Wie ein Politiker seinen gefeierten Blogging-Bettel hingeworfen hat

Moritz Leuenberger war einmal Blogger, und er eines schönen Tages hat er sich unter seines­glei­chen gemischt. Heute komme ich nicht umhin zu bemerken, dass diese Kar­riere weniger lang gedauerte als seine Amts­zeit im Bundes­rat.

In meiner kleinen Sommerserie habe ich bisher die grossen Themen ausgelotet: Wie sich unsere Wahrnehmung und das Verständnis des Internets gewandelt hat und unsere Wokeness erwachte – solche Dinge.

Heute schlägt die Amplitude der Erkenntnis nicht ganz so weit aus. Ich greife auf ein Fundstück aus meinem Archiv zurück, das Seltenheitswert hat. Es dreht sich nämlich um einen Bundesrat. Nicht nur das: sogar um einen Magistraten, der ein Blog betrieben hat.

Dazu gleich mehr. An dieser Stelle aber erst der Hinweis auf einen Exkurs: Es scheint nämlich so, dass ich um Bundesräte in meiner journalistischen Karriere einen eigentlichen Bogen gemacht habe. Und nicht nur um die: Es gibt in meinem Archiv bloss eine Handvoll Artikel, in denen hochrangige Politiker die Hauptrolle spielen. Natürlich könnte interessieren, warum dem so ist – und das habe ich auch gemacht. Aber um euch an dieser Stelle nicht zusehr vom eigentlichen Thema abzulenken, habe ich die in eine Fussnote verbannt¹.

Er war und blieb eine Ausnahmeerscheinung

Also: Der Bundesrat, um den es heute geht, heisst Moritz Leuenberger. Vor 14 Jahren hatte er einen Auftritt am Tag der Informatik in Zürich, über den ich am 30. August 2008 geschrieben habe:

Leuenberger hat gern das letzte Wort

Nebenbei bemerkt gibt es den Auftritt auch zu hören, weil ich ihn für den Tagi-Podcast «Digitalk» aufgenommen habe, zusammen mit einem kurzen Interview mit Peter Hogenkamp.

Bemerkenswert war damals, dass ein Bundesrat sich als Blogger zu erkennen gab und sich als Gleicher unter Gleichen in die Reihen der anderen Teilnehmer des Blogcamps gestellt hat, die sich dort im Rahmen des Tags der Informatik getroffen haben.

Das war eine Ausnahmeerscheinung, und es ist es auch heute noch. Heute liesse sich das damit erklären, dass die Blogs ihren Zenit angeblich überschritten haben. Heute tummeln sich Politiker eher in den sozialen Medien und vornehmlich auf Twitter, auch wenn ein Blog viel besser geeignet wäre, komplizierte Dinge zu erklären und der Polarisierung entgegenzuwirken. Aber gut, was das angeht, bin ich mir bewusst, ein einsamer Rufer in der Wüste zu sein.

Aufgefallen ist mir jedenfalls folgendes Zitat:

Ich kann mir aber vorstellen, dass die «Arena»-Tauglichkeit durch die Blog-Tauglichkeit abgelöst wird.

Zur (vermuteten) Freude von Sandro Brotz ist diese Prognose nicht einmal ansatzweise eingetreten. Der Leuenbergersche Fehlschuss ist im Nachhinein leicht zu erklären, da wir alle ein Ding unterschätzt haben: nämlich den Plattformeffekt: Eine zentrale Stelle hilft ungemein, damit eine Stimme im Netz eine Wirkung entfaltet – wie jeder Youtuber weiss, der seine Filme zuvor selbst gehostet hat.

3000 monatliche Besucher hat Moritz Leuenberger damals gehabt, erfahren wir, was nicht ganz so hoch ist wie die «Arena». Die kommt auf um die 150’000 Zuschauer.

Der «Blueblog» der Swisscom war das falsche Pferd

Was ist daraus geworden? Tja, Moritz Leuenbergers Blog ist (fast) aus dem Netz verschwunden. Er hat seinerzeit nämlich über die Plattform der Swisscom gebloggt. Doch die hat ihren «Blueblog» im November 2009 eingestellt, weil der von zu wenigen Leuten genutzt worden sei.

Moritz Leuenberger hat die alten Beiträge als Sammel-PDFs auf seiner Website untergebracht, was sie fast unlesbar macht; vor allem am Handy. Minim besser lesbar gibt es ihn auf – natürlich – auf archive.org, aber auch auf diesem Weg entsteht keine sonderlich vergnügliche Lektüre.

