Eine Lektion in Ambiguitätstoleranz

«The Witch Trials of J.K. Rowling» ist ein sieben­tei­liger Podcast, in dem die «Harry Potter»-Autorin erläutert, wie sie in «Terf-Wars» hinein­ge­raten ist und der uns besser verste­hen lässt, woher diese un­versöhn­liche Stimmung kommt.

Ein Fan ist einer, der von einer Sache in «rasende Begeisterung versetzt» wird, schreibt Wikipedia. Das bin ich nicht – es gibt nichts und niemanden, für ich vorbehaltlose Leidenschaft empfinden würde. Denn als Journi bin ich es mir gewohnt, Haare in der Suppe zu suchen und zu finden.

Was es schon gibt, sind Menschen, die mir einen riesigen Respekt abnötigen. Zu denen zählt Joanne Rowling, die, wie ich in einem Podcast erfahren habe, gar keinen zweiten Vornamen hat. Das K sei erfunden, heisst es dort. Der Grund dafür ist, dass der Verlag beim Erscheinen von «Harry Potter» wollte, dass mit dem Kürzel J. K. verschleiert wird, dass das Buch von einer Autorin stammt – so würden auch die Jungs sich eher angesprochen fühlen.

Rowling beeindruckt mich aus mehreren Gründen: Ich mag sie als Autorin sehr. Ihr Erfolg ist ihr nicht in den Schoss gefallen; sie hat ihn sich mit Harry Potter hart erarbeitet und auch wenn man über den ganzen Merch geteilter Ansicht sein kann, würde ich ihr keinen Strick daraus drehen, dass sie auch damit Geld verdient. Wie sie sich als Robert Galbraith neu erfunden hat, nötigt mir Bewunderung ab. Und überhaupt erlebe ich sie als authentisch und unbestechlich.

Biografische Einsprengsel

Den Flammen zum Trotz ein nüchterner, empathischer Podcast.

Womit wir beim Thema wären, nämlich beim Podcast The Witch Trials of J.K. Rowling (RSS, iTunes, Spotify), in dem es um die Kontroverse über ihre Haltung zur Trans-Debatte geht und der namentlich in der ersten Folge («Plotted in darkness») biografische Züge hat. In der erzählt Joanne Rowling etwas zu der Zeit, als «Harry Potter» entstanden ist und sie mit ihrer neugeborenen Tochter vor ihrem gewalttätigen Ehemann fliehen musste.

Rowling kommt in diesem Podcast ausführlich zu Wort – und damit ist klar, dass er auch dazu da ist, ihre Position darzulegen. Natürlich gewährt die Autorin nur jemandem ein so ausführliches Interview, von dem sie sich erhofft, in ihrem Sinn dargestellt zu werden.

Das tut die Podcast-Gastgeberin Megan Phelps-Roper denn auch – die Sympathie ist unüberhörbar. Doch den Eindruck, es könnte eine PR-Produktion sein, möchte ich sogleich zerstreuen: Der Podcast ist journalistisch einwandfrei und Phelps-Roper spricht vor allem in der letzten Folge auch viele der Kritikpunkte an, die in der Öffentlichkeit zu hören und zu lesen waren. Und ihre zugängliche Art erlaubt Einsichten, die sich bei einer härteren, kritischeren Grundhaltung kaum ergeben hätten.

Sich dem eigenen Unwohlsein stellen

Überhaupt: Rowling muss niemandem mehr beweisen, dass ihre Stimme es wert ist, gehört zu werden. Ich hatte meine liebe Mühe mit ihrem Tweet, in dem sie sich über den Begriff «Menschen, die menstruieren» lustig gemacht hat. Ich war und bin überzeugt, dass die Rechte der Trans-Menschen gestärkt werden müssen – und dass unsere Grundhaltung eine wohlwollende sein sollte.

Aber ich habe meine eigenen Vorbehalte auch nie ganz abschütteln können, dass wir die biologischen Gegebenheiten nicht vollkommen ignorieren können. Es ist eine Tatsache, dass jeder von uns einen Körper hat, der uns Möglichkeiten und Grenzen gibt. Und es ist meines Erachtens keine Option, das Unwohlsein wegdiskutieren zu wollen, das Frauen angesichts der Präsenz von Trans-Frauen in Umgebungen empfinden, wo sie besonders verletzlich sind. Wenn ich versuche, mich in eine solche Situation hineinzuversetzen, dann bleibt mir nur die Feststellung, dass es mir genauso ginge.

Die Widersprüche nicht auflösen

In diesem Dilemma habe ich eine Erkenntnis als erleichternd empfunden: Nämlich, dass es überhaupt keine Notwendigkeit gibt, es aufzulösen. Oder anders gesagt: Es ist okay, sich zwiegespalten zu fühlen – nein, es ist die einzig richtige Haltung: Es existieren konträre Bedürfnisse, die alle berechtigt sind. Wenn wir das attestieren, dann ist es keine Option, uns vorbehaltlos auf die eine oder andere Seite zu schlagen.

