Das Leistungs­schutz­recht ist legitim – aber da geht noch mehr

Die reflex­hafte Ableh­nung des Leistungs­schutz­rechts ver­hindert die über­fällige Diskussion, wie Freiheit und Fair­ness im Netz geret­tet werden könnten.

Diese Woche ist eine alte Diskussion neu entflammt. Es geht ums Leistungsschutzrecht, also um die Idee, dass die grossen Internetkonzerne eine Gegenleistung liefern müssten, wenn sie auf ihre Plattformen Inhalte von Dritten verwenden. Das klassische Beispiel ist Google News: Dort werden die Artikel der grossen Medienhäuser aggregiert. Für uns Nutzerinnen ist das praktisch, weil wir uns an einem Ort einen schnellen Überblick der Nachrichtenlage verschaffen können, ohne die einzelnen Portale abklappern müssen.

Anlass für die Diskussion war eine Studie: Die ist zum Schluss gekommen, dass Google den Schweizer Verlagen 154 Millionen Franken schulden würden. Das hat die üblichen Gegenreaktionen ausgelöst. Kritisiert wurde zum einen, dass der Verlegerverband Schweizer Medien die Studie in Auftrag gegeben hat – und dass Verbände normalerweise keine Analysen finanzieren, bei denen Resultate zu erwarten sind, die den eigenen Interessen widersprechen.

Andreas Von Gunten, der sich bei der digitalen Gesellschaft engagiert und sich auch mit seinem Verlag für den freien Fluss der Informationen einsetzt, hat bei «Persönlich» klar Stellung genommen und geschrieben, die Studie gehöre in den Papierkorb. Er kritisiert die Berechnung, mit der die Studie auf den Betrag von 154 Millionen Franken gekommen ist. Und er wischt auch die grundlegende These vom Tisch:

Was bleibt von dieser Gefälligkeitsstudie noch übrig, wenn die geforderten 154 Millionen ohne Fundament im Raum stehen? Ausser der verwunderlichen Idee, dass wir mit einem Leistungsschutzrecht Google retten müssen, nichts. Also, ab in den Papierkorb damit.

Ich habe die Studie quergelesen und bin von der Berechnungsmethode auch nicht überzeugt. Aber ich bin auch der Ansicht, dass die Verfechter des freien Internets ihre Fundamental-Opposition zum Leistungsschutzrecht überdenken müssten.

Im Netz sind einige längst etwas gleicher

Ich kann mich nicht erinnern, von Microsoft ein Honorar für diesen Artikel oder das Bild erhalten hätte.

Aber lassen wir die Studie beiseite und sehen wir uns die Situation bei den News an: Ich habe kürzlich die Start-App von Microsoft vorgestellt. Eine zentrale Komponente ist die Nachrichten-Übersicht à la Google News. Doch während Google auf die Originalquellen verlinkt, erscheinen die Artikel in dieser App komplett.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Microsoft mehr nützt als meinem Arbeitgeber oder mir als Journalist. Denn wie das Beispiel hier zeigt, ist mein Artikel mitsamt meinem Foto hier zu finden, ohne dass ich von Microsoft jemals ein Honorar für meine Arbeit bekommen hätte. Microsoft zahlt aber dafür an die Verlage, wie «Persönlich» berichtet hat. Was man auch als Präzedenzfall für eine fairere Regel sehen kann – so oder so scheint es mir ein Beschiss an den Journalisten zu sein: Für die Veröffentlichung auf den Ursprungs-Websites gibt es eine Entschädigung von Pro Litteris, hier nicht.

Wir reden hier gar nicht über normale Links

Aber sorry, diese Debatte gehört nicht hierher. Zurück zum Thema: Wie das Beispiel aufzeigt, umfasst Microsofts News-Angebot die vollständigen Artikel. Bei Google ist das nicht der Fall. Dort ist Titel und in aller Regel auch das Bild des Beitrags zu sehen. Andere News-Angebote, zum Beispiel das von Yahoo, umfassen auch einen kurzen Textanriss, eine Art Lead.

Damit sind wir beim Kern des Problems: Die Gegner des Leistungsschutzrechts weisen darauf hin, dass das Netz nun einmal von Links lebt. Sie sehen die Gefahr, dass das Fundament des Netzes untergraben, wenn die Verlinkung mit Geldforderungen in Verbindung gebracht würde. «Inside IT»-Chefredaktor Reto Vogt behauptet sogar, das würde «das Internet killen». Und oft liest man in diesem Kontext auch die Bezeichnung «Linksteuer».

Ich halte das für falsch und den Kampfbegriff «Linksteuer» für unredlich: Ein normaler Link enthält kein Vorschaubild und im Schnitt weniger Information – auch wenn man natürlich auch bei einem normalen Link den Titel zitieren kann. Trotzdem ist es für mich offensichtlich, dass wir hier von zwei Paar Stiefeln sprechen. Für einmal liegt Reto Vogt – mit dem ich ansonsten oft einig bin – mit seiner These vom umgebrachten Internet völlig daneben.

Nein, das Internet wird nicht gekillt

Nebst diesem formalen Aspekt gibt es auch funktional riesige Unterschiede zwischen Links, wie sie hier in meinem Blog zu finden sind und der Art und Weise, wie Google die News zur Anreicherung seiner Suchresultate verwendet:

  • Erstens ist offensichtlich, dass Google das systematisch tut und das News-Angebot zu grossen Teilen bzw. sogar vollständig in sein Angebot eingliedert.
  • Zweitens schafft diese Integration einen offensichtlichen Mehrwert für Google. Ein klassischer Link schafft für mich als Betreiber einer Website keinen solchen Mehrwert, sondern stellt eine Dienstleistung am Leser und der Leserin dar.

Der Umfang dieses Mehrwerts wird sofort klar, wenn wir uns überlegen, wie es aussähe, wenn Google keine Schlagzeilen anbieten würde. Die Internetnutzerinnen und -Nutzer würden – Göttin bewahre! – einen RSS-Reader einsetzen, um sich News-mässig zu informieren. Bei Google gäbe es weniger Inhalte, die mit Werbung bespielt werden können. Damit würde bei Google auch weniger Umsatz anfallen.

Darum wäre der passendere Begriff, was hier passiert, eine Lizenzierung (oder Syndizierung): Wenn also Microsoft für die Lizenzierung der ganzen Artikel eine bestimmte Summe zahlt, halte ich es für vertretbar, dass Google für die Lizenzierung von Titel, Beitragsbild und (allenfalls) Lead ebenfalls eine Entschädigung entrichtet – auch wenn die natürlich nur ein Bruchteil der Summe für den ganzen Artikel betragen sollte.

Soweit das Technische. Mich stört auch etwas Grundsätzliches, weswegen ich an dieser Stelle etwas polemisch werde: Während man den Vertretern des Leistungsschutzrechts unterstellt, sie würden mit ihrer Forderung «das Internet killen», ist es den gleichen Leuten anscheinend völlig egal, dass die Tech-Konzerne beim Rennen im Kampf um die Aufmerksamkeit die Spielregeln ständig zu ihren Gunsten anpassen. Diese Tech-Konzerne sind ausgezeichnet darin, fremde Inhalte für ihre eigenen Zwecke zu nutzen.

Die Meister der Selbstbevorzugung

Ich habe schon 2017 kritisiert, wie Google immer weiter von der Rolle des Vermittlers abgerückt ist. Ein aktuelles Stichwort zu dieser Entwicklung heisst Self preferencing («Selbstbevorzugung»). John Oliver hat neulich anschaulich dargelegt, wie das funktioniert und wie es Google, Apple und Amazon hilft.

Wer heute Ideen wie das Leistungsschutzrecht reflexartig abschmettert¹, weil es seiner Idee des freien Netzes widerspricht, der hilft den grossen Tech-Konzernen. Und die treiben das Spiel weiter voran, das Internet für sich zu vereinnahmen².

Und klar: Das Leistungsschutzrecht ändert daran nichts Grundsätzliches. Aber ich halte es trotzdem für legitim, wenn die Verleger eine entsprechende Forderung stellen. Ich sehe mich hier aber nicht als Lobbyist der Verlage, sondern als Fürsprecher der Netznutzerinnen und -nutzer. Und wir müssten unseren Gedankenhorizont noch ausweiten: Wir sollten darüber nachdenken, wie die Tech-Konzerne dazu gezwungen werden könnten, der Gesellschaft und all jenen, die sie gross und mächtig gemacht haben, etwas zurückzugeben. Das müsste natürlich Geld sein – aber genauso Einfluss und Mitspracherecht.

Fussnoten

1) Die Diskussion dieses Beitrags auf Twitter hat mir vor Augen geführt, dass die reflexartige Ablehnung des Leistungsschutzrechts nicht unbedingt daher rührt, dass manche Leute Google davor bewahren wollen, entsprechende Zahlungen leisten zu müssen. Es geht vielmehr um eine grosse Antipathie gegenüber den grossen Verlagen, die auch im Kommentar von Adreas Von Gunten zu spüren ist («Es geht den Verlagskonzernen auch nicht um den Journalismus»). Diese Kritik teile ich, nicht unbedingt in der vollen Vehemenz, aber ich verstehe natürlich sehr gut, wie es zu ihr kommt. Trotzdem führt die Antipathie dazu, dass die falschen Prioritäten gesetzt werden.

