Neulich habe ich festgestellt, dass ich eine Gemeinsamkeit mit Wil Wheaton habe. Nein, ich habe nie einen naseweisen Besserwisser in einer weltweit erfolgreichen Fernsehserie gespielt und ich gehöre leider nicht zum Inventar des Star Trek-Universums. Unser Berührungspunkt ist vergleichsweise banaler Natur. Ich habe von ihm durch meine Lektüre von Still Just a Geek erfahren: Das ist ein Buch mit autobiografischen Erzählungen aus Wheatons Leben, über das im Beitrag Uns Geeks wird hier eine Menge abverlangt separat berichtet wird.
In diesem Buch erzählt Wheaton von seiner ersten Website, die er bei Geocities hatte. Genau wie ich! Wenn uns das nicht zu Brüdern im Geiste macht.
An dieser Stelle ist für die jungen Menschen eine Erklärung nötig: Geocities war ein Webhosting-Dienst, bei dem man sich eine persönliche Homepage einrichten konnte. Wie Wikipedia verrät, ging er 1994 ans Netz, erst unter dem Namen «Beverly Hills Internet», später als Geocities. 1999 wurde der Dienst von Yahoo gekauft und 2009 dichtgemacht. Ungefähr 38 Millionen Websites waren zum Ende dort untergebracht.
Und wie schreibe ich jetzt selbst etwas in dieses Web?
Die Erwähnung von Geocities hat warme Erinnerungen geweckt. Ich hatte Mitte der 1990er-Jahre meinen ersten Kontakt mit dem Internet. Ich habe an der Uni Zürich meine erste Mailadresse gehabt (maschues@studi.unizh.ch) und dort viel Zeit verbracht herauszufinden, was dieses Internet Leuten wie mir zu bieten hat. Die Idee einer eigenen Website hat nicht lange auf sich warten lassen. Für die Umsetzung war Geocities eine naheliegende, weil kostenlose Wahl.
Die Pflege einer Geocities-Website war eine mühsame Sache: Wheaton erzählt zwar, er habe ein Ding namens Pagebuilder benutzt. Aber ich erinnere mich, dass ich meine HTML-Dateien von Hand in einem Texteditor gebastelt habe – und zwar, indem ich den Code von Grund auf selbst geschrieben habe. Webeditoren waren damals eine weitgehend unbekannte Software-Kategorie – und dass man seine Seiten in Wysiwyg und per Drag&Drop zusammenklicken könnte, unvorstellbar.
Und ja, das klingt jetzt nach einer «Grossvater erzählt vom Krieg»-Geschichte. Aber es geht nicht anders, wenn wir uns vor Augen führen, dass es damals keine sozialen Medien gab, mit denen wir schnell irgendeinen Quark ins Netz hätten schreiben können. Denn das Veröffentlichen einer HTML-Seite war noch sogar umständlicher als die Herstellung derselben. Bei Geocities stand kein FTP-Zugang zur Verfügung, über den unsereins die Dateien hätte auf den Server verfrachten können. Falls ich mich richtig erinnere, musste man die Dateien per E-Mail an eine bestimmte Adresse senden, woraufhin sie mit einer beträchtlichen Verzögerung irgendwann in der eigenen Homepage aufgetaucht sind.
Was könnte die Welt denn interessieren?
Auf diese Weise lag es keinesfalls nahe, regelmässige Updates zu veröffentlichen – sprich, so etwas wie «Blogging» zu betreiben. Wil Wheaton behauptet in seinem Buch zwar, er hätte genau das getan, als es noch nicht einmal einen Begriff dafür gegeben hat. Aber ich bin nicht auf die Idee gekommen. Meine Homepage war … naja, darauf komme ich noch.
