croft den Job ganz allein erledigt.

Es bleibt, wie es war

Darum halte ich die Prognose an dieser Stelle aufrecht: Es bleibt beim Nebeneinander, bei dem Film und Fernsehen ihre Rolle verteidigen – gleichgültig, wie im Detail sich das Verhältnis beim Umsatz verändert.

Abgesehen davon erlaubt das Beispiel Lara Croft auch die gegenteilige Interpretation. In dieser Sichtweise werden Film und Game nicht als Antipoden wahrgenommen, sondern als Teil einer ganzen Unterhaltungsindustrie, bei der die Grenzen verschwimmen. Bei den transmedialen Inhalten greifen Filme und Games, aber auch Bücher, Podcasts oder Soundtrack ineinander. Eine traumhafte Ausgangslage fürs Marketing und für den Umsatz: Es würde der kapitalistischen Logik widersprechen, nicht alle diese Kanäle zu bewirtschaften.

Beitragsbild: Wo die Butter hingehört – aufs Popcorn (John Booth, Pexels-Lizenz).

One thought on “Warum die Game-Industrie Hollywood nicht unterbuttern kann

  1. Ich habe das Gefühl, dass Filme und Serien immer weniger für sich rentieren müssen, sondern dazu dienen, das Interesse an anderen Produkten zu wecken.

    Ein krasses Beispiel dafür ist Paw Patrol: Die Serie ist kostenlos auf YouTube anzuschauen und wenn ich die Kinobesucher so ansehe, war das Kinoticket noch die kleinste Ausgabe. Von Kopf bis Fuss mit Paw Patrol eingekleidet. Dann noch das Smartphone-Spiel mit endlosen In-App-Käufen, die Paw-Patrol-Einsatzbasis, der Paw-Patrol-Schulthek… Es gibt mittlerweile wahrscheinlich schon Paw-Patrol-Toilettenpapier.

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