Warum hat Moritz Leuenberger mit dem Bloggen aufgehört? In einer Rede hat er eine Begründung gegeben:

Ich habe den Blog wieder aufgegeben, weil ich ihn zu basisdemokratisch führte. Die ganzen Online-Umfragen, die ganze Umfragemanie, wie sie in vielen Medien veranstaltet wird, ist unreflektierter, plebejischer Basisspontaneismus und hat weder mit Demokratie noch mit Verantwortung etwas zu tun.

«Plebejischer Basisspontaneismus»? Ich bin nicht sicher, ob ich überhaupt verstehe, was er meint. Unübersehbar ist jedoch, dass hier zwischen den Zeilen viel Frust und/oder Enttäuschung steckt. Aber nicht darüber, dass er mit seinem Blog der «Arena» nicht den Rang ablaufen konnte. Es geht vielmehr um den Diskurs, der nicht auf eine Weise stattgefunden hat, wie es sich der alt Bundesrat vorgestellt hat.

Schnödet Leuenberger hier etwa über seine Leserschaft?

Mir fällt es schwer, den Begriff der «Online-Umfrage» zu deuten. Ich glaube nicht, dass die «Polls» meint, die zum Instrumentarium der Online-Medien gehört, also die Möglichkeit, über mehrere zur Auswahl stehende Optionen abzustimmen. Ich habe auch via Archive.org keine solche Umfragen in seinem Blog gefunden, darum denke ich, dass er sich auf die Kommentare und Rückmeldungen bezieht. Hat er von seinen Leserinnen und Lesern zu wenig Liebe erfahren?

Jedenfalls bemerkenswert, dass dieses Experiment auf diese Weise gescheitert ist – an der ungefilterten Konfrontation mit dem Pöbel. Das ist aus heutiger Sicht geradezu niedlich, weil sich die Leute in den sozialen Medien noch viel derbere Dinge an den Kopf werfen. Aber natürlich hat Moritz Leuenberger recht, wenn er andeutet, dass das die Demokratie nicht weiterbringt.

Den Bettel ins Korn zu werfen, und den Plebs als «Plebs» zu titulieren, ist allerdings auch nicht die richtige Antwort. Wie erwähnt: Ein Blog zu führen, ist für eine Politikerin oder einen Politiker nicht verkehrt; selbst wenn sie oder er sich dazu entscheiden sollte, die Kommentarfunktion zu deaktivieren. Meines Erachtens hat Moritz Leuenberger viel zu voreilig kapituliert.

Fussnoten

1) Also, warum scheint die Politikerkaste in meinem journalistischen Werk fast gar keine Rolle zu spielen? Bin ich ein Beweis dafür, dass Technikversessenheit mit einer apolitischen Haltung einhergeht? Das glaube ich nicht. Aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die meisten Politiker zu meinen Lieblingsthemen nicht viel Interessantes beizusteuern haben.

Was mir aber wirklich fehlt, ist Neigung zum «People-Journi». Ich beschäftige mich lieber mit Sachthemen als mit Menschen. Ich glaube nicht daran, dass man eine Person über einen Medienbericht wirklich «kennenlernen» kann. Und halte es für problematisch, wenn die Medien eine mächtige Person als «Mensch wie du und ich» darstellen. Es mag sein, dass viele Politiker im Privaten umgänglich und sympathisch sind, aber das ist nicht ihre Rolle in der Öffentlichkeit. Homestories sind eine Unsitte und es ist nicht sinnvoll, ständig Sachfragen zu personifizieren, nur weil Journalisten denken, so würden sie sich leichter erzählen lassen. In dieser Frage bin ich ganz auf Jacqueline Badrans Seite:

Also, immerhin kann ich berichten, einmal über Christoph Blocher berichtet zu haben, als er noch weit davon entfernt war, Bundesrat zu werden. Er hat völlig anlasslos über die Pressevertreter geschnödet, obwohl ich kein gestandener Politjourni, sondern ein zwanzigjähriger Volontär war. Aber vielleicht täusche ich mich auch und die unfreundliche und unbegründete Standpauke stammte von Rita Fuhrer aus der gleichen Partei, zu der mich die «Landbote»-Redaktion auch einmal geschickt hat.

Beitragsbild: Okay, für einen Beitrag in einer «Sommerserie» herrscht hier die falsche Jahreszeit. Leider hat der Fotograf (Jackson Simmer, Unsplash-Lizenz) keine heissere Variante aufgenommen.

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