Jedenfalls haben mich Wheatons Erzählungen von Geocities zur Frage gebracht, in welcher «Stadt» meine Homepage untergebracht war. Denn Geocities bestand tatsächlich aus einzelnen «Städten», die eine thematische Zuordnung der Homepages ermöglichen sollten. In «SiliconValley» fand man Inhalte mit Computerbezug und bei «Hollywood» drehte sich alles um Hollywood. Wie ich hier gesehen habe, gab es auch eine «Area51» für Sciencefiction und Fantasy, «Athens» für Philosophie oder «Vienna» für die Oper und klassische Musik, um nur einige zu nennen.
The collections of Geocities micro banners in the 1990s. For more memories of Geocities, you can visit a restored visual gallery of the archived Geocities sites, sorted by neighborhood.https://t.co/HmB0sYlhad#InternetHistory #Geocities pic.twitter.com/cwf6TGmmw3
— Web Design Museum (@WebDesignMuseum) May 29, 2021
Wie bei einer richtigen Stadt war die Zahl der belegbaren Plätzchen beschränkt: Wie hier beschrieben ist, umfasste die URL erst den Städtenamen und dann eine vierstellige Nummer von 1000 bis 9999 und dementsprechend 8999 Homepages umfassen konnte. Ich erinnere mich, dass ich lange suchen musste, um einen freien Spot zu finden.
In welcher Stadt war ich damals zu Hause?
Aber wie lautete sie nun, meine damalige Adresse? Ich gebe gerne zu, dass diese Frage leicht obsessive Züge angenommen und zu einer mehrstündigen Recherche geführt hat. Als Erstes habe ich mein Mailprogramm durchforstet, das bis ins Jahr 1997 zurückreicht. Die Mails von meinem Uni-Account sind nur lückenhaft in mein privates Archiv eingegangen und alles, was dort nicht gelandet ist, wurde am 14. Dezember 1998 unwiderruflich gelöscht. Warum ich das Datum so genau weiss? Weil ich in meinem Archiv ein Mail gefunden habe, das über «das Ende von Bonsai» gefunden habe. Bonsai war das System für den Uni-Zugang, das 1999 durch das Uniaccess-Projekt abgelöst worden ist.
Doch obwohl ich einige Mails aus jener Zeit gefunden habe, hat das Buddeln im Archiv nicht zum Ziel geführt. Ich war damals offensichtlich nicht stolz genug auf meine Homepage, dass ich sie in meine Mailsignatur aufgenommen hätte. Das kann ich meinem damaligen Ich nicht verübeln – aber wie angetönt: darauf komme ich noch.
Der 10. Juli 1996
Ich dehnte meine Suche auf die historische Ordnerstruktur meiner Festplatte aus und wurde tatsächlich fündig: In einer Zip-Datei namens «Alte Site Backups» gibt es Ordner, die in jene Zeit zurückreichen. Der erste von denen trägt als Datum den 10. Juli 1996. Ob das das Geburtsdatum meiner allerersten Homepage ist, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Aber viel früher dürfte sie nicht online gegangen sein, zumal Geocities damals erst gut ein Jahr alt war und ich nicht von Anfang an dabei gewesen bin.
Leider enthalten diese Archive nur die nackten HTML-Dateien und Bilder, keinerlei administrative Informationen. Aber zum Glück habe ich damals die Sache mit den relativen Hyperlinks nicht komplett durchdrungen: Ich habe nämlich auf den Unterseiten «Zurück»-Links auf die Hauptseite gesetzt, die die ganze Adresse enthalten haben. Und darum darf ich jetzt verkünden, Ladies and Gentlemen, dass die Adresse meiner ersten Homepage http://www.geocities.com/TimesSquare/4863/index.html gelautet hat!
Jawoll, am Time square in New York City war ich zu Hause.
Was nun die Website angeht … nun ja. Es ist offensichtlich, dass ich keinen Plan hatte, was ich mit diesem schönen, neuen Medium anfangen sollte. Wie ausgeführt, war im Juni 1996 das Bloggen noch überhaupt kein Thema. So kompliziert wie das Veröffentlichen neuer Beiträge war, hat es sich nicht aufgedrängt, über aktuelle Belange zu schreiben. Stattdessen habe ich eine (absolut belanglose) Linksammlung angeboten und ein paar meiner Vorlieben und Abneigungen aufgezählt. Leider hat nichts davon nur die geringste Bedeutung – noch nicht einmal in einem historisch-nostalgischen Kontext.
