Keiner in Irland hat noch nie einen Podcast gehört

Früher war der Pod­caster ein ein­samer Nerd vor einem Mi­kro­fon. Heute ist er ein Held in einer Net­flix-Serie. Kann das über­zeu­gen? Die Serie «Bodkin» von Mi­chel­le und Ba­rack Oba­ma in der Kri­tik.

Es ist zwanzig Jahre her, seit mit dem Podcast eine neue Medienform auf dem Plan erschienen ist. Und jetzt, nach zwei Jahrzehnten, hat sie den endgültigen Durchbruch geschafft.

Für diese Behauptung habe ich einen starken Beleg – und zwei Beispiele: Der Podcaster hat kulturelle Bedeutung erlangt. Er – meistens sind es Männer – ist zu einer eigenständigen Figur geworden, die in Serien und Romanen auftritt. In diesem fiktionalen Raum ist sie der kleine Bruder des Privatdetektivs.

Wie ein Ermittler bewegt er sich im Bereich der Kriminalität. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass der stereotypische Podcaster seine Fälle nicht aufklären will oder muss. Ihm reicht es, eine spannende Geschichte zu erzählen. Wenn am Ende alles offen bleibt, dann ist das halt so.

In der Tat sind wir Hörerinnen und Hörer von True-Crime-Podcasts gewohnt, dass das Rätsel am Ende ungelöst bleibt. Erinnern wir uns an den Podcast, der das Genre in seiner modernen Form geprägt hat: Schon bei «Serial», erschienen 2015, war der Weg das Ziel.

Moment, werden manche sich fragen: Wo bleibt der Journalismus? Die allermeisten der real existierenden Pocasterinnen und Podcaster sehen sich als Medienmenschen, die ihre gewohnte Arbeit verrichten – mit dem marginalen Unterschied, dass sie ihre Geschichte am Ende nicht in eine Tastatur tippen, sondern in ein Mikrofon erzählen.

Der Journalismus würde bloss stören

Der Journalismus wird der künstlerischen Freiheit geopfert. Für einen Film oder Roman gibt es mehr her, wenn der Podcaster kein Angestellter eines Medienhauses ist, sondern ein Internet-Unternehmer mit Starallüren – also jemand, der sich nicht hinter einer Autorenzeile verstecken will, sondern sich von seinem Hit-Podcast einen gewissen Promi-Status für sich selbst verspricht.

Beispiel eins: Ein solcher stereotypischer Podcaster ist der Held der Netflix-Serie Bodkin. Er heisst Gilbert Power (Will Forte) und macht gegenüber den Frauen an seiner Seite eine schlechte Figur.

Es ist aussergewöhnlich, dass Dove ihre Sonnenbrille ablegt – sogar im Pub.

Da ist Dove Maloney (Siobhán Cullen). Sie recherchiert für «The Guardian», und tut das mit solcher Inbrunst, dass der Chefredakteur sich gezwungen sah, sie aus der Schusslinie der Polizei zu nehmen, nachdem sie über eine Datenpanne im NHS berichtet und einen Whistleblower erhängt aufgefunden hatte. Da ist aber auch Emmy Sizergh (Robyn Cara), für die das Abenteuer eine Art Erweckungserlebnis ist, und die vom naiven Mäuschen zu einer Frau mutiert, die selbst eine steile Karriere als Journalistin hinlegen will.

Wo sind Malachy, Fiona und Edward geblieben?

Gilbert hingegen ist daran gelegen, die Leute nicht zu verschrecken, die ihm knackige Zitate für seinen Podcast ins Mikrofon sprechen sollten. Abgesehen davon sieht er den ganzen Fall nur als Umrahmung für all die Lebensweisheiten, mit denen er sein Publikum zu beglücken gedenkt.

Das Trio geht in Bodkin, einer Küstenstadt in West Cork, einem 25 Jahre alten Fall nach. Während des traditionellen Samhain-Festes verschwanden Malachy O’Connor, Fiona Doyle und Junge namens Edward P., von dem niemand etwas zu wissen scheint. Natürlich steckt viel mehr dahinter, wie schon der Besuch bei Sergeant Power (Denis Conway) vermuten lässt – ⚠️, Spoiler ab hier! Da gibt es auch diesen Seamus Gallagher (David Wilmot), den ein Foto mit Malachy in Verbindung bringt und der sich bald als gefährlicher Mann und Schmuggler von Aalen entpuppt.

