«Die Welt schuldet ihm eine Entschuldigung», hat der Account «Conscious Philosopher» (bewusster Philosoph) am 14. August auf Twitter geschrieben. Zum Bild eines Mannes, den wir vielleicht nicht sofort, aber bei näherem Hinschauen unmissverständlich als Adolf Hitler erkennen.
Ich habe diesen Tweet, wie sicherlich viele andere auch, sofort als Hassbotschaft gemeldet. Tage später und jetzt, bei Veröffentlichung dieses Blogposts, ist er noch immer online. (Update: Inzwischen ist der Account weg¹.) Und nicht einmal eine der Community Notes zum Tweet wurden von Twitter freigeschaltet.
Eine der Anmerkungen lautet «No, we fucking don’t», mit einem Link zum Wikipedia-Artikel über Adolf Hitler. Ich finde diese Formulierung zwar der Sache angemessen, aber da die Anmerkungen so sachlich wie möglich formuliert sein sollten, würde ich der folgenden Notiz den Vorzug geben:
Adolf Hitler was responsible for the genocide of millions during the Holocaust. No apology is owed; instead, we must remember the atrocities committed and ensure they are never repeated.
Wir können hier festhalten, dass es sich um eine Hassbotschaft handelt, die nach den Twitter-Richtlinien untersagt ist: Sie verherrlicht einen Mann, der Millionen Menschen in den Tod geschickt hat. Sie ist nur revisionistisch zu verstehen. Die Welt als Ganzes soll Hitler und die untrennbar mit dieser Person verbundene Ideologie der Nationalsozialisten rehabilitieren. Es geht noch nicht einmal darum, die Vernichtungslager in Abrede zu stellen, wie es die Holocaust-Leugner tun. Ich verstehe das im Gegenteil so, dass die nach der Vorstellung von «Conscious Philosopher» wieder in Betrieb genommen werden sollen.
Kommen die Moderatoren nicht hinterher?
Nun ist es nichts Neues, wie schlecht die Moderation bei Twitter ist. Das Entfernen von Nazi-Propaganda dauert mitunter Tage. Bei «normalem» Rassismus kann das auch einmal zwei Monate in Anspruch nehmen. Elon Musk hat Mitarbeiter in diesem Bereich in grosser Zahl entlassen. Man könnte entschuldigend argumentieren, dass die verbliebenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr hinterherkommen.
Doch im Fall dieses Tweets liegt die Sache anders: Während ich das schreibe, wurde diese Hassbotschaft bereits 16 Millionen Mal angezeigt. Allein diese enorme Reichweite müsste die Meldungen zu einer Top-Priorität machen. Da es keinen Interpretationsspielraum gibt, sollte sie innert Minuten verschwunden sein, zusammen mit dem Account des «Conscious Philosopher».
Dass das nicht passiert, lässt nur eine Interpretation zu: Elon Musk will ein Exempel statuieren. Dieser Tweet soll der Welt zeigen, dass die Leute, die den Nationalsozialismus aufleben lassen wollen, das mit Unterstützung seiner Plattform tun dürfen.
Man könnte einwenden, dass sich Elon Musk als «Absolutist der Meinungsfreiheit» bezeichnet. Das impliziert, dass er auch Meinungen zulassen will, die er selbst nicht teilt. Es vertritt eine Art «Wehret den Anfängen»-Logik: Wenn heute eine extreme Ansicht unterdrückt wird, dann führt das nach seiner Meinung unweigerlich dazu, dass morgen auch ziemlich harmlose Dinge nicht mehr gesagt werden können.
Diese Logik greift nicht
Ich verspüre hier keine grosse Lust, das auszudiskutieren. In aller Kürze: Diese Logik verwischt die Unterschiede zwischen tatsächlich extremen Ansichten und solchen, die irgendjemandem – auch einer Person mit Macht und Einfluss – nicht gefallen. Sie suggeriert, man könne es sich einfach machen. Aber die Grenzen und Präzedenzfälle müssen ausgehandelt werden; daran führt kein Weg vorbei. Und es zeigt sich eben, dass – selbst wenn wir Musk die allerreinsten Absichten zubilligen würden – er zum Helfershelfer der Extremisten wird.
Die Situation präsentiert sich glasklar, wenn wir es andersherum betrachten und uns fragen, ob dieser Tweet noch irgendetwas anderes ist als eine Hassbotschaft. Simpel gefragt: Können Nicht-Nazis etwas aus ihm lernen? So, wie zum Beispiel Nicht-RAF-Mitglieder wegen der RAF etwas über die Geschichte der Bundesrepublik lernen konnten?
Die Antwort ist ein schlichtes Nein. Das sollte auch dem letzten Musk-Apologeten als Hinweis dienen. Und ja: Musk schuldet der Welt eine Entschuldigung.
Fussnoten
1) Am Montag, 19.8.2024, bei Veröffentlichung des Blogposts um 6 Uhr, war der Tweet noch online. Als ich um 9.22 noch einmal nachgeschaut habe, war er nun gelöscht und der Account «Conscious Philosopher» gesperrt. Nichtsdestotrotz war die Hassbotschaft ganze fünf Tage sichtbar und hatte nach meinem letzten Stand 16,1 Millionen Views. Es bleibt abzuklären, ob «Conscious Philosopher» dauerhaft gesperrt bleibt oder – wie das bei anderen Nazi-Sympathisanten der Fall war, nach einer gewissen Zeit wieder freigeschaltet wird. ↩
Beitragsbild: Mehr gibt es, eigentlich, nicht zu sagen (Azis Js, Pexels-Lizenz).
Der Einsatz für eine gerechtere und weniger verrückte Welt ist lobenswert und Prima, ich als nicht Journalist bin nicht mehr auf Twitter, aber muss zugeben ich habe dafür keinen Ersatz gefunden. Danke für alle Deine lesenswerte Beiträge, die dank good old RSS auch immer wieder den Weg zu mir finden.