Immerhin; es gab zwei Dinge, die diese Homepage aus heutiger nicht komplett unbedeutend erscheinen lassen:
Ein Spiel, ein Bildschirmschoner mit sexistischen Witzen und ein nicht mehr näher identifizierbares Programm
Erstens hatte ein paar Programme geschrieben, die ich zum Download angeboten habe. Clickomania, das Spiel, war noch nicht dabei. Aber Tic Tac Toe, eine interaktive Variante des bekannten Spiels Tic Tac Toe, das auf den Spielsteinen Porträts der drei Frauen der deutschen Girlgroup Tic Tac Toe zeigt und auch kurze Schnipsel aus einigen Songs enthält.
Dieses Spiel hat es übrigens bis in die Jetztzeit und auf meine heutige Website geschafft. Hier ist es zu finden. Windows 11 führt es allerdings nicht aus, mit dem Verweis, das Spiel enthalte «einen Virus». Das ist definitiv gelogen, weil ich die Software selbst geschrieben, eigenhändig kompiliert und nicht zu destruktiven Zwecken konzipiert habe. Wer es spielen möchte, könnte das über eine virtuelle Maschine mit einer älteren Windows-Version tun – aber ich empfehle nicht, einen grossen Aufwand dafür zu treiben.
Nebst Tic Tac Toe gibt es einen Bildschirmschoner namens Talking Endlessly, der standardmässig – und das ist mir 27 Jahre später reichlich peinlich – Flachwitze bzw. sexistische Kackscheisse zum Besten gibt. Wird die Sache besser, wenn ich erkläre, dass diese Texte nur zu Demonstrationszwecken gedacht waren? Der eigentliche Sinn und Zweck war, dass man die beiden Dateien Talking.txt (für englischsprachige Windows-Versionen) bzw. Deutsch.txt (für deutschsprachige Windows-Versionen) editieren bzw. ersetzen sollte, um Sinnsprüche nach eigenem Gusto gezeigt zu bekommen.
Nein, viel besser wird es dadurch auch nicht. Ohnehin: Auch diese Jugendsünde wird euch hier nicht vorenthalten. Und übrigens: Die läuft auch unter Windows 11 noch tadellos.
Der dritte Download war ein Programm namens SysClear. Bei dem weiss ich leider wirklich nicht mehr, wozu es gut gewesen sein soll.
Die – für immer aus dem Netz geschiedenen – Kurzgeschichten
Zweitens gab es etwas auf dieser Homepage, was mich dazu bringt, meine Freude darüber auszudrücken, dass Geocities 2009 aus dem Netz verschwunden ist. Und ja, es gibt zwar Versuche, diese versunkenen Städte des Ur-Internets wiederauferstehen zu lassen. Einiges davon findet sich auf Archive.org und viele der alten Inhalte finden sich auch auf restorativland.org.
Zu meinem Glück gilt das jedoch nicht für meine erste Homepage. Ich nehme an, dass das daran lag, dass ich sie frühzeitig gelöscht habe. Das muss 1997 gewesen sein, als ich sie zu publisher.ch umgezogen habe. Und ab 1999 war meine Homepage dann unter ihrer eigenen Adresse clickomania.ch im Netz zu finden.
Also, dieses zweite Ding, das es auf meiner ersten Homepage gab, waren Kurzgeschichten. Und die sind mit dem Begriff «Jugendsünde» leider nur unzureichend beschrieben. Es reicht, wenn ich an dieser Stelle sage, dass ich glücklich darüber bin, dass die die Tiefen meiner Festplatte nie wieder verlassen werden …
Beitragsbild: Hier habe ich ab 1996 gewohnt – wenigstens virtuell (Andrae Ricketts, Unsplash-Lizenz).