Wo ist dieser verdammte Rost mit Bodennut in Weiss?!

Lego: Das war ein einst­mals geniales Spiel­zeug, das heute Kinder zum Weinen und Eltern zur Ver­zweif­lung bringt. Und nein, ich über­treibe nicht.

Ich würde nicht so weit gehen und behaupten, dass früher alles einfacher war. Aber dass wir als gesamte Menschheit derzeit die Tendenz haben, auch einfache Dinge in komplexe zu verwandeln, scheint mir unbestreitbar zu sein.

Ein Beispiel: Früher waren Legos eine unkomplizierte Angelegenheit. Aus einer grossen Kiste suchten wir uns das Material zusammen, das wir für das zu bauende Objekt benötigt haben – gleichgültig, ob das nun ein Haus, eine Polizeistation, Krankenhaus, die Residenz eines Bösewichts, ein extravaganter Turm oder meinetwegen ein Auto, Schiff, Flugzeug oder Raumschiff war.

Nun ist meine Tochter dem Duplo-Alter entwachsen und hat darum auf kleinen Legos umgerüstet. Das hat sich als unerwartet schwieriger Moment des Älterwerdens entpuppt – und zwar nicht nur für das Kind, sondern auch für ihren Papa. Denn sie hat nicht einfach Legos bekommen, sondern Bausätze für Tiere, für einen Helikopter, für das Ferien-Wohmobil, für einen Welpenpark (sic!), für Olivias Cupcake-Café (sic!!) und weiss der Henker wofür noch alles.

97 unterschiedliche Steine?!

Diese Objekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie vielerlei Spezialsteine benötigen. Ein Beispiel: Das Ferien-Wohnmobil besteht gemäss Bauanleitung aus 170 Bausteinen, wobei geschlagene 97 unterschiedliche Steine vorhanden sind. Von den meisten Stein-Varianten benötigt man nur ein einziges Stück. Ein paar wenige braucht es drei, vier, fünf, sechs oder achtmal. Die Variante, die achtmal zum Einsatz kommt, ist übrigens der Stein 241201. Er heisst Rost mit Bodennut weiss.

Das Ferien-Wohnmobil – zum Glück bislang noch intakt.

Ich möchte an dieser Stelle nicht rüberkommen wie ein reaktionärer Sack, der findet, ein paar Holzäste und Kieselsteine würden auch ganz passable Spielzeuge abgeben. Es war schon zu meiner Zeit absehbar, dass nicht alle Kinder sich mit einer Handvoll Grundsteinen begnügen wollen. Ich zähle mich auch zu denen, seit mich ein Weihnachtsgeschenk vom Gfätterlischüeler in einen Nachwuchs-Ingenieur verwandelte. Ich erinnere mich an die Ehrfurcht, die mich beim Durchblättern der Lego-Technic-Bauanleitung ergriff. Falls ich mich nicht irre, handelte es sich beim Geschenk um das Lego 8860 Auto-Chassis mit Differenzialgetriebe. Das fand ich schon ausgesprochen grossartig.

Ein Welpenpark, bei dem mir die Tränen kommen

Ich frage mich aber trotzdem, ob Lego den Bogen inzwischen nicht brutal überspannt hat. Als Beleg für diese These muss der besagte Welpenpark herhalten, der gemäss Anleitung aus 29 verschiedenen Teilen besteht (43 insgesamt). Der häufigste Stein, der viermal in der Schachtel steckt, hat die Nummer 306201: Es handelt sich um die offene Noppe, die für die Seite des Welpen-Spielzeugs Verwendung findet¹.

Daraus ergibt sich ein praktisches Problem: Sobald ein Kind bloss ein paar solcher Sets besitzt und niemand dafür sorgt, dass die zusammengebauten Objekte ja nicht wieder auseinanderfallen, kommt es eher früher als später dazu, dass sich in unserer grossen Kiste eine Unzahl unterschiedlicher Teile sammeln, die sich kaum für freies Konstruieren eignen. Denn man kann zwar Teile auch irgendwie zweckentfremden, aber sonderlich befriedigend ist das nicht. Die Stabilität ist nicht gewährleistet und es sieht oft auch seltsam aus.