Teddy (Ger Kelly) sagt nicht viel. Aber wenn er singt, dann ist Gänsehaut unvermeidlich.

Wie nicht anders zu erwarten, kommt einiges in Bewegung: Der junge Mann, den sich das Team als Fahrer engagiert hat, ist enger in die Geschichte verwickelt, als er selbst ahnt. Sean O’Shea (Chris Walley) glaubt, er hätte eine rumänische Mutter, ist aber in Wahrheit der Sohn von Seamus und Fiona. Der vermisste Junge heisst mit vollem Namen Edward Power und wird heute Teddy genannt – er hat einen Gehirnschaden erlitten, aber singen kann er, dass der hinterletzte Säufer im Pub in Ehrfurcht erstarrt. Und es gibt die kriminelle Familie der McArdles, die hervorragende Sündenböcke abgeben würden, zumal Mutter Brónagh McArdle (Pauline McLynn) keine Gefangenen macht. Doch …

Ab dieser Stelle soll nichts mehr gespoilert werden, ausser vielleicht, dass auch Dove Maloney mit ihrer Vergangenheit konfrontiert wird und am Ende im Kloster abtaucht, um ihre seelischen Wunden, die ihre lieblose Mutter ihr hinterlassen hat, zu heilen.

Die Penetration in Irland ist unglaublich!

Zurück zum Podcaster als Serienheld: Was Gilbert Power aus all dem in Bodkin gesammelten Material macht, erfahren wir Serien-Zuschauerinnen und -Zuschauer nicht. Bemerkenswert ist aber, dass selbst in der irischen Provinz keiner jemals fragt, was eigentlich ein Podcast sei. Jeder kennt das Wort und obwohl sich die meisten skeptisch geben («People listen to this?»), hören sie selbst gerne welche. Ich bin nicht sicher, ob wir im Zürcher Weinland auf die gleiche Quote kämen. Ach ja, unbedingt die Original-Tonspur mit Untertiteln einschalten und einen grossen Bogen um die Synchronfassung machen!

Sie links macht eine Wandlung durch. Er rechts tritt an Ort.

Als Serie ist «Bodkin» unterhaltsam; eine interessante Mischung aus humorvollen, ironischen und ernsthaften Tönen, mit einigen mystischen Anklängen – wenngleich man argumentieren kann, dass die Produktion an Prägnanz gewonnen hätte, wenn sie sich für eine dieser Tonalitäten entschieden hätte.

Ausgerechnet der Podcaster bleibt blass

Die beiden Frauen-Rollen, Dove Maloney und Emmy Sizergh, gefallen mir gut, doch ausgerechnet der Podcaster Gilbert Power ist mir zu oberflächlich geraten. Das Gockel-hafte hat er zwar gut drauf, ansonsten aber bleibt er blass. Ich nehme ihm den Mut nicht ab, zu Seamus ins Auto zu steigen. Und überhaupt: Er hat mit seinem ersten Podcast einen Hit gelandet, indem er die Krebserkrankung seiner Frau medial ausgeschlachtet hat. Die Unverfrorenheit, die es dafür bräuchte, vermittelt diese Figur nicht.

Die Handlung ist stellenweise verzwickt und zwischendurch mit zu wenig Sogwirkung, sodass ich mich nicht wundern würde, wenn bei Folge drei oder vier von sieben manche aus dem Publikum aufgegeben haben. Und nicht jeder der Handlungsstränge erscheint als zwingend, die Eheprobleme Gilberts oder auch Doves Kloster-Verwicklungen wirken so, als wären sie bloss ins Drehbuch geschrieben worden, um die Involviertheit der Charaktere plausibel zu machen. Doch wenn die Schauspieler ihren Job gut erledigen, dann dürfen derlei Vorgeschichten auch im Dunklen bleiben.

Immer auf die Lüge achten

Bemerkenswert schliesslich die tollen, in jeder Folge neuen Vorspänne und die Tatsache, dass «Bodkin» von zwei bekannten Namen produziert worden ist: nämlich von Higher Ground Productions, der Produktionsfirma von Michelle und Barack Obama.

Ich bin euch noch das Beispiel zwei schuldig: Das ist «Listen for the Lie», eine frische und unorthodox erzählte Kriminalgeschichte von Amy Tintera, in der die Ich-Erzählerin durch einen wichtigtuerischen Podcaster in Verruf gebracht wird. Die Details erfahrt ihr in der ausführlichen Besprechung Eine fette Lüge, die in den Ohren stecken bleibt.

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