Ja: Es mutet seltsam an, dass ich euch das an dieser Stelle als überraschende Erkenntnis vermitteln will – und das selbst so erlebe. Wir alle wissen, dass das bei vielen Dingen so ist. Aber irgendwie fühlen wir uns ständig bemüssigt, Position zu beziehen: bei allem und jedem und selbst bei Dingen, die uns kaum tangieren. Daran sind, natürlich, die sozialen Medien schuld, zumal ein Tweet, der Ambivalenz ausdrückt, gegenüber jedem undifferenzierten Standpunkt von vornherein verloren hat. Aber es sind nicht nur die sozialen Medien schuld: Auch im beruflichen Umfeld sind es nicht die differenzierten Ansichten, die einem Karrierechancen eröffnen. Und selbst an einer Geburtstagsparty hört man eher dem zu, der auf die Pauke haut, als einem, der sagt, er könne sich einfach nicht zwischen Argument A und Argument B entscheiden.

Und natürlich wird ein Positionsbezug oft vehement eingefordert: Ich glaube, das nennt sich heute Identitätspolitik, in der hundertprozentige Loyalität gefordert wird und alle, die sie nicht leisten, als Gegner betrachtet werden. Ich kann es mir nur so erklären, dass Rowling der Stempel «transphob» aufgedrückt bekommen hat, nicht weil sie sich gegen Trans-Menschen gestellt hätte, sondern weil sie deren Bedürfnisse die der Frauen entgegengestellt hat: Und das ist etwas, das man nicht nur tun darf, sondern auch tun muss, damit nicht eine Ungerechtigkeit durch eine andere abgelöst wird.

Die Quelle der Aggression

Trotzdem: die Ambiguitätstoleranz ist unverzichtbar in einer Welt, die so komplex geworden ist wie die unsere – wo Menschen, die früher keine Stimme hatten, sich mit laut und mit unbequemen Forderungen zu Wort melden. Ambiguitätstoleranz besagt, dass wir die Widersprüchlichkeit einer Situation aushalten – während die Ambiguitäts-Intoleranz dazu führt, dass wir versuchen, störende Elemente aus der Auslegeordnung zu entfernen. Und es hat auch zur Folge, dass wir aggressiv reagieren, wenn einer dagegen protestiert und darauf beharrt, dass genau diese Elemente aber die entscheidenden seien.

«The Witch Trials of J.K. Rowling» ist eine Lektion in Ambiguitätstoleranz. Der Podcast nimmt sich die Zeit, die diversen Aspekte des Themas von mehreren Seiten zu beleuchten: Er erklärt, wie Joanne Rowling nicht zuletzt mithilfe des Webs erst zur idealisierten Mutterfigur wurde, dann in einigen Kreisen in Ungnade gefallen ist, sodass der Vergleich mit den Hexengerichten nicht allzu übertrieben ist – auch wenn sie nicht selbst, sondern nur ihre Bücher verbrannt worden sind.

Was Tumblr und 4chan mit der Sache zu tun haben

In sieben Folgen beleuchtet der Podcast, wie die «Harry Potter»-Bücher erst die religiösen Fundis auf den Plan gerufen haben und wie Rowling sich in die «Terf Wars» (Folge 4) eingemischt hat. In der dritten Folge («A new pyre») kommen Leute auf die Kosten, die sich für die Netzkultur interessieren: Es geht um den Aufstieg von Tumblr und 4chan und deren Einfluss auf die Art und Weise, wie Meinungsverschiedenheiten im Netz ausgetragen werden, und um die Social Justice Warrior – wobei allein schon dieser Begriff anzeigt, wie dünn das Eis inzwischen bei solchen Diskussionen geworden ist.

Fazit: Rowling ist auch in diesem Podcast eine kluge, empathische Beobachterin, mit der man nicht hundertprozentig einverstanden sein muss, um ihr zuzuhören. Der Podcast ist sorgfältig produziert, ohne allzu sehr auf Effekt getrimmt zu sein.

Eine Fortsetzung: Diese Lektion ging voll in die Hose.

Beitragsbild: So gehts inzwischen fast bei jedem Thema zu und her (Football Wife, Pexels-Lizenz).

One thought on “Eine Lektion in Ambiguitätstoleranz

  1. Ambiguität ist ein treffender Begriff! Wenn Auftritte, Bücher oder Konzerte unerwünschter Personen „gecancelt“ werden sollen, weiss ich, dass diejenigen, die das fordern, auf der falschen Seite stehen. Aber: Das heisst nicht, dass die „gecancelten“ auf der richtigen Seite stehen. So einfach ist es leider nicht.

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