Das Lego-Baby

Umgekehrt ist es auch quasi unmöglich, die ursprünglichen Objekte wiederherzustellen – denn sobald ein paar Sets in besagter grossen Kiste zusammengeschmissen wurden, wird die Suche nach einem bestimmten Baustein zu einer so zeitaufwändigen Angelegenheit, dass nicht nur dem Kind, sondern auch dem Papa jegliche Lust an der Sache vergeht.

Das ist keine hypothetische Behauptung, sondern ist so in diesem Haushalt passiert: Meine Tochter hat verzweifelt nach ihrem Lego-Baby gesucht, das irgendwo in der Kiste hätte sein sollen, das aber auch der Papa nicht hat auffinden können. Ein Tobsuchtsanfall war die Folge – wobei an dieser Stelle nicht erörtert wird, ob der bei der Tochter oder beim Vater zu verzeichnen war.

Das ist das Lego-Baby. Zum Vergleich: Der klassische 2×4-Stein im Hintergrund.

Eine Frage stellt sich. Nämlich: Was soll dieser ganze Scheiss?

Wie stellen sich die Lego-Leute die Benutzung ihrer Produkte vor? Sollen die einmal zusammengebaut und dann nie wieder auseinandergenommen werden? Dafür sind die Objekte leider zu wenig stabil. Ist die Meinung, dass jedes Objekt in einer separaten Box gelagert wird, sodass die zusammengehörenden Teile auch ja zusammenbleiben? Oder wäre es die Aufgabe von uns Eltern, unsere fünf-, sechs- oder siebenjährigen Kinder dazu zu erziehen, Hunderte Legoteile in riesigen Sortierboxen zu organisieren?²

Mit ein paar Grundbausteinen rollt der Rubel nicht

Mir scheint, dass das sympathische Unternehmen aus dem dänischen Billund ein bestechend einfaches Konzept geopfert hat, um Umsatz zu bolzen. Denn klar: Solange die Kinder darauf getrimmt sind, ihre Werke mit ein paar wenigen Grundsteinen herzustellen, dann gibt es nicht viel zu verkaufen: Ein Set mit ein paar Dutzend des 2×4-Steins als ultimativer Klassiker, plus einige Handvoll 2×2-Steine und der 2×6er als eine längere Variante reicht weit und hält ewig. Das Ausbau-Potenzial ist gering und durch ein paar schmale Steine, etwa den 1×2er und den 1×4er bald ausgeschöpft – ergänzt durch einige Grund- und Bauplatten.

Der Neid muss es Lego lassen, dass sie eine geniale Marketingmasche entwickelt haben, um den eigentlich extrem beschränkten Bedarf quasi ins Unendliche zu verlängern: Da gibt es die diversen Themenwelten. Aber noch effektiver sind diese Disney-, Harry-Potter-, Asterix-, Star-Wars-, Adidas-, Spiderman-, SpongeBob- und Indiana-Jones-Lizenzen, die sich obendrein als marketingmässiges Killerinstrument einsetzen lassen, bei dem man sich mit seinem Bekanntheitsgrad gegenseitig aushilft.

Apropos Scheiss: Zum Welpenpark gehört auch dieses Hunde-Kackhäufchen.

Spielt es da noch eine Rolle, dass der eigentliche Zweck – das freie Konstruieren – zur Nebensache gerät? Stört es jemanden, dass ein solches Spielzeug, das in seiner universellen Ur-Form unendlich wiederverwertbar ist, in dieser Ausprägung nach dem einmaligen Zusammenbauen nutzlos wird? Und bin ich der einzige, der es schade findet, dass die ursprünglich grossartige Benutzerfreundlichkeit des Produkts offenbar ohne jeden Skrupel auf den Müllhaufen der (Spielwaren-)Geschichte geworfen wurde?

