Also, heute widmen wir uns Post. Nein, dem Ort, wo ihr eure Pakete hinbringt und euch jedes Mal wundert, warum vor den Schaltern Ladenregale mit einem absonderlich heterogenen Sortiment stehen. Sondern dem sozialen Netzwerk post.news.
Das wird als einer der Kandidaten gehandelt, die vom Chaos bei Twitter profitieren wollen oder können. «Techcrunch» bezeichnet es hier als Twitter-Alternative und berichtet, die Plattform hätte Risikokapital von Andreessen Horowitz (a16z) erhalten. Das ist das Investment-Unternehmen von Browser-Pionier Marc Andreessen, der seinerzeit auch gross in Twitter investiert hat: Das bringt uns natürlich unweigerlich zur Frage, ob dieses Investment als implizites Misstrauensvotum gegenüber Elon Musk verstanden werden darf.
Aus Twitters Schatten treten
Für Post ist das keine vorteilhafte Ausgangslage: Auch wenn diese erklärten oder vermeintlichen Alternativen von der Twitter-Müdigkeit profitieren und sie mehr Aufmerksamkeit erfahren, als das sonst der Fall wäre, so wird auch die Wahrnehmung vorbelastet: Ein Twitter-Klon erscheint als Notnagel, der besser ist als gar nichts, falls Twitter tatsächlich vor die Hunde gehen sollte – aber wir trauen ihm nicht zu, dass er etwas Eigenständiges und Innovatives einbringt. Die Hive-App (Noch eine App will Twitter beerben) wird Mühe haben, aus Twitters Schatten herauszutreten.
Auch bei Post war mein Enthusiasmus für einen Blogpost anfänglich nicht sehr gross. Die erste Fassung dieses Beitrags fing darum auch tatsächlich mit den Worten an, das «Bloggen sei schliesslich kein reines Vergnügen, sondern eine grosse Verpflichtung». Doch als ich mich näher mit der Sache beschäftigt habe, kam ich zur Erkenntnis, dass die Prämisse «noch ein Mikrobloggingdienst» zu kurz greift – und ich darum nicht bloss aus Pflichtgefühl, sondern aus echten Interesse über Post schreiben sollte.
Der Feed als «Zeitung der Zukunft»
Also, dieser Dienst ist brandneu. Die Betaversion wurde am 14. November via Twitter angekündigt. Noam Bardin ist der Gründer, den manche auch als Chef der von Google gekauften Navigations-App Waze kennen. Er beschreibt seine Motivation wie folgt:
Ich glaube, dass der Feed die Zeitung der Zukunft ist, und möchte ihn für die Nutzer zivilisierter, für die Verleger profitabler und für die Gesellschaft besser machen.
Die Idee hat etwas: Denn viele nutzen Twitter als eine Art Zeitungsersatz: Wenn wir den richtigen Leuten folgen, die dann fleissig Links aus dem ganzen Web posten, dann entsteht tatsächlich so eine Art individueller, hoch spezialisierter Nachrichtenfluss. Ich kenne Leute, die sich auf diese Weise auf dem Laufenden halten. Persönlich tue ich das nicht, da ich mich so als lückenhaft und einseitig informiert fühle. Für ein umfassendes Bild bleibt meines Erachtens ein RSS-Reader unverzichtbar.
Das heisst aber nicht, dass ein soziales Netzwerk, das auf die Verbreitung von News und auf den mündigen Nachrichtenkonsum ausgelegt ist, es nicht besser machen könnte. Ob Post dieses Versprechen erfüllen kann, ist bisher schwer abzuschätzen: Ich habe seit ein paar Tagen einen Beta-Zugang und habe es letzte Woche auch tatsächlich geschafft, mich anzumelden, nachdem die Anwendung zuvor bloss Fehlermeldungen ausgegeben hat.
Der übliche Social-Media-Kram halt
Es gibt auf Post die Explore-Ansicht, die der öffentlichen Timeline entspricht. Dort begegnen einem die notorischen Katzenbilder, die unvermeidlichen Memes, Schnappschüsse wie zu Instagrams Anfangszeiten und immer mal wieder auch Wordle-Resultate. Doch dazwischen gibt es tatsächlich erstaunlich viele Newsbeiträge, die mein Interesse wecken: Ein Stück der BBC über den Klimawandel. Der Bericht, Katar habe Politiker im Europäischen Parlament korrumpieren wollen. Eine Analyse, wie J. Edgar Hoover das FBI noch immer beeinflusst und ein Blogpost unter dem Titel Auf den Schultern von Idioten, der mir folgende Erkenntnis vermittelt:
Ein Molekül Dummheit besteht aus einem Atom der Unwissenheit und zwei Atomen der Gewissheit. Dummheit bindet sich an Neuronen, ähnlich wie sich ein Kaugummi an Haare bindet.
Das ist schon mal ziemlich grossartig, und eine gute Gelegenheit, den Tip-Knopf auszuprobieren. Während es unter jedem Beitrag die hinlänglich bekannten Interaktionsmöglichkeiten zum Favorisieren, Weiterleiten und Antworten gibt, ist der Trinkgeldknopf eine Spezialität von Post.
Du kriegst fünf Punkte von mir!
Die Zahlungen erfolgen in Form von Points oder Pts (Punkten), von denen ich als neuer Nutzer fünfzig Stück zur Verfügung habe. Die teile ich an Leute aus, die mir interessante Informationen haben zukommen lassen. Wenn das Startguthaben aufgebraucht ist, lässt es sich aufstocken. Beim Kauf neuer Punkte ist allerdings nicht klar, wie viel die kosten – was unbedingt behoben werden müsste.
Wir können uns Punkte aber auch auszahlen lassen, und hier erhalten wir einen Eindruck des Wechselkurse. Für einen Point gibt es einen US-Cent, doch für eine Auszahlung müssen wir mindestens fünfzig US-Dollar bzw. 5000 Punkte auf der hohen Kante haben. Das ist eine gewisse Hürde, zumal der Wechselkurs zwischen Points und Dollars nahelegt, dass ein typisches Trinkgeld sich im Rappenbereich bewegt. (Der Hilfebeitrag How many Points should I tip? bleibt mehr als vage.)
Brandneu ist nichts davon
Mit Post ist vorerst kein Vermögen zu machen. Und es ist auch nicht zu übersehen, dass nichts an Post wirklich neu ist: Die Konzentration auf News nicht (Sieben tägliche Links für die Horizonterweiterung) und das eingebaute Trinkgeldsystem auch nicht (Schmeicheleinheiten à la Web 2.0).
Und trotzdem könnte es sein, dass diese Zutaten in dieser Kombination funktionieren. Bemerkenswert finde ich jedenfalls, dass ich auf Post bereits einige Leute getroffen habe, die ich von anderen sozialen Netzwerken her kenne: Clemens M. Schuster alias @hofrat, Patrick Hediger, Peter Aeschlimann, Martin Steiger, Markus Baumgartner und Thomas Benkö (bö). (Letzterer ist übrigens ein guter Indikator für die Erfolgschancen eines neuen sozialen Netzwerks: Wenn ich ihn, wie bei Hive, nicht antreffe, wird daraus vermutlich nichts.)
Also, wenn wir hier trotz allem noch einmal auf den Twitter-Vergleich zurückkommen wollen, dann ist mein Favorit als Musk-Refugium derzeit nach wie vor Mastodon. Auf Platz zwei folgt Tumblr, aber dann auch schon Post. Und das ist doch immerhin was!
Beitragsbild: Den gibts jetzt auch im sozialen Netz (Sam Dan Truong, Unsplash-Lizenz).