Sieben tägliche Links für die Horizonterweiterung

Refind behauptet, uns alle klüger zu machen – indem wir täglich sie­ben ausge­suchte Lese­stücke vor­gesetzt bekom­men, die auf unsere Vor­lie­ben zu­ge­schnit­ten sind. Obs bei mir geholfen hat?

Janosch hat mir neulich via Twitter nahegelegt, mir refind.com anzusehen. Das ist ein Dienst, der mir verspricht, mich «jeden Tag klüger» zu machen. Zu diesem Zweck sucht sie mir aus einem riesigen Fundus an hintergründigen News-Beiträgen, Blogposts und Fachartikeln sieben Links heraus, die ich lesen soll.

Refind ist ein personalisierter Kuratierungsdienst für (im Idealfall) herausragende journalistische Stücke, bedeutsame Blogposts und analytische, einordnende Texte. Er funktioniert so, dass wir als neuer Nutzer als mehreren Dutzend Kategorien diejenigen auslesen, die uns interessant erscheinen. Daraufhin wird uns eine Auswahl einiger Texte mit einer kurzen Zusammenfassung unterbreitet, bei der wir angeben, was wir interessant finden und was nicht.

Und das war es schon: Anhand dieser Angaben traut sich der Dienst zu, aus mehr als 10’000 Quellen diejenigen herauszusuchen, die mich interessieren könnten. Und natürlich bin ich skeptisch: Denn erstens glaube ich, dass wir uns die Mühe nicht ersparen sollten, uns selbst um die Auswahl der Informationen zu kümmern, die wir uns zu Gemüte führen.

Refind findet, ich müsse diese Texte hier lesen.

Das ist zwar mühsam, selbst wenn man einen guten RSS-Reader benutzt. Aber nur so bleiben wir selbstbestimmt und können der Gefahr entgegenwirken, uns selbst in eine fragwürdige Blase hineinzumanövrieren.

Grobe Kategorien für fein abgewogene Interessen?

Zweitens glaube ich nicht daran, dass sich meine Interessen mit ein paar groben Kategorien erfassen lassen. Das ist, wie wenn einer angibt, dass er gerne «Musik» hört – und man ihm dann Megadeth vorspielt, worauf er sagt, er hätte aber Céline Dion gemeint.

Bevor es losgeht, muss man seine Vorlieben angeben – und ja, weiter unten kommen noch interessantere Themen.

Aber gut, ich mache die Probe aufs Exempel und muss Refind zugestehen, dass immerhin zwei der sieben ersten Tipps mein Interesse treffen. Da ist erstens der Beitrag, in dem Illustrator Emmanuel schreibt, warum Dall-e ihn nicht arbeitslos machen wird (Why Dall-E will not steal my job as an illustrator).

Es ist nicht alles Gold, was Refine zum Glänzen bringt

Der zweite Text ist ein pseudowissenschaftliches Clickbaiting-Stück, das auf Laien-Psychologen auf dem Selbsterkenntnistrip abzielt – weswegen es mir peinlich ist, dass ich darauf abgefahren bin. There are 4 kinds of “digital hoarder.” Which one are you?, heisst er. Damit ihr ihn nicht lesen müsst: Wenn Leute Daten horten, dann tun sie es:

  1. aus Angst, weil sie sie vielleicht irgendwann mal brauchen könnten,
  2. weil sie überfordert sind,
  3. weil der Boss sagt, das sei wichtig
  4. und aus Freude am Organisieren.

Ich gehöre natürlich, wie hundert Prozent der Leute, die diesen Artikel gelesen haben, zur vierten Kategorie.

Trotzdem: Zwei Texte (von fünf), die ich mir näher angeschaut habe und die ich sonst kaum gefunden hätte, ist keine schlechte Ausbeute. Und wie ich es verstehe, ist Refind nicht darauf aus, meine Nachrichtenzufuhr zu ersetzen, sondern zu erweitern. Natürlich, da stellt sich sogleich die Frage der Kapazität und da der Tag nur 24 Stunden hat, müssen wir wohl oder übel sonst etwas weglassen. Aber klar – als Journalist kann ich das auch unter Recherche und Themensuche abbuchen.

Lesen, markieren und bewerten

Was mir auch gut gefällt, sind die Funktionen zum Lesen und Organisieren der Beiträge. Es gibt auf der Website eine eingebaute Lese-Ansicht (Reader View), in der wir zwei Schriften zur Auswahl haben (mit oder ohne Serifen) und die Schriftgrösse einstellen dürfen.

Mit dem Notizwerkzeug hebt man interessante Passagen hervor.

Es gibt in dieser Lese-Ansicht ein Menü, über das wir den Beitrag in eine Sammlung ablegen und die künftigen Vorschläge beeinflussen. Dazu teilen wir mit, dass der Beitrag unseren Geschmack getroffen hat und als Muster dienen darf (More like this) oder eben nicht (Less like this). Es gibt auch den Befehl View similar, der ähnliche Beiträge zum Vorschein bringen soll, die meiner bescheidenen Meinung nach nicht sehr grosse Gemeinsamkeiten haben. Immerhin gibt es in diesem Menü auch die Möglichkeit, eine (nicht öffentlich sichtbare) Notiz zum Beitrag anzubringen.

Schliesslich haben wir in der Lese-Ansicht auch einen Leuchtstift zur Verfügung, mit dem wir interessante Passagen markieren. Wie beim Kindle verwendet Refind diese Angabe, um die Stellen zu extrahieren, die besonders viele Leute als relevant erachtet haben. Die erscheinen bei manchen Beiträgen schon auf der Übersichtsseite, was eine nützliche und aufschlussreiche Sache ist.

Einen Blick wert

Fazit: Refind ist auf alle Fälle einen Blick wert. Nebst den Vorschlägen, die auf der Website unter Today zu finden sind, gibt es auch eine Leseliste (Reading List), die u.U. nach Inhalten gefiltert werden kann, die auch als Audio verfügbar sind, sowie die Library mit den persönlichen Sammlungen und Notizen, und schliesslich den Bereich Explore, in dem wir nach weiteren Lesestücken suchen.

Ob sich die Vorschläge auf Dauer verbessern, wenn wir die Befehle More like this/Less like this fleissig verwenden, bleibt abzuwarten. Und auch wenn mein Misstrauen gegenüber Algorithmen bestehen bleibt, die mich «klüger machen» wollen, so nehme ich die sieben täglichen Links gerne als unverbindliche Vorschläge entgegen. Ebenfalls abzuwarten bleibt, ob es den Dienst auch mal in Deutsch oder anderen Sprachen geben wird.

Standardmässig gibt es die Links per Mail. Es ist aber möglich, die Zustellung abzuschalten und die Beiträge über die App (für Android und iPhone/iPad) zu konsumieren – weil ich mir angewöhnt habe, Newsletter zu ignorieren.

Refind lässt sich gratis nutzen. Für die Premium-Funktionen zahlen wir 7.42 US-Dollar pro Monat. Oder wir werben Freunde, was uns ein Gratis-Abo für ein Jahr oder sogar lebenslänglich einträgt. Also, wenn ihr Refind nutzen möchtet, verwendet bitte meinen Link hier. Danke!

Beitragsbild: Hey, lesen kann man auch am Smartphone (Don Fontijn, Unsplash-Lizenz).

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