Fussnoten

1) An dieser Stelle könnte einem die Frage in den Sinn kommen, wie viele unterschiedliche Lego-Steine es denn total gibt. Das ist keine einfache Frage, wie ich auf brickarchitect.com erfahren habe:

Die Lego-Gruppe stellt jedes Jahr Hunderte von neuen Sets her, die Tausende von verschiedenen einzigartigen Elementen und etwa fünfzig verschiedene Farben enthalten. Diese Analyse entschlüsselt, welche Elemente am häufigsten vorkommen und welche Farbe für jedes Element am häufigsten vorkommt. Leider teilt die Gruppe nicht mit, wie viele Teile sie jedes Jahr herstellt, sodass wir uns anhand öffentlich zugänglicher Daten annähern müssen.

Wir erfahren aber, dass die zehn häufigsten Elemente etwa zwanzig Prozent einer Sammlung ausmachen. Und es gebe 3764 unterschiedliche Elemente, die in den Sets enthalten sind, die derzeit gekauft werden können. Manche der Steine gibt es nur in einer Farbe, andere werden in diversen Farben angeboten.

Und bemerkenswert ist, dass der 2×4-Stein, den ich als das wichtigsten universelle Element ansehen würde, in dieser Übersicht erst auf Platz 26 kommt.

2) Es gibt auch eine App, die dabei hilft, nämlich Brickit (siehe auch Kommentare). Die habe ich im Beitrag Auferstanden aus den Klemmbaustein-Ruinen vorgestellt.

Beitragsbild: Die Suche läuft …

6 Kommentare zu «Wo ist dieser verdammte Rost mit Bodennut in Weiss?!»

  1. Sehr schön geschrieben, vielen Dank. Einerseits ist es lustig zu lesen, andererseits finde ich es schade, dass ein so kreatives Spielzeug zur Verwertungsmaschine verkommt, die den Kindern gar nichts mehr bringt.

  2. Ja, ist schade, wie Lego dem Geld nachrennt. In der Vergangenheit habe ich mir ab und zu mal ein Set gegönnt, das irgendwo aufgestellt vor allem Staub fängt. Mittlerweile ist die Qualität von Lego so schlecht und die Preise dafür so hoch, dass ich das wohl auch sein lasse. Oder auf Schnäppchen aus Ricardo beschränke. Leuchturm mit drehbarem Scheinwerfer finde ich schon ziemlich cool. Aber nicht für 300 Franken. Selbst über die Hälfte müsste ich lange nachdenken. Nicht weil ich geizig bin, sondern weil es einfach nicht mehr wert ist.

    Ich denke Lego hat das Problem, dass sie beim Kinderspielzeug nichts mehr verdienen können. Wir hatten noch nicht diese geballte Ladung an Auswahl für Spielzeuge. Da ist viel Konkurrenz aufgetaucht und Lego probiert dies mit teuren Sammlerstücken, die Erwachsene ansprechen, zu kontern. Eine Strategie, die wahrscheinlich auch eher abwärts führt.

  3. Lustig ist ja, dass gerade Kinder keine speziellen Bausätze benötigen, da ihre Fantasie den normalen Steinen Leben einhaucht. Mein Göttibub baut aus den gleichen Steinen ein Haus, ein Flugzeug und ein Krokodil.

    Da reichen normale Steine, die es auf Ricardo als Kiloware günstig gibt, vollkommen aus. Je nach Alter dann noch ein paar Technic-Teile wie Umlenkrollen und man kann sogar eine Seilbahn bauen.

    Ohne Anleitung etwas zu bauen, halte ich für Kinder für ohnehin interessanter. Ich als Erwachsener habe mich über die Krokodil-Lok gefreut und sie gerne aufgebaut. Aber dann? Zum Ausstellen ist sie zu wenig detailliert und auseinandernehmen und neu zusammensetzen ist auch nicht interessant.

  4. Die 80er Technics Sets waren super. Bestanden vllt aus gefühlt 30 verschiedenen Teilen und man konnte alles bauen damit. Nun muss ich meine 30 Schachteln Antike Sammlung mit Schachten vor meinem 3 Jährigen verstecken, weil er sie sonst durchmischt 😀

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