Eine deutsche Lösung für ein Schweizer Problem

Eigentlich wollte ich bloss kurz einen medien­kritischen Podcast aus Deutsch­land rezensieren, doch dann ist daraus eine Ab­hand­lung über ekla­tante Mängel an Medien­kritik in der Schweiz gewor­den.

Medienkritik wird heute vor allem in den sozialen Medien betrieben. Bedauerlicherweise geschieht das meist auf eine etwas undifferenzierte Weise («Lügenpresse! Schummelfunk!»). Umso wichtiger wäre es, dass die Medien sich selbst gegenseitig auf die Finger schauen und hinterfragen, was sie tun.

Das passiert immer weniger. Bei zackbum.ch hiess es vor zwei Jahren, etwas holperig formuliert, der (hier auch schon kurz besprochene) «Medientalk»-Podcast des Schweizer Radios SRF falle auf, «weil er bald die letzte Medienkritik ist»:

Der Medienkritik-Blog vom «Tages-Anzeiger»: auf Eis gelegt. Die Medienseite der «NZZ»: auf der Abschussliste. Die «Medienwoche»: mit immer weniger Beiträgen. «Persönlich»: zu neunzig Prozent Verlautbarungstexte der Medienkonzerne, «Kleinreport»: ebenfalls viele Verlautbarungstexte.

Der besagte «Medientalk»-Podcast hat im Dezember 2022 sogar gefragt, ob es den Medienjournalismus noch brauche. Grund für diese fatalistische Frage ist die Einstellung der besagten «Medienwoche». Diese medienkritische Website ist noch online, doch es gibt seit Ende des letzten Jahres keine neuen Beiträge mehr.

Wenn eine Nische weiter schrumpft …

Zur Begründung heisst es:

Doch jedes Erfolgsmodell kennt seine Schattenseiten. Die «Medienwoche» war von Beginn weg ein Nischenprodukt. Monothematische Publikationen richten sich per se an ein kleineres Publikum als Massenmedien. Wenn diese sowieso schon kleine Nische immer kleiner wird und das Interesse spür- und messbar nachlässt, obwohl sich Aufwand und Angebot nicht grundsätzlich verändern, in der Tendenz sogar verbessern, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Noch einen drauflegen oder die Reissleine ziehen. Weiterwursteln war keine Option.

Das klingt einleuchtend, aber je länger ich darüber nachdenke, desto weniger schlüssig finde ich die Begründung. Wäre es ein «Weiterwursteln» gewesen, wenn sich die Macher neue Wege überlegt hätten? Es kommt meines Erachtens nicht von Ungefähr, dass der erwähnte «Medientalk»-Podcast ein Podcast ist. Das ist ein exzellentes Mittel für Medienkritik: Nicht nur SRF hat das erkannt. Auch ein Blick nach Deutschland zeigt, dass es dort solche Angebote gibt.

Warum kein Neustart völlig anderer Form?

… und meistens nimmt auch jemand ab.

Ein Format, das sich zur Nachahmung aufdrängt, ist Holger ruft an. Es handelt sich um einen wöchentlichen Podcast (RSS, iTunes, Spotify), der zwischen einer Viertelstunde und einer Dreiviertelstunde lang ist. Wie der Name andeutet, handelt es sich formal um eine simple Angelegenheit: Wir hören zwei Menschen, die sich über ein aktuelles Thema unterhalten.

Und natürlich, ich weiss an dieser Stelle selbst, welche Gegenargumente auf der Hand liegen: Das wichtigste ist, dass die «Medienwoche» nicht punktuelle Schlaglichter werfen, sondern eine Art Vollangebot zur Medienlandschaft bieten wollte – inklusive Erklärstücke, Personalien und Hilfe zur Karriereplanung. Auch die angrenzenden Wirtschaftszweige Marketing und Kommunikation waren abgedeckt. Damit hing auch die Art und Weise zusammen, wie sich das Portal finanzierte: Mit der Querverbindung zur Schwester-Plattform medienjobs.ch, die weiterexistiert.

Das ist doch nicht vergleichbar. Oder?

Auch der erwähnte Podcast steht nicht für sich allein, sondern ist der Audio-Arm des Online-Magazins «Übermedien», das 2016 von den beiden profilierten Medienkritikern Stefan Niggemeier und Boris Rosenkranz gegründet wurde, die ihrerseits für Deutschland festgestellt haben, dass sich die grossen Medienhäuser keine Medienkritik mehr leisten und dieses Themengebiet von unabhängiger Seite beackert werden muss.