Weil ich überrascht war, wie kontrovers es für manche offenbar ist, dass ich mir erlaube, das Leistungsschutzrecht ernsthaft in Erwägung zu ziehen, habe ich nach der Twitter-Debatte diesen Text hier noch einmal überarbeitet (am 20. März): Ich habe einiges ausgedeutscht, dass ich ursprünglich als implizit angenommen habe, und ich habe einige der grundsätzlicheren Überlegungen in die Fussnoten verschoben. Das sollte helfen, Missverständnisse zu vermeiden.

2) Ich zähle mich auch zu den Verfechtern des freien Internets. Aber es ist eine Tatsache, dass sich die Machtverhältnisse in den letzten Jahren konstant verschoben haben: Alles, was ging, wurde irgendwie «plattformisiert»: Die grossen Social-Media-Plattformen haben einer lebendigen Bloggerszene (fast) den Todesstoss versetzt. Die Podcasts werden von Unternehmen wie Spotify vereinnahmt. Youtube und Tiktok bewirtschaften die nutzergenerierten Inhalte aus dem Videobereich.

Und einige weitere Beispiele, wie die grossen Tech-Konzerne ihre Macht ausüben:

  • Das Smartphone hat dazu geführt, dass die freien Bezugsmöglichkeiten für Software zurückgedrängt worden sind und wir unsere Apps aus zentralen, von Betreibern kontrollierten Stores beziehen.
  • Meta wird das Metaversum garantiert nicht als freien, nach offenen Standards organisierten virtuellen Raum organisieren, sondern als streng kontrollierte Plattform, in der Meta an allem, was dort passiert, mitverdient.
  • Und die KI ist eine Steilvorlage für das besagte Self preferencing. Bing Chat beantwortet Nutzerfragen anhand von Informationen, die wir alle zusammengetragen und im Netz frei zur Verfügung stellen – aber, ohne dass wir Urheber noch irgendetwas davon hätten.

Beitragsbild: Leser bei Google News – Symbolbild (Egor Vikhrev, Unsplash-Lizenz).

2 Kommentare zu «Das Leistungs­schutz­recht ist legitim – aber da geht noch mehr»

  1. Lieber Matthias, in meinen Argumenten gegen das Leistungsschutzrecht steht nichts von „Freiem Internet“. Das ist ein Strohmann. Ich argumentiere seit mehr als zehn Jahren auf verschiedensten Ebenen gegen dieses unsägliche Vorhaben. Ich bin klar überzeugt, dass wir über die Förderung und Finanzierung von demokratierelevantem Journalismus reden müssen. Das Leistungsschutzrecht kann aber diese Aufgabe schlicht nicht übernehmen. Das Urheberrecht ist der komplett falsche Ort, um dieses Problem anzupacken. Es geht den Verlagskonzernen auch nicht um den Journalismus. Den könnten Sie locker finanzieren, wenn sie die Millionen, die sie aus ihren Kleinanzeigen Monopolen ziehen, weiterhin in den Journalismus stecken würden, wie sie das im Print-Zeitalter auch getan haben. Das ganze Vorhaben ist einfach nur heuchlerisch. Warten wir die Vorlage ab. Das, was ich gesehen habe bis jetzt, wird vor allem Clickbaiting-Journalismus fördern und die Konzentration der Medienverlage weitertreiben. Ich stehe Dir jederzeit für eine ausführliche Diskussion zur Verfügung.

    1. Das Argument des freien Netzes ist nicht direkt auf dich bezogen. Ich respektiere deine Haltung und kann hervorragend mit ihr leben.

      Ich bin aber überzeugt, dass es für ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis im Netz ein gesundes Ökosystem nötig ist. Und das wird durch Google und andere Tech-Giganten nachhaltig gefährdet. Das freie Netz ist aber mir ein Anliegen. Ich glaube, dass das Leistungsschutzrecht Möglichkeit wäre, für einen gewissen Ausgleich zu sorgen. Dass es eine gute Möglichkeit ist, bezweifle ich auch. Aber was wäre die Alternative? Mich nervt, dass du und deine Mitstreiter es bei der vehementen Ablehnung des Leistungsschutzrechts bewenden lasst und keine Vorschläge habt, wie man das Anliegen sinnvoller umsetzen könnte. Und ja, man kann den Schweizer Verlagen viel vorwerfen. Aber sie bezahlen tatsächlich noch ein Journalistenlöhne.

Schreibe eine Antwort zu MatthiasAntwort abbrechen