«Übermedien» finanziert sich durch die Nutzer. Die – Achtung, jetzt wird es etwas schmerzhaft! – sogenannten Übonnentinnen und Übonnenten zahlen für den Zugang fünf, acht oder zwanzig Euro pro Monat über die Berliner Projektfinanzierungs- und Crowdfunding-Plattform Steady.

An dieser Stelle drängt sich der Einwand auf, dass eine solche Finanzierung in Deutschland funktionieren kann, die Schweiz dafür zu klein ist. Zumal es hierzulande die Republik gibt, die gerade so über die Runden kommt und womöglich das Medienbudget vieler Zahlungswilliger so stark beansprucht, dass für kleinere unabhängige Medienanbieter kaum mehr etwas übrig bleibt. Zugegeben, für diese These habe ich keinen Beleg. Sie hat mich beim traurigen Ende des Online-Wissensmagazins «Higgs» jedoch regelrecht angesprungen.

Die Marktlücke wäre vorhanden

Die entscheidende Frage ist aber nicht die des Geschäftsmodells, sondern die des Nutzens fürs Publikum. Oder anders gefragt: Würde in der Schweiz ein unabhängiger Medienpodcast, der mit überschaubarem Aufwand produziert wird, einen Mehrwert bieten?

Davon bin ich hundertprozentig überzeugt. Ein Mann wie Nick Lüthi, der bei der «Medienwoche» die Redaktionsleitung hatte, würde in Gesprächen analog zu «Holger ruft an» garantiert interessante Einsichten vermitteln. Den Produktionsaufwand würde ich für verkraftbar halten: Ähnlich, wie bei unserem «Nerdfunk» auf Radio Stadtfilter. Apropos: Ich bin überzeugt, dass Radio Stadtfilter und die anderen Unicom-Radios ein Sendeplätzchen für eine solche Produktion freihätten.

… wobei wir dann wieder in den Kategorien der klassischen Medien denken, obwohl wir hier das Rad doch neu erfinden wollten.

Ein Fall fürs Jungvolk?

Kurz noch ein Fazit zu «Holger ruft an»: Ich höre mir nicht jede Folge an, sondern mache das vom Thema abhängig. Interessant fand ich die Folge 100 zu Dieter Bohlen und dessen Rückfall ins sexistische Steinzeit-Fernsehen, wo mich seine Gesprächspartnerin Samira El Ouassil nicht nur argumentativ, sondern auch rhetorisch schwer beeindruckt hat. Auch auf den Punkt war die Folge 99, in der Stefan Niggemeier findet, der Skandal um Prinz Harrys Buch sei eigentlich ein Medienskandal. Er hat mich so weit beeinflusst, dass ich fast angefangen hätte, Spare zu lesen. Ausgezeichnet haben mir auch die Ausführungen von Sandro Schroeder zur Frage gefallen, welche Bedeutung der Podcast inzwischen im Medienmix hat.

Also, obwohl dieses Format so simpel ist, wie es nur sein kann, funktioniert der Podcast. Ein Fragezeichen mache ich beim Gastgeber. Obwohl ich seit einem Jahrzehnt Holger Kleins Podcasts höre und ihn schätze, bin ich nicht überzeugt, ob er die Idealbesetzung ist. Seine manchmal polemische Art passt manchmal mehr, manchmal weniger – bei der Folge zu Twitter fand ich sie okay.

Abgesehen davon spult er mir die Gespräche manchmal etwas zu routiniert runter. Und vielleicht, nur so als Idee, gäbe es eine junge, medienhungrige Co-Gastgeberin, die ihn aus der Reserve lockt?

Beitragsbild: Klassische Medien – neue Formen der Medienkritik (Hands off my tags! Michael Gaida, Pixabay-Lizenz).

4 Kommentare zu «Eine deutsche Lösung für ein Schweizer Problem»

  1. Medienkritik, wenn man sie so nennen will, scheint es heute fast nur noch aus dem Lager der Rechten, der Verschwörungserzähler, der Freunde von Putin, der Impfgegner, der Gender-Gagas, der toxischen Männer und der Bitcoin-Betrüger zu geben. Das hat natürlich den Grund, dass dieses Lager erfolgreich sein Publikum bewirtschaftet. Ein richtiger Medienkritik hat aber nichts von seiner Medienkritik ausser Ärger.

  2. Als „Übonnent“ wollte ich nur ergänzen, dass die genannten Preise für Übermedien sich auf einen Monat und nicht auf ein Jahr beziehen.
    Außerdem sind die meisten Artikel nach einer gewissen Zeit auch frei